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Filmkritik
Eine Hand, die über blauen Samt streicht, schimmernd in gedämpftem Licht. Schon in den ersten, in sinnliches Helldunkel gehüllten Bildern von „Das Blau des Kaftans“ liegt buchstäblich zu Tage, um welchen Stoff es hier geht: Um eine Liebe, die sich nur in Gesten der Sorgfalt offenbaren darf. Und um eine Verbindung, die Zeiten überdauert, denn ein Kaftan, so heißt es einmal, „muss den, der ihn trägt, überleben“.
Das ist auch das Einzige, das man diesem textilerotisch aufgeladenen Drama von Maryam Touzani über die Zuneigung und Solidarität dreier Menschen vorwerfen könnte: dass es sich allzu widerstands- und überraschungslos von seinem Liebessymbol, dem von Generation zu Generation weitergegebenen Kaftan, davontragen lässt. Und vielleicht noch, dass die herb-schöne Lubna Azabal allzu ausgestellt die Schmerzensfrau zu spielen hat, die sie in anderen Filmen durch winzige Ausbrüche hin zum Warmen und Weichen noch mehr zum Funkeln bringt.
Kostbar fotografiertes Handwerk
Doch die schönen, spannungsgeladenen Bilder der Kamerafrau Virginie Surdej machen neugierig darauf, wie das erzählerische Gewebe ausgearbeitet wird. Nach ihrem vielbeachteten Drama „Adam“ über eine verwitwete Bäckerin, die widerwillig eine schwangere Gehilfin bei sich aufnimmt, erzählt die marokkanische Regisseurin Touzani erneut vom Wunsch nach Verbindung, Freiheit und Schutz. Und wieder tut sie dies über kostbar fotografierte Handwerkskunst.
Und auch Lubna Azabal spielt erneut die Hauptrolle, diesmal als todkranke, am Ende fast zum Gerippe abgemagerte Mina. Ihr freundlicher, melancholischer Mann Halim (Saleh Bakri) gehört einer aussterbenden Zunft an: Er fertigt gänzlich mit der Hand, ohne Maschinen, die traditionellen Gewänder, was pro Kaftan mehrere Monate in Anspruch nehmen kann. Das Paar witzelt über die arrogante reiche Kundschaft, die von der Qualität und dem Fließverhalten eines echten Seidensamts nichts mehr weiß oder wissen will und körperbetonte Schnitte verlangt. Doch die beiden bleiben ihren handwerklichen Idealen treu, auch wenn die Sorgen wachsen. Minas Krankheit verschlimmert sich, und es wird immer schwerer, talentierte Gehilfen zu finden.
Touzani stellt die beengten Wohn- und Arbeitsverhältnisse einfacher Leute ins Spannungsverhältnis mit einer übergeordneten Idee von Weite und Größe. Das gelingt ihr mit einfachen, unauffälligen und konkreten Mitteln. Das allgegenwärtige Kreischen der Möwen dringt in die dunklen Gassen, in denen Personen jederzeit von den Behörden kontrolliert werden können. Die Vogelschreie künden immerzu vom nahen, aber unsichtbaren Atlantik, und damit von einer theoretisch vorhandenen, praktisch aber weit entfernten Offenheit der Welt.
Eine zwiespältige Hoffnung
Als der junge Lehrling Youssef (Ayoub Missioui) auftaucht, kehrt Hoffnung ein, allerdings eine zwiespältige. Wenige Sätze und Blicke zwischen den Eheleuten genügen, wobei Mina und Halim viel mehr voneinander zu wissen scheinen, als sie zunächst preisgeben: „Was hältst du von ihm?“, fragt Mina mit Skepsis. „Von wem, dem Lehrling? Nicht schlecht.“ - „Mehr nicht?“ Mina weiß, dass ihr Mann Männer liebt, und toleriert es, wenngleich nicht ganz ohne Eifersucht; sie schützt ihn, indem sie die Rolle der starken Ehefrau übernommen hat.
