- RegieKatrin Rothe
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2023
- Dauer100 Minuten
- GenreDokumentarfilmAnimation
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
- IMDb Rating6.6/10 (5) Stimmen
Vorstellungen
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Filmkritik
Lange bevor magnetische Lasso-Werkzeuge und Freistellfunktionen zum Standard der modernen Bildbearbeitung gehörten, brauchte es für die Erstellung einer Fotocollage nicht mehr als ein bisschen Papier und eine Schere. John Heartfield (1891-1968), der deutsche Maler, Grafiker, Fotomontagekünstler und Protagonist der Berliner „Dada-Bewegung“, erschuf mit diesem simplen Werkzeug Arbeiten von hoher politischer Sprengkraft. Auf Plakaten, die er für Publikationen wie die „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ (AIZ) gestaltete, ist Adolf Hitler ein wiederkehrendes, vielfach kommentiertes wie deformiertes Bildobjekt. Er taucht als Affe mit Pickelhaube auf, als Spielzeug in der Hand des Großindustriellen Fritz Thyssen, in einer Röntgenbildansicht mit Hakenkreuz an der Stelle des Herzens und mit einem von Goebbels angepapptem Karl-Marx-Bart, als „letzter verzweifelter Einfall“, um die Arbeiterschaft doch noch für die nationalsozialistischen Ideen zu gewinnen. „Es ist die praktische Kampfarbeit! Woche um Woche ein Titelblatt für die AIZ. Aufklärungsarbeit in einer Sprache, die die Massen verstehen!“, schrieb der Kunsthistoriker Paul Westheim im Jahr 1935. Für John Heartfield war die Collage eine Waffe im Einsatz gegen Krieg und Faschismus.
Rote Wollfäden als Blutflecken
Die Filmemacherin Katrin Rothe nähert sich in ihrem Film dem Erfinder der politischen Fotomontage mit dessen eigenen Mitteln an: Papier und Schere. „Johnny & Me – Eine Zeitreise mit John Heartfield“ erzählt die bewegte Biografie des als Helmut Herzfeld geborenen Künstlers weitgehend mit Mitteln der Legetrickanimation, im Detail liebevoll gestaltet, aber stets reduziert. Nur punktuell kommen neben Papier und Pappe Filz, Stoff, Holz und Malerei zum Einsatz (sehr schön: rote Wollfäden als Blutflecken). Heartfields Gegenüber in der Realfilmwelt ist die mit ihrem Beruf hadernde Grafikerin Stephanie (Stephanie Stremler). Als Erzählerin, Biografin, Archivarbeiterin und an der Gegenwart Zweifelnde stellt sie, in der Auseinandersetzung mit Heartfields künstlerischer Praxis, immer wieder Fragen auch nach der Sinnhaftigkeit ihrer eigenen Arbeit.
Nach dem Besuch einer Heartfield-Ausstellung fällt die Grafikerin durch einen Strudel aus Papier- und Fotoschnipseln und landet in einem altmodisch aussehenden Atelierraum. Voller Begeisterung stürzt sich die unter einem Bann stehende Frau auf Schere, Karton und Kleber und hat schon bald eine Miniaturfigur des Künstlers in den Händen, die sich unmittelbar verlebendigt und mit ihr in einen angeregten Dialog tritt. Während die Grafikerin in Archivschachteln und Mappen stöbert, beginnt Heartfield aus seinem bewegten Leben zu erzählen: von dem frühen Verlassenwerden durch die Eltern, seiner Flucht vor dem Militärdienst und die mit dem Kriegshass verbundene Namensänderung (ein Protest gegen den im Deutschen Kaiserreich prominenten chauvinistischen Gruß „Gott strafe England“), der Flucht vor den Nazis nach Prag, von wo aus er seine Arbeit für oppositionelle Publikationen in Deutschland fortsetzte, der erneuten Flucht, diesmal nach Großbritannien und schließlich, nach Ende des Krieges, seine Rückkehr nach Deutschland – in die DDR. In einem Nebenstrang machen zwei Stabpuppen, Mitarbeiter der „Zentralen Parteikontrollkommission“ (ZPKK), dem Künstler das Leben und Arbeiten schwer.
„Unkontrollierbare“ Collagearbeiten
Wie viele West-Emigranten hatte es Heartfield, obgleich Kommunist der ersten Stunde (Rosa Luxemburg übergab ihm 1918 persönlich das Parteibuch) in der DDR nicht leicht. In der Stalin-Ära wurde er als „Formalist“ denunziert; in Wahrheit aber galten seine Collagearbeiten schlicht als zu unkontrollierbar. „Das willkürliche Auseinanderschneiden von Bildern ist ab sofort formale Spielerei und nicht der Bildung des Menschen dienlich“, hieß es in einer Verfügung. Trotz zahlreicher Ehrungen stand man in der DDR der Heartfield’schen Fotomontage bis zuletzt misstrauisch gegenüber.
Auch wenn der Film fraglos einen gewissen „Meister Eder und sein Pumuckl“-Touch verströmt, sind seine Mittel weder infantilisierend noch anekdotisch; seine Form ist vielmehr der recherchebasierte Dokumentarfilm. „Johnny & Me – Eine Zeitreise mit John Heartfield“ ist zudem ein Film, der sich nicht nur in den animierten Sequenzen ganz dem Materiellen und Haptischen verschreibt. Während Heartfield die Stationen seiner Biografie rekapituliert, hängt die Grafikerin im Atelier Fotos und Textfragmente an einer Wäscheleine auf – gleichsam wie an einer analogen Timeline. Ihre Gespräche mit Heartfield könnten leicht forciert oder albern wirken, wenn Rothe die Rolle nicht mit der Schauspielerin Stephanie Stremler besetzt hätte. Ihre natürliche Unbeholfenheit fügt sich wunderbar in die im besten Sinne ungelenke Legetrickwelt ein.