- RegieAnissa Bonnefont
- ProduktionsländerBelgien
- Produktionsjahr2022
- Dauer89 Minuten
- GenreDrama
- Cast
- TMDb Rating6.4/10 (19) Stimmen
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Filmkritik
Aufgeregt wie Kinder schleichen sich Emma (Ana Girardot) und Stéphane (Yannick Renier) in ein unscheinbares Wohnhaus. Sie wollen dort ein Bordell aufsuchen. Doch kaum haben sie die Klingel gedrückt, rennt Stéphane panisch davon. Zwar folgt ihm Emma, aber die Anziehung dieses geheimen Orts ist zu stark, und ihr Entschluss bereits gefasst: sie will selbst anschaffen gehen; als Feldstudie für ihr nächstes Buch, aber auch weil sie die Vorstellung daran schon immer erregt hat.
Der Plan der in Berlin lebenden Französin stößt auf wenig Gegenliebe. Schriftstellerkollege Stéphane findet es schlichtweg gefährlich, und auch Emmas Schwester (Gina Jimenez) hält es für eine zu heftige Grenzüberschreitung. „La Maison – Haus der Lust“, der auf dem autobiografisch gefärbten Roman von Emma Becker basiert, verspricht ein Schlüssel in eine oft verborgene Welt zu sein. Aus der bürgerlich distanzierten Perspektive seiner Protagonistin verfällt der Film dem verruchten Charme der Prostitution und sucht in der Sexarbeit eine Art von Selbstbestimmung, die sich bereits in Emmas Entschlossenheit niederschlägt.
Eine Ode an Prostituierte
Unter dem Decknamen Justine beginnt sie in einem schicken, dunklen und stets in ein kühles blaues Licht getauchten Bordell zu arbeiten. Die Männer sind meistens nicht sonderlich attraktiv und der Sex mechanisch, aber es gibt auch intime und persönliche Momente wie mit dem schüchternen Touristen Mark (John Robinson). Ihren Kolleginnen und auch der uncharismatischen Puffmutter ist die meist in ihr Notizbuch kritzelnde Emma ein wenig suspekt. Ihre Recherche dauert zwei Jahre und bleibt für sie – anders als für ihre Kolleginnen – nur ein Abenteuer.
Nach einem Erlebnis mit einem übergriffigen Kunden fängt Emma in einem von Frauen selbst verwalteten Bordell an, in dem es gleich viel freundlicher und kollegialer zugeht. In einem lichtdurchfluteten Aufenthaltsraum tauschen die Sexarbeiterinnen Klatsch und Tratsch aus und verspeisen eine Tortilla, die ihnen die mütterliche Brigida (Rossy de Palma) gebacken hat. Der Film wirkt in solchen Momenten ein wenig sentimental verklärt, versteht sich aber eben auch als Ode an diese Frauen und ihre Arbeit.
Prostitution ist in „La Maison“ ein Spiel mit Kontrolle, Verführung und Fantasie. Von der routinierten Domina Delilah (Aure Atika) lernt Emma, wie sie Kontrolle ausüben und Männer unterwerfen kann. Auch Tricks gehören zum Alltag. Bei einem Dreier fordert ein Kunde die beiden Frauen auf, sich miteinander zu vergnügen. Emma vergräbt ihren Kopf im Schoß der anderen Frau, presst dabei aber lediglich die Lippen gegen den Oberschenkel der Kollegin, während sie ihr ein verschwörerisches Lächeln zuwirft. Man muss sich als Schauspielerin begreifen, bringt es Delilah einmal auf den Punkt.
Eine mäandernde Erzählweise
Manchmal wirkt es, als würde sich „La Maison“ auch vor eventuellen Vorwürfen absichern. Im Streit mit ihrer Schwester beharrt Emma etwa darauf, dass ihre Perspektive nicht allgemeingültig, sondern persönlich sei. Vieles im Film wirkt tatsächlich von der Wirklichkeit entrückt. Außenaufnahmen gibt es kaum und falls doch, versinkt die Stadt, bei der es sich in Wahrheit wohl kaum um Berlin handelt, in der Unschärfe.
Inhaltlich schwankt der Film zwischen einem frivolen Groschenroman und dem Anspruch, den verschiedenen Facetten der Realität gerecht zu werden. „La Maison“ ist zugleich oberflächlich und darum bemüht, nie zu einseitig oder pauschalisierend zu werden. Die Freier, die auftreten, sind mal nervös und hilflos, mal charmant, schmierig, sonderbar oder auch übergriffig. Wegen der mäandernden Erzählweise bleibt jede Begegnung aber nur eine kurze Momentaufnahme ohne Erkenntnisgewinn. Statt den versprochenen besonderen Einblicken gibt es lediglich Binsenweisheiten von der Hure als Therapeutin, von der Macht, die sie über Männer hat, sowie von den Strapazen ihres Doppellebens.
Begegnung in der Kapelle
Manchmal schleichen sich visuelle Spielereien in die sonst eher schmucklose Inszenierung ein. Etwa wenn die Kamera bei Emmas erstem Job das Geschehen durch ihre Augen zeigt oder sich die Protagonistin später mit aufgeklebtem Schnurrbart selbst in die Rolle eines Freiers fantasiert. Als Emma den Barkeeper Ian (Lucas Englander) auf Tinder kennenlernt und die beiden in einer verlassenen Kapelle übereinander herfallen, inszeniert Regisseurin Anissa Bonnefont den Sex plötzlich auffällig anders. Statt auf nüchterne Totalen wie im Bordell setzt sie auf verwischte Nahaufnahmen, sich ekstatisch hochschraubende Musik und lautes Stöhnen. Der Film beobachtet den Liebesakt nicht nur, sondern nimmt regelrecht teil. Das geschieht zwar mit naheliegenden stilistischen Mitteln, vermittelt aber doch sehr anschaulich den entscheidenden Unterschied zwischen Arbeit und Vergnügen.