JFK Revisited: Die Wahrheit über den Mord an John F. Kennedy
- RegieOliver Stone
- ProduktionsländerVereinigtes Königreich
- Dauer119 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
„Die Vergangenheit ist nur der Prolog.“ Mit dieser Inschrift endete Oliver Stones 1992 in die deutschen Kinos gekommener Film „John F. Kennedy – Tatort Dallas“. Wie recht der Regisseur damit hatte! Schon während der Dreharbeiten bestimmte der Film die Schlagzeilen der großen US-amerikanischen Zeitungen. Ein Film als Affront, weil er als prominent besetztes Hollywood-Mainstreamepos dezidiert postuliert, dass die amerikanische Geschichtsschreibung einem Konstrukt aus Lügen, Fälschungen und einer „Staat im Staat“-Verschwörung erlegen sei. Wie konnte ein renommierter Regisseur Fakten und Fiktionen nur derart virtuos und gerade deshalb fahrlässig zu einer neuen Wahrheit verweben?
Unstrittig ist nur eins: John F. Kennedy ist am 22. November 1963 gegen 12.30 Uhr an der Dealey Plaza in Dallas, Texas, vor laufenden Kameras angeschossen worden und 30 Minuten später im nahe gelegenen Parkland Hospital seinen Verletzungen erlegen. Der Rest ist trotz (oder gerade aufgrund) vieler Zeugenaussagen und etlicher (Bild-)Dokumente und diverser Untersuchungsausschüsse auch im November 2021 nicht abschließend geklärt.
Viele Akten sind weiter unter Verschluss
Fakt ist auch, dass es der „unerhörten“ Fiktionalisierung Oliver Stones zu verdanken ist, dass die Diskussion über die Freigabe entscheidender Ermittlungsakten forciert und deren Freigabe schließlich per Gesetz ein Jahr nach der Premiere des Filmes verfügt worden ist. Indes blieb vieles für weitere 25 Jahre unter Verschluss und wurde auf Betreiben der CIA selbst 2017 nicht gänzlich für die Öffentlichkeit einsehbar. Kein Wunder, dass seither unterschiedlichste Verschwörungstheorien kultiviert werden, die die Ermordung des 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika unterschiedlichsten potenziellen Auftraggebern zuschreiben, von der Mafia über Fidel Castro und Israel bis hin zur Militärindustrie.
„Das ist die entscheidende Frage: Warum? Das ‚Wie‘ und das ‚Wer‘ ist nur ein Ablenkungsmanöver für die Öffentlichkeit. Oswald, Ruby, Kuba, die Mafia. Damit sind die Leute beschäftigt, und niemand kommt auf die Idee, zu fragen: Warum? Wieso wurde Kennedy getötet, wer profitierte davon? Wer hat die Macht, dieses Verbrechen zu decken? Wer?“ Es ist diese zentrale Unterhaltung zwischen Anwalt Jim Garrison (Kevin Costner) und dem fiktiven Informanten „Colonel X“ (Donald Sutherland), die in Stones fiktionalem Kennedy-Film zwangsläufig auf die „richtigen“ Täter weist. Die CIA, die unter Kennedy habe befürchten müssen, „in tausend machtlose Stücke“ zersplittert zu werden. Bewiesen werden konnte das in der Realität nie. Doch Oliver Stone gibt keine Ruhe und schaut 30 Jahre später noch einmal auf das, was er damals angestoßen hat. Die Suche nach Hintermännern des mythischsten Mordes in der US-amerikanischen Geschichte.
Um Sachlichkeit bemühte Chronologie
„JFK Revisited – Die Wahrheit über den Mord an John F. Kennedy“ will das pure Gegenteil von „John F. Kennedy – Tatort Dallas“ sein. Ein Dokumentarfilm reinsten Wassers. Allenfalls die Musik von Jeff Beal erinnert dräuend und repetitiv an Hollywoods Spannungsfilme. Zudem fungiert als einer der Off-Erzähler des Films ausgerechnet Donald Sutherland, Stones „Colonel X“. Ansonsten gibt sich Stone als eifriger Datensammler, der akribisch noch einmal zusammenträgt, was die Fakten und was die Verdrehungen sein mögen. Stone selbst taucht nur selten als Fragensteller und Zusammenfasser in Wort oder Bild auf. Er lässt lebende Experten antreten und verbindet ihre Einlassungen mit Originalaufnahmen aus den Jahren nach dem Mord. So entwirft er eine um Sachlichkeit bemühte audiovisuelle Chronologie der Ereignisse. Nichts erinnert an die Stakkato-Schnittorgien, an die emotionalen Überwältigungsvisionen, mit denen er Filme wie „Platoon“, „Nixon“, „Wall Street“ oder „World Trade Center“ in die Köpfe der Zuschauer hämmerte. Nur zweimal wird Stone schwach und bemüht Ausschnitte aus seinem Spielfilm zur Bebilderung. Einen eher ornamentalen aus dem Gerichtsaal und eben jenes ikonische Gespräch zwischen Costner und Sutherland, welches kurz vor der Zielgeraden seines Dokumentarfilms noch einmal fragt: Was war der Nutzen dieser immens aufwändig kaschierten Hinrichtung?
„JFK Revisited – Die Wahrheit über den Mord an John F. Kennedy“ wirkt inszenatorisch aufgeräumt und zum Bersten angefüllt mit Zeitungsausschnitten, Dokumentenausrissen, Statements und einer schier atemberaubenden Anzahl von Namen und Köpfen, die zu einem Plädoyer für „die Wahrheit“ komponiert werden. Neue, bislang unter Verschluss gehaltene Schriften und Fotos werden angeführt, um die Indizienkette, die schon Jahrzehnte besteht, weiter zu verfestigen. Ungeheuerlichkeiten von „nachinszenierten“ Obduktionsfotos werden in Bezug gesetzt, um zu zeigen, dass nichts so sein kann wie einst von der Warren-Kommission öffentlich und final festgestellt. Wie kommentiert es Stone lakonisch und doch provokant: „Verschwörungstheorien wandeln sich in Verschwörungsfakten.“
Keine finale Antwort
Oliver Stones Dokumentarfilm hat nichts von jenen berühmten investigativen, aber auch mit allen Mitteln der grellen Inszenierung geführten Dokumentarfilmen seines Kollegen Errol Morris („The Fog of War“). Offenbar will Stone dem Vorwurf entgegenwirken, dass er lediglich wieder ein Theater seiner vorgefassten Sicht der Dinge liefere. Die „Beweise“ sind nichtsdestotrotz und einmal mehr erdrückend. Antworten darauf aber, wer nun die tödlichen Schüsse abgegeben hat und wer die Auftraggeber waren, kann auch Stones neuerliches Plädoyer nicht final liefern. Nach dem Prolog, der Erörterung und der Konklusion wird es wohl keinen Epilog geben. Oder?