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Filmkritik
Es ist Audreys erste Zugfahrt in China. Mit ihren Freundinnen im Schlepptau sucht sie nach Sitzplätzen. Gelegenheiten gäbe es genug, aber zwischen chinesische Reisegruppen und Familien in ein Abteil möchte sich Audrey (Ashley Park) nicht setzen. Sie ist eine in China geborene US-Amerikanerin. Anders als ihre beste Freundin Lolo (Sherry Cola), deren Eltern aus China emigriert sind, ist sie ein Adoptivkind. Ihre leibliche Mutter kennt sie nicht. Sie wächst bei den wohl weißesten Adoptiveltern des Bundesstaats Washington auf. Kurzum: Sie ist eine völlig Fremde im fernen Osten. Anders als Lolo, die schon seit ihrer Kindheit den rassistischen Jungs die Nasen zertrümmerte und ihre Sexualität über ihre Kunst offen zur Schau stellt.
Voller komödiantischem Wahnwitz
Im Unterschied zu ihrer College-Freundin Kat (Stephanie Hsu), die ihre Filmkarriere in die chinesische Heimat exportiert hat, oder der ganz mit ihrem Nerdtum verwachsenen Deadeye (Sabrina Wu) hat Audrey nie ein Selbstbewusstsein für ihre Identität entwickelt. Das Unbehagen mit der Herkunft versteckt sie hinter ihren beruflichen Erfolgen in der wohl weißesten Anwaltspraxis Amerikas. Das ist ein gutes Versteck, für das Audrey nun, nachdem sie einen Zug voller Chinesinnen betreten hat, einen Ersatz gefunden hat. Die nachfolgende Szene illustriert wunderbar, wie „Joy Ride“ Identitätsangst und Identitätssuche in komödiantischen Wahnwitz umsetzt. Denn natürlich ist die einzige blonde Amerikanerin im Zug, die mit ihrer Sporttasche allein in der Ecke sitzt, keine harmlose Touristin. Sie dealt mit Drogen. Als bei Audrey der Groschen endlich auch fällt, ist es bereits zu spät. Die Polizei hat den Zug angehalten; die Freundinnen sitzen in der Falle. Die Dealerin lässt im Abteil Kokain regnen und macht alle zu potenziellen Komplizinnen. Wer nicht festgenommen werden will, muss ihr helfen, die Drogen zu verstecken – in allen Körperöffnungen. Die Identitätskrise als schlechter und ziemlich komischer Trip ist das Programm, das „Joy Ride“ fährt.
Die China-Reise, die eigentlich nur ein Geschäftstrip nach Peking sein sollte, läuft zumindest, was das Geschäft und die damit verbundene kulturelle Annäherung betrifft, recht bescheiden. Die Ursache ist leicht zu benennen, aber schwer zu beheben. Denn Audrey weigert sich standhaft, sich auf das einzulassen, was nicht einfach abzulegen ist: ihre Herkunft. Das Treffen mit dem chinesischen Geschäftspartner endet nicht nur in einem Saufgelage, sondern auch damit, dass sie auf ihre Herkunft festgenagelt wird. Er sei nicht daran interessiert, Geschäfte mit einer Frau zu machen, die nicht einmal weiß, woher sie komme. Am Ende entscheidet also mal wieder nicht Talent, Erfahrung oder Auftreten, sondern die Zugehörigkeit, für die man absolut nichts kann.
Herkunft ist nicht „strictly business“
Wenn die Karriere, die Audreys Leben fest im Griff hat, irgendwohin führen soll, dann muss sie wohl oder übel Kontakt mit der eigenen Mutter aufnehmen. Der Plan, diesen Kontakt als geschäftliches Investment ohne emotionalen Eigenanteil zu betrachten, führt allerdings nur immer weiter in die Identitätskrise. Die eigene Herkunft ist eben nicht „strictly business“. Das chinesische Hinterland, in das die Freundinnen vordringen, offenbart sich als exaktes Gegenbild zur schnelllebigen „Big-Capital“-Kultur, an die sich die Karrierefrau Audrey seit jeher klammert.
„Joy Ride“ sprengt mit Drogenexzessen, Pipi-Kacka-Witzen, Gruppensex, aber eben auch der aufrichtig melodramatischen Begegnung mit der eigenen Vergangenheit sukzessive alles in Stücke, was vom selbstgebastelten Assimilationspanzer der Protagonistin geblieben ist. Der Humor des Films ist dabei nicht allein um den Kulturschock herum konstruiert. Der Identitätsbegriff, mit dem Regisseurin Adele Lim und die Autorinnen Cherry Chevapravatdumrong, Teresa Hsiao und das fantastische Darstellerinnen-Ensemble jonglieren, herumblödeln und ohne jegliche Zurückhaltung Schindluder treiben, ist notwendigerweise widersprüchlich. Nationale, kulturelle, sexuelle und kollektive Anteile dieser Identität geraten in so ziemlich allen denkbaren Nüchternheits-, Rausch- und Erregungszuständen miteinander in Konflikt. Das Resultat ist entsprechend komisch und, je näher Audrey ihrer leiblichen Mutter kommt, entsprechend emotional; immer aber: völlig außer Kontrolle.