- RegieAndré Schäfer
- ProduktionsländerDeutschland
- Dauer90 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
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Filmkritik
Der Titel ist ein Glanzstück verschmitzter Ironie und spitzfindiger Wortklauberei, wie man sie bisweilen auch in den Romanen von Martin Suter antrifft. Der am 29. Februar 1948 in Zürich geborene Schriftsteller begann seine Karriere als Werbetexter. Die hierbei geforderte pointierte Schreibe, der über Jahre geübte virtuose Umgang mit Worten und Sprache sind auch Kennzeichen seines literarischen Schaffens. Bei dem er nach eigener Aussage weniger eine Ernsthaftigkeit anstrebe, als vielmehr zu unterhalten versuche.
Eine relativ spät platzierte Szene in dem Film von André Schäfer ist dafür entlarvend. Suter erzählt darin, wie seine Frau beim ersten gemeinsamen Treffen mit dem Gründer des Diogenes Verlags, Daniel Keel, auf dessen Frage, ob Suter tatsächlich Schriftsteller werden wolle, vorwitzig geantwortet habe, ihr Mann wolle nicht Autor, sondern „Bestsellerautor“ werden. Suter will das überaus peinlich gewesen sein.
Eine faszinierende Doppelbödigkeit
Diese Anekdote lässt ihn im ersten Moment als schüchtern und bescheiden erscheinen. In der Kolportage des Films aber wird die Szene zum irritierenden Moment der schamlosen Koketterie eines erfolgreichen Mannes, der sich seines Könnens bewusst ist und dies seine Umgebung auch wissen lässt. Tatsächlich ist man sich in diesem Film, der sich als dokumentarisch deklariert, aber die Fiktion bedient und dabei nicht die Wahrheit preiszugeben ankündigt, nie sicher, ob der Regisseur den Menschen Martin Suter vorstellt – oder ob er Suters Inszenierung von sich selbst aufsitzt. Oder ob nicht letztlich Suter selbst der eigentliche Autor dieses Filmes ist. Was dem Film allerdings nicht zum Schlechten gereicht, sondern ihm vielmehr eine faszinierende Doppelbödigkeit verleiht.
„Alles über Martin Suter. Außer die Wahrheit“ folgt lose der Chronologie von Suters Biografie beziehungsweise Suters biografischer Erinnerung. Auf die Kindheit, deren Erzählung durch die Besichtigung des damals von der Familie bewohnten Hauses befeuert wird, folgt Suters Zeit als Werbetexter und Creative Director. Und später dann der allmähliche Wechsel in die Zunft der Schreibenden. Anfänglich als Reporter und Kolumnist, dann im Alter von 48 Jahren und damit ungewöhnlich spät, als Autor eines ersten Buches: „Small World“, eine Liebesgeschichte und zugleich einer der ersten Romane um einen an Alzheimer Erkrankten, dem in Suters „neurologischer Trilogie“ dann noch „Die dunkle Seite des Mondes“ und „Der perfekte Freund“ folgen. Zu Zeit der Dreharbeiten arbeitete Suter an „Einer von Euch. Bastian Schweinsteiger“, einer in Romanform gebrachten Biografie des ehemaligen deutschen Nationalfußballers.
Schweinsteiger ist im Film bei einem Treffen mit Suter kurz zu sehen. Ebenso sind es der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre, der Verleger Alfred Keel sowie der Literaturkritiker Roman Bucheli. Mehrere längere Auftritte erhält auch der Musiker Stephan Eicher, für den Suter seit Jahren Songtexte schreibt. Man sieht die beiden auch privat befreundeten Männer beim Gang über eine den „Röstigraben“, die deutsch-französische Sprachgrenze, querende Brücke, wobei sie fließend von Französisch auf Deutsch wechseln, aber auch bei einem Konzert anlässlich des gemeinsam herausgegebenen „Songbook“ (2017).
Unmittelbare Momente in der Familie
Am intimsten, unmittelbarsten, authentischsten und wahrhaftigsten ist „Alles über Martin Suter. Außer die Wahrheit“ in den Szenen, die Suter mit seiner zweiten Frau Margrith Nay Suter und der gemeinsamen Adoptivtochter Ana zeigen. Erst hier, im Kreis der engsten Familie, beim gemeinsamen Betrachten von Familienfotos und Home-Movies, auf denen kurz auch sein tödlich verunglückter Adoptivsohn zu sehen ist, im Urlaub am Strand von Heiligendamm oder in seinem zweiten Wohnsitz in Marrakesch wirkt Suter lockerer und scheint die Präsenz der Kamera zu vergessen.
Die dokumentarische Ebene mit Lebensweg und Laufbahn ist von einer zweiten Ebene durchzogen, auf der Schäfer sich im Modus der Fiktionalität mit Suters Kreativität und seinem literarischen Universum auseinandersetzt. Hier erfährt man einiges über Suters Handwerk. Dass seinen Geschichten, wenn möglich, ein Geheimnis innewohnen soll. Dass erste Sätze die wichtigsten sind oder dass Suter in dem Moment, in dem er eine Geschichte zu schreiben beginnt, deren Ende meist kennt. Dass er immer schreiben kann und ein von ihm am Morgen eingespanntes weißes Blatt Papier oder der blanke Bildschirm am Abend zuverlässig mit Wörtern gefüllt sind.
Erst die Distanz zu Beobachtetem ermögliche ihm das präzise Schreiben, sagt Suter, und erklärt, dass er in seinen Büchern nicht von selbst Erlebtem berichte, sondern für die Dauer der Entstehung Figuren, die in seiner Person angelegt sind, groß werden und danach wieder schrumpfen lasse. Was ihm, obwohl er solches nie erlebt habe, beispielsweise ermöglichte, den Drogenrausch in „Die dunkle Seite des Mondes“ derart authentisch zu beschreiben, dass er glaubhaft wirkte.
Im Zentrum der filmischen Auseinandersetzung mit Suters Werk stehen mit „Lila, Lila“ und „Die Zeit, die Zeit“ nicht zufällig zwei Romane, deren Protagonisten ihr eigenes Leben und Schicksal inszenieren. Schäfer hat einzelne Textstellen aus diesen Romanen filmisch nachgestellt. Dabei sprechen die Figuren nicht selbst, sondern ihre Worte werden von Andreas Fröhlich im Off eingesprochen. In der Übersteigerung dieses Arrangements tritt Suter als Verkörperung seiner eigenen Person zeitweise hinter die von Jonas Rüegg gespielten Romanfiguren und schaut ihnen über die Schulter.
Eine kecke Verspieltheit
Diesen Brechungen, einer Charade sich überlagernder und verschiebender Ebenen der Erzählung und Wahrnehmung, verdankt der Film eine kecke Verspieltheit und einen faszinierenden Reiz, ähnlich dem von Suters besten Romanen. Am Ende hat man tatsächlich etwas über den Bestsellerautoren Martin Suter, dessen schriftstellerisches Schaffen und Werk erfahren. Ob oder was davon die Wahrheit ist, bleibt dahingestellt. Was den Menschen Martin Suter aber in seiner Leidenschaft als Schriftsteller ausmacht, lässt sich dabei nicht in Erfahrung bringen; André Schäfer ist dem im Film persönlich nie wirklich ganz nahegekommen.