Diese Art des Füreinanders ist Liebe, daran lässt Touzani keinen Zweifel. Welche paradoxen Gefühle hier dennoch miteinander kämpfen, wird von Lubna Azabal und Saleh Bakri meisterhaft interpretiert: Befürchtung und Freude angesichts des Neuen changieren in feinen Schattierungen.
Mina und Halim wissen aber auch genau, welche gesellschaftlichen Sanktionen drohen, sobald die Wahrheit über Halims sexuelle Orientierung ans Licht käme. In geschmeidigen Kamerafahrten durch die dampfige Unschärfe eines Hamams massieren Männer in jahrhundertealter Selbstverständlichkeit einander die Körper. Wenn sich Halim an diesem Ort wortlos zum schnellen Sex in einer Einzelkabine verabredet, bleibt die Kamera außen vor. Man sieht nur vier Männerfüße am unteren Rand der Tür. Auch im Film gilt das Prinzip des Verhüllens als ambivalente Geste des Bergens und Verbergens, im Graubereich zwischen Schutz und Nichtgeschehenmachenwollen.
Die innere Zerrissenheit Halims und das Verhältnis der Eheleute zueinander und zu Youssef arbeitet „Das Blau des Kaftans“ in erster Linie nicht als etwas Psychologisches, Individuell-Zwischenmenschliches heraus. Vielmehr zeigt Touzani den inneren Konflikt als eng mit dem so absurden wie bedrohlichen Grundwiderspruch dieser Gesellschaft verbunden: dass etwa eine Frau mit ihrem rechtmäßigen Ehemann keineswegs ins ausschließlich von Männern bevölkerte Café gehen kann. Männerfreundschaften werden offen ausgelebt, doch auf Homosexualität steht Knast.
Scham im doppelten Sinne
Wer sich dem nicht beugen und damit sichtbar bleiben will, kann es nur falsch machen. Im Café wird Mina durch die Nichtbeachtung des Kellners unsichtbar gemacht, und Halim erleidet eine doppelte Scham: Er schämt sich dafür, sich mit der selbstbewusst rauchenden Ehefrau an seiner Seite nicht der Männergesellschaft gemäß zu verhalten, und er schämt sich über seine Scham. Denn er liebt seine Frau. Wie er Youssef erzählt, habe sie sein aus der Kindheit stammendes Gefühl der Unerwünschtheit „verschwinden lassen“.
Touzani und ihr Co-Drehbuchautor Nabil Ayouch entwerfen die Geschichte mehrerer Transformationen, die durch Tradition und trotz Tradition möglich werden. Analog zum entstehenden blauen Kaftan, mit Hilfe des geschickten Youssef, ermutigt und begleitet Mina ihren Mann zur Selbstakzeptanz. Minas eigenen Übergang vom Leben in den Tod schließlich, diese letzte Transformation zu gestalten, nimmt wiederum Halim als Aufgabe an, mit Youssef an seiner Seite.
In einem Akt offener Konfrontation mit der Gemeinschaft widersetzt sich Halim schließlich dem Brauch, die Tote in weiße Leinen zu hüllen und zu verschnüren; er offenbart, dass es für ihn nichts Fürsorglicheres und Respektvolleres gibt, als den geliebten Menschen in ein kostbares Gewand in leuchtenden Farben zu kleiden. Halims und Youssefs einsame Prozession mit der königlich Aufgebahrten hin zu einem sich endlos erstreckenden Friedhof, der wie ein Meer aus Stein die erdrückende Mehrheit der Toten gegenüber den Lebenden vor Augen führt, gleicht einem barocken „memento mori“. Dem allerdings ein „carpe diem“ folgt. Da genehmigt sich Touzani eine kleine, diesseitige Frechheit, die dem Verbotenen Raum verschafft, indem es dem Erwünschten zum Verwechseln ähnlichsieht: Zwei Männer sitzen in einem Café voller Männer, still lächelnd, unangefochten.