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Filmkritik
In „Und morgen die ganze Welt“ wurde Luisa, die Jurastudentin im ersten Semester in Mannheim, über eine Schulfreundin mit der Welt der Antifa konfrontiert. Die Freundin, aus gutem, aber verarmtem Hause, ausgestattet mit einer unbestimmten Sehnsucht und einem leichten Unbehagen, variierte hier – inklusive Lovestory mit Alpha-Männchen und Begegnung mit resigniertem Antifa-Frührentner – wenig mehr als die alten „Fehlfarben“-Zeilen: „Wo ist die Grenze? Wie weit wirst du gehen?“ Es ist die alte Geschichte: Gewalt gegen Sachen, Gewalt gegen Personen oder lieber hübsch friedlich bleiben, damit sich die Gegner nicht zu Opfern stilisieren können? „Und morgen die ganze Welt“ gab sich viel Mühe, durch filmische Mittel Authentizität zu suggerieren, doch letztlich blieb es eher beim konventionellen Coming-of-Age eines Landeis, das es in der großen Stadt in eine Szene verschlägt, deren leicht schmuddeliger Charme Gemeinschaft verspricht.
Das Hipstertum der neuen Rechten
Zeit, die Seiten zu wechseln! Wenn man so will, wirft „Je suis Karl“ von Christian Schwochow der Antifa aus „Und morgen die ganze Welt“ vor, bestenfalls „retro“ zu sein. Es mag ja durchaus sein, dass irgendwo in der Provinz noch Nazi-Schläger herumlaufen, deren Tattoos Bände sprechen und die das Flair von Sicherheitsdienst und Türstehern verströmen. „Je suis Karl“ ist da weiter. Der Film weiß, dass die neuen Nazis aussehen wie die Hipster von den Jungen Liberalen, dass sie die besseren Klamotten tragen und coolere Frisuren haben, mit ihren teuren Mobiltelefonen den besseren Selfie-Content online stellen und, klar, die bessere Musik hören. Sie sind mobil, international zwischen Berlin, Prag und Paris vernetzt und ständig unterwegs, ihre Terminkalender sind bestens gefüllt. Denn der Aufstand steht unmittelbar bevor. Es braucht nur noch ein Fanal plus Vorspiel plus Vorspiel.
„Je suis Karl“ will von Verführung und Verführbarkeit durch die Lifestyle-Rechte erzählen, doch dazu braucht es eine gewisse Fallhöhe. Im Zentrum steht Maxi, deren deutsch-französische Eltern einst durch halb Europa fuhren, um einem sympathischen Geflüchteten in den Schengen-Raum zu helfen. Dessen Dankbarkeit wird im Laufe des Films noch bedeutsam werden. Vorher kehrt Maxi aus Paris nach Berlin zurück, wo ihre Eltern und ihre beiden kleinen Brüder leben. Ihr Vater Alex, stets hilfsbereit, nimmt ein Paket in Empfang, um dem Paketboten den Job zu erleichtern. Kurz darauf explodiert eine Bombe; durch einen Zufall überleben Alex und Maxi. Die Ermittlungsbehörden vermuten einen islamistischen Anschlag, die Medienmaschinerie setzt sich in Bewegung. Die Trauer macht Maxi wütend und Alex halb wahnsinnig.
Jetzt kommt der attraktive und eloquente Karl ins Spiel, der Maxi hilft, sich den Aasgeiern der Sensationspresse zu entziehen. Karl gibt der traumatisierten Studentin aus dem linksliberalen Milieu den Rat, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, an einen Ort, wo sie, die Überlebende des islamistischen Terrors von Berlin, niemand kennt. Sie könne nach Prag kommen, wo sich junge Menschen zu einem „Summer Camp“ treffen, um eine Erneuerung Europas zu diskutieren.
Gin-Verkostung und Social Media
In Prag trifft Maxi auf eine fröhliche Rasselbande junger Elitärer, die irgendwas mit Gin-Verkostung und Social Media machen, sich „Re/Generation“ nennen und nebenher von „Umvolkung“ sprechen. Das Ganze sieht aus, als sollte es sofort auf Instagram erscheinen. Ähnlichkeiten mit den Identitären scheinen nicht zufällig, sondern vielmehr so betont gewollt, dass deren coole Selbstdarstellung schlicht verdoppelt wird. Was machen die da und warum? Wie kommen sie dazu? Was motiviert sie? Und wenn es Gründe gäbe?
Eine andere Frage wäre, in welcher Blase Maxi in den letzten Jahren eigentlich gelebt hat. Eigentlich sollten bei ihr sämtliche Alarmglocken läuten, doch sie ist zu traumatisiert, um das „Summer Camp“ zu durchschauen. Allerdings ist sie nicht traumatisiert genug, um sich nicht in den diabolischen Saubermann Karl zu verlieben.
Damit es dem Publikum nicht ähnlich geht, haben sich Regisseur Christian Schwochow und der Drehbuchautor Thomas Wendrich für einen fatalen Spoiler entschieden. In einer Rückblende wird der Terroranschlag aus der Täterperspektive ein weiteres Mal erzählt. Wenn Karl sich einen falschen Bart anklebt und einen prekär arbeitenden Paketboten mimt, dann sollte das einerseits für die Behörden als Indiz für einen islamistischen Hintergrund der Tat hinreichen, andererseits aber auch die diabolische Energie Karls unterstreichen. Man fragt sich allerdings, ob es Zufall sein sollte, wen der Anschlag trifft. Oder steckte auch dahinter ein Kalkül? Das Drehbuch als holzschnittartig zu charakterisieren, wäre wohl noch ein Kompliment.
Ein Auditorium der Gleichgeschalteten
Weiter geht es nach Paris, wo politische Strukturen und Netzwerke mit parlamentarischem Arm existieren, denen die jungen Rechten produktiv zuarbeiten. In einer Art Auditorium der Gleichgeschalteten tauscht man mit lautem Hallo Erfahrungen über Traumata aus, die politisch funktionalisierbar sind. Etwa über Vergewaltigung durch „illegale Asylbetrüger“ in Zeiten der Überfremdung oder – großer Auftritt Maxi – über die Erfahrung, den Terroranschlag in Berlin überlebt zu haben.
Manchmal muss man dabei stellvertretend auch in fremden Zungen reden, weil die „realen“ Opfer ihre Erfahrungen nicht teilen wollen. Doch egal! Die ideologischen Versatzstücke wirken wie eine beliebige Bricolage, deren Einzelteile volatil sind und bestenfalls noch Bruchstücke einer Weltanschauung evozieren. Es ist wie beim Gin: Ein Viertel Herrenrasse, je ein Achtel Ökologie und Feminismus, ein Viertel Angst, ein Viertel Ennui. Solche mosaikartigen Narrative sind allerdings so wohlbekannt und gängig, dass nicht einmal mehr die Führungskader der jungen Rechten an ihre manipulative Wirksamkeit glauben. Womit man beim erwähnten Fanal wäre, bei dem angewandtes Wissen um die Zugkraft von „Märtyrern der Bewegung“ zu einer Neuauflage der „Nacht der langen Messer“ führt, europaweit und rücksichtslos blutig, und wo neben Maxi auch Vater Alex und der Geflüchtete vom Filmanfang hineingeraten. Der Krieg wurde erklärt, jetzt wird er geführt.
Das Hufeisen des Apolitischen
Dass „Je suis Karl“ überhaupt nicht funktioniert, hat mit der Angst der Filmemacher zu tun, die Attraktivität der Akteure, das Faszinosum des „destruktiven Charakters“ (Walter Benjamin) lieber oberflächlich und plakativ zu behaupten, als diese ernsthaft zu verhandeln oder gar inhaltlich zu fundieren. Die Zeiten, als man die Gesinnung noch mit einem Blick auf die Schnürsenkel der Springerstiefel erkennen konnte, sind zwar vorbei. Doch war das nicht schon bei „Die Erben“ (1982) von Walter Bannert der große Erkenntnisfortschritt? So aber basteln Filme wie „Und morgen die ganze Welt“ und „Je suis Karl“ mit politischem Selbstverständnis, aber aus Angst vor der Politik an einer Hufeisentheorie des Apolitischen, in der Handeln nicht aus politischen Grundüberzeugungen herrührt, die über zwei, drei formelhafte Sätze hinausgingen, sondern irgendwie kontingent ist.
Wäre die trauernde Maxi in Mannheim auf die suchende Luisa getroffen, wären beide Filme vielleicht ganz anders verlaufen. So aber bleibt von „Je suis Karl“ unterm Strich nur das Misstrauen gegenüber der Nachhaltigkeit einer linksliberalen Erziehung – was Vater Alex irritieren sollte. Und in „Und morgen die ganze Welt“ Dietmar, der resigniert-privatisierte Ex-Aktivist der Revolutionären Zellen, der sich vielleicht sogar mal in politische Theorien vertieft hatte, um politisch aktiv zu werden. Vergleichbare Alt-Nazis sucht man in „Je suis Karl“ hingegen vergeblich. Pointe: Die Fascho-Kids scheinen autonom, nur leider rechtsradikal. Warum? Darüber sollte man sich bei Gelegenheit mal unterhalten.