- RegieGünter Atteln
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2024
- Dauer88 Minuten
- GenreDokumentation
- Cast
- AltersfreigabeFSK 0
Vorstellungen
Filmkritik
Joana Mallwitz ist eine der erfolgreichsten Dirigentinnen und die einzige prominente aus Deutschland. Zielstrebig hat sich die 1986 geborene Künstlerin von kleineren Theatern den Weg nach oben gebahnt. Der Durchbruch gelang am Staatstheater Nürnberg, an dem sie 2018 Generalmusikdirektorin wurde. Bereits ein Jahr später ernannte eine Fachzeitschrift sie zur Dirigentin des Jahres.
Der Filmemacher Günter Atteln hatte den richtigen Riecher für den Hype um die Senkrechtstarterin, zumal die 38-jährige Kapellmeisterin im Zuge ihres bevorstehenden Debüts bei den Berliner Philharmonikern und den Spekulationen darüber, ob sie demnächst zur Generalmusikdirektorin an der Bayerischen Staatsoper avancieren könnte, in der Musikwelt zum Tagesgespräch geworden ist. Auch hat die Zahl an Dirigentinnen rasant zugenommen. Das Porträt kommt mithin genau zur richtigen Zeit ins Kino.
Auf dem Sprung nach Berlin
Mit Paul Smaczny, den Atteln als Produzent gewinnen konnte, hat der Filmemacher schon zusammengearbeitet: „Die Thomaner“ (2012) überzeugte als anspruchsvolles Musikporträt über den berühmten Leipziger Knabenchor. Aber auch mit „El Sistema“ (2009), „Wir können nur den Hass verringern“ (2005) oder zahlreichen Konzertaufzeichnungen für arte hat sich Smaczny im Klassiksegment profiliert.
„Joana Mallwitz - Momentum“ begleitet die Musikerin bei ihrem Wechsel von Nürnberg nach Berlin zwischen Proben, Konzerten, Presseterminen, Interviews, Begegnungen mit Freunden, Weggefährten und ihrem privaten Alltag. Einen dramaturgischen Faden gibt es in dem bunten Mosaik nicht; die Auslese der montierten Szenen wirkt oft recht beliebig. Man erfährt ein bisschen von allem über die hochgewachsene, gertenschlanke Frau mit dem blonden Pagenkopf: dass sie eigentlich ein scheuer Mensch ist, der sich nicht gerne der Öffentlichkeit präsentiert und unter großem Lampenfieber leidet, bevor sie auftritt. Wobei es erstaunt, dass sie ausgerechnet einen Beruf ergriffen hat, in dem sie permanent im Rampenlicht steht. Aber auch, dass sie keineswegs nur für ihre Kunst lebt, sondern ihrem kleinen Sohn eine gute Mutter sein will.
Eigentlich nerven Mallwitz die immer gleichen Fragen nach ihrem Erfolg in einem lange Zeit von Männern dominierten Beruf. Sie will nicht von einem Frauen-Bonus zehren, sondern allein für ihre Arbeit beurteilt werden. Und sie hat Recht darin, dass erst dann eine wirkliche Gleichheit zwischen Frauen und Männern besteht, wenn das Geschlecht bei der Beurteilung keine Rolle mehr spielt. Ein bisschen scheint Mallwitz darüber allerdings zu vergessen, wie mühsam es sich die Pionierinnen ertrotzen mussten, gegen den Widerstand patriarchaler Gesellschaften mit dem Taktstock vor ein Orchester zu treten. Und wie lange es gebraucht hat, bis Dirigentinnen ernst genommen wurden.
Erfolgreich im Team
Mallwitz sagt auf die Frage einer Journalistin, wie sie Karriere und Familie unter einen Hut bekomme, nur einen Satz: Man brauche ein gutes Team! In erster Linie ist mit diesem „Team“ wohl der Ehemann Simon Bode gemeint, der als gefragter Sänger vor der Herausforderung steht, seinen eigenen vollen Terminkalender mit dem seiner Frau abzustimmen und seine Rolle als Vater dennoch ernst zu nehmen.
Der Künstlerin Mallwitz kommt Atteln dann am nächsten, wenn sie zerlesene Partituren, die sie schon mehrfach studiert hat, mit neuen Eintragungen durcharbeitet, über die Kompositionen grübelt oder mit sich kritisch ins Gericht geht. In solchen Momenten vermittelt sich Mallwitz’ großer Respekt vor der Musik.
Insbesondere ihre Beschäftigung mit Franz Schuberts Sinfonie in h-moll, der „Unvollendeten“, findet kein Ende. Dieses geniale Werk habe den Ausschlag gegeben, Dirigentin werden zu wollen, sagt sie. Immer noch rätselt Mallwitz darüber, wie es Schubert geschafft habe, das Jenseits in die Musik zu bringen. Ihre Interpretation des ersten Satzes, aus dem die Kapellmeisterin in einem kurzen Ausschnitt eines Konzerts zu erleben ist, enttäuscht dann aber, gemessen an ihrer Analyse: Der Anfang tönt wenig geheimnisvoll und fast schon ein bisschen zu laut. Zudem geht Mallwitz das Stück in einem irritierend schnellen Tempo an.
Insofern mag sich die musikalisch vorgebildete Zuschauerin fragen, welche Qualitäten Joana Mallwitz als Dirigentin auszeichnen. Der Film weiß darauf keine Antwort; er sucht sie allerdings auch nicht. Das liegt vor allem daran, dass Atteln keinen Blick von außen zulässt. Sowohl vor der Kamera als auch aus dem Off redet nur Mallwitz. Nicht einer der zahlreichen Orchestermusiker, mit denen sie in Proben und Konzerten zu erleben ist, kommt zu Wort. Schade ist auch, dass sich Atteln die Chance entgehen ließ, den Pianisten Igor Levit nach Mallwitz’ Markenzeichen zu befragen, obwohl er im Film in einem vertraulichen Gespräch mit der Dirigentin zu erleben ist. In einer Kantine in Amsterdam tauschen sich die beiden am Rande von Proben über ihre Unsicherheiten und Zweifel an ihrer künstlerischen Arbeit aus. Der kurze Auftritt des Startenors Rolando Villazón, der sich lediglich in oberflächliches Schwärmen ergeht, erscheint dagegen entbehrlich.
Euphorisch-elektrisierende Ovationen
Einen Bogen macht der Film auch um unbequeme Themen. In einem Ausschnitt probt Mallwitz Mozarts Oper „Die Zauberflöte“. Die kurzen Eindrücke vom Geschehen auf der Bühne befremden. Wie denkt Mallwitz über solche Ausprägungen des zeitgenössischen Regietheaters? Wie arbeitet sie generell mit Regisseuren zusammen? Darüber ist nichts zu erfahren. Am Ende bescheinigt nur das euphorisch-elektrisierte Publikum mit stehenden Ovationen der jungen Musikerin eine charismatische Ausstrahlung.