Vorstellungen
Filmkritik
Auch mit einer weit fortgeschrittenen Krankheit kann Sterben ein zäher Prozess sein. Der immer weniger werdende, immer abhängigere Körper versucht sich mit aller Kraft am Leben zu halten. Dann aber ist es doch ganz plötzlich vorbei, und Ivo (Minna Wündrich) findet bei ihrer Ankunft nur noch ein leeres Bett vor. Das Sterben und damit verbunden die Aufrechterhaltung von Leben unter möglichst „lebenswerten“ Bedingungen ist Teil ihres Arbeitsalltags. Aber auch der Kontakt zu den Angehörigen, die überfordert sind, hilflos, kooperativ, dankbar, eifersüchtig, manchmal auch unterschwellig aggressiv oder selbst um Aufmerksamkeit bemüht. Sterben ist bei aller individueller Unteilbarkeit und Einsamkeit oft auch eine große gemeinschaftliche Anstrengung.
Im Auto und zuhause
Nach ihrem Debütfilm „Alles ist gut“ nähert sich Eva Trobisch in „Ivo“ den Fragen, die mit Krankheit und Sterben verbunden sind, über eine Figur, die, obgleich geerdet, patent und empathisch, etwas ausgesprochen Leichtes ausstrahlt. Im Film begegnet einem die ambulante Palliativmedizinerin als eine Frau „on the Road“. Mit ihrem alten Skoda fährt sie durchs Ruhrgebiet, über Landstraßen und ineinander verschlungene Autobahnnetze. Im Auto singt, isst und telefoniert sie. Ihre neugierigen, stets aufnahmebereiten Blicke gehen nach draußen und streifen flüchtige Momente. Zu Hause, wo sie mit ihrer pubertierenden Tochter zusammen oder vielmehr nebeneinander lebt, wirkt Ivo dagegen eher wie auf Besuch.
Für die Beteiligten mag sich das Sterben in einem parallelen, nahezu ereignislosen Raumzeitgefüge abspielen, in dem die Erlösung von all dem Warten manchmal unausgesprochen im Raum steht. Doch „Ivo“ ist bei aller Genauigkeit kein Film, der Beobachtungen ausdehnt oder Zeit physisch spürbar macht. Eva Trobisch erzählt vielmehr dynamisch, vitalistisch, intensivierend. Alle Bewegung geht nach vorne. Auch die Haushalte der Sterbenden, die Ivo aufsucht, haben mit der lähmenden Gleichförmigkeit medizinischer Einrichtungen nichts gemein; sie fordern vielmehr den Umgang mit ständig neuen Situationen, Milieus und Konstellationen. Mit Familien, Eheleuten und Alleinstehenden, beengten Wohnungen und großzügigen Häusern, kleinbürgerlichen Verhältnissen und Akademikerhaushalten, Hirschgeweih und Klavierflügel, hellen Räumen und dunklen, vollgestopften und klaren. Aufmerksam, aber unaufdringlich blickt der Film auf die sozialen und zwischenmenschlichen Bedingungen, die Ivo vorfindet, obwohl es im Vordergrund meist um ganz konkrete Dinge geht: um Beschwerden, Appetit, Schlaf. In den Gesprächen mischt sich die Sorgearbeit mit medizinischem Vokabular.
„Es ist mir auch zu viel“
Eine ihrer Patientinnen ist Solveigh (Pia Hierzegger), die schon vor ihrer unheilbaren Nervenerkrankung eine enge Freundin war. Ivos Chef, ein beeindruckend unaufgeregter Mann, der von einem realen Palliativarzt im Ruhrgebiet verkörpert wird und Trobisch mit seinem medizinisch-ethischen Wissen beratend zur Seite stand, macht sie einmal auf die Herausforderungen aufmerksam, nahestehende Personen in „professioneller“ Rolle beim Sterben zu begleiten. Ivo aber möchte keinen Unterschied machen, und auch der Film gibt Solveigh zunächst nicht mehr oder weniger Raum als den anderen palliativmedizinisch Betreuten.
Aber natürlich entsteht doch ein Unterschied, schon allein deshalb, weil Ivo mit Solveighs Mann Franz (Lukas Turtur) schläft. Und die Freundin sie in Gedanken einweiht, die mit Franz zu teilen ihr nicht möglich erscheinen. „Es ist mir auch zu viel“, sagt sie einmal erschöpft. Die Frage nach Sterbehilfe scheint irgendwann unausweichlich.
Ein großzügiger, offener Film
Trobisch spinnt die fiktive, nah am Halbdokumentarischen erzählte Geschichte, in der Schauspieler:innen und echtes Fachpersonal auf organische Weise interagieren, mit eher lockerem Faden. Vieles bleibt angedeutet, nichts drängt nach dramaturgischer Zuspitzung. Auch die Affäre mit Franz muss nicht verkompliziert werden. Sie wird vielmehr als eine selbstverständliche und für beide stärkende Verbindung gezeigt, die in einem ganz bestimmten Zeitfenster existiert, in dem das Sterben der Freundin und Ehefrau immer auch mit anwesend ist.
„Ivo“ ist ein großzügiger und offener Film. Er besteht nicht auf Antworten und Thesen, sondern stellt vielmehr unterschiedliche Beobachtungen, Fragen und Empfindungen, die mit dem Sterben zu tun haben, nebeneinander: Pragmatismus und innerer Aufruhr, das Banale und das Erschütternde, Bewegung und Stillstand. Anders als Jessica Krummacher in „Zum Tod meiner Mutter“ (2022) sucht Eva Trobisch nicht nach Abstraktion und Reduktion, sondern nach Fülle und Gleichzeitigkeit. Gleichwohl ist ihr Realismus nicht auf das bloße Abbilden äußerer Handlungen beschränkt, sondern impressionistisch aufgebrochen und von Ivos Empfindungen und