- RegieShirin Neshat, Shoja Azari
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2021
- Dauer113 Minuten
- GenreKomödieScience-Fiction
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Träume reflektieren unsere inneren Gedankenwelten und Seelenzustände. Laut Psychoanalyse sind sie Ausdruck unbewusster Wünsche und somit etwas zutiefst Intimes. Sie zu beherrschen, könnte einer autoritären Gesellschaft zu mehr Macht über die Bevölkerung verhelfen. In „Land of Dreams“ von Shirin Neshat versucht ein dystopischer US-Staat genau dieses. Da digitale Überwachungsmechanismen keine Informationen über Träume beschaffen können, werden sogenannte Traumfänger ausgesandt. Sie befragen US-Bürger unterschiedlicher ethnischer und sozialer Herkunft nach ihren nächtlichen Vorstellungswelten. Simin (Sheila Vand), eine US-Amerikanerin iranischer Herkunft, ist so eine Traumfängerin. Sie arbeitet für den sogenannten Zensus, eine Art Big-Brother-Behörde. Die junge Frau notiert die Träume ihrer Interviewpartner und leitet die Dokumente an die Datenbank ihrer Arbeitsstelle weiter, wo sie analysiert werden.
„Ich mache nur meinen Job!“
„Es ist für ihre Sicherheit“, beschwichtigt Simin ihre Gesprächspartner und entzieht sich ihrer Verantwortung durch die Floskel: „Ich mache hier nur meinen Job.“ Einige weigern sich, den Inhalt ihrer Träume preiszugeben oder behaupten, sie vergessen zu haben. Andere geben dem Wunsch der Traumfängerin erstaunlich unbefangen nach. Eine Frau träumt beispielsweise von ihren blutigen und gelähmten Beinen, eine andere von der Belästigung durch Fremde im eigenen Wohnzimmer. So lernt Simin immer neue Familien in einer Gesellschaft kennen, die von streng evangelikalen Traditionen und Symbolen beherrscht wird und in der ihr regelmäßig Ignoranz, Vorurteile und Rassismus entgegenschlagen. Auch andere Menschen, die keine WASPs, weiße angelsächsische Protestanten sind, etwa mexikanische Bedienstete, werden verlacht und gedemütigt.
Auf diese Weise erinnern Shirin Neshat und ihr Co-Regisseur Shoja Azari an rechte Tendenzen in der aktuellen, vom Trumpismus beeinflussten US-Gesellschaft. Anderseits bedient sich der von Jean-Claude Carrière geschriebene Film ebenfalls einer Logik des Traums und entzieht sich so einer klassischen Narration. Unvermittelt tauchen neue Figuren mit nicht immer rationalem Verhalten in Simins Leben auf. Der Zensus stellt ihr beispielsweise den Bodyguard Alan (Matt Dillon) zur Seite, der sie angeblich beschützen soll, de facto aber überwacht. Der junge Mark (William Moseley) beteuert dagegen, unsterblich in Simin verliebt zu sein, und verfolgt sie, sehr zum Ärger Alans.
Die Figuren bewegen sich in den weiten Ebenen des Mittleren Westens, welche nur mit dem US-amerikanischen Fortbewegungsmittel per se, dem Auto, erschlossen werden können. Mal wirken diese Topoi malerisch, mal bedrohlich; sie greifen immer wieder die Bildsprache US-amerikanischer Filme auf; auch eine Assoziation an Hitchcocks Maisfeld in „Der unsichtbare Dritte“ drängt sich einmal auf. Zwischendurch gibt es auch explizite Traumsequenzen mit einer an Texas oder Arizona gemahnenden Wüste, die als Fremdkörper in der Topografie des Mittleren Westens zu erkennen ist. Diese in blendendem Licht gehaltenen Szenen weisen einen Bezug zu Exil-Iranern auf, die nach dem Sturz des Schahs gegen das Mullah-Regime kämpften. In einer geheimen iranischen Kolonie erhält Simin Informationen über ihren verstorbenen Vater, dessen man in einer sogenannten Märtyrer-Galerie gedenkt. Simin ehrt ihr iranisches Erbe auch dadurch, dass sie mit Perücken und Kostümen ausgewählte Traum-Gespräche auf Farsi nachstellt und dann in den Sozialen Medien postet.
Eine (über)ambitionierte Agenda
Wie in ihrem ersten Spielfilm „Women Without Men“ arbeitet sich die seit 1979 in den Vereinigten Staaten lebende Shirin Neshat an einer ihrer thematischen Konstanten ab, nämlich der interventionistischen US-Außenpolitik. Im Kalten Krieg förderte die USA nicht nur den Sturz linker Regierungen in aller Welt, sondern unterstützte kurzfristig auch die Feinde ihrer Feinde – mit verheerenden Folgen, etwa in Afghanistan.
Doch damit verheddert sich der Film in einer (über-)ambitionierten Agenda aus Überwachungskritik, Traumbetrachtung, Vaterkomplex und Iran-Besinnung. Darunter leidet der stärkste Erzählstrang, der die US-Gesellschaft als eine weder Diversität noch Demokratie akzeptierende Diktatur brandmarkt. Für dieses Thema finden die Regisseure überzeugende, aber unaufdringliche Bilder. So wird regelmäßig das Zensus-Gebäude eingeblendet: ein von außen monumentales und von innen labyrinthisches Bauwerk, in dem Willkür und Überwachung herrschen; es erinnert gleichermaßen an Orwell und Kafka. Die moderne Ausstattung der Büros mit ihren transparenten Computerbildschirmen reflektiert den Kontrast zwischen fortschrittlicher Technologie und reaktionärem Denken.
Als filmisches Experiment ist „Land of Dreams“ nicht ganz kohärent, wartet aber mit interessanten Zusammenhängen und einer überzeugenden Besetzung auf. Vor allem Matt Dillon als desillusionierter Macho und Anna Gunn als Simins passiv-aggressive Chefin stechen dabei hervor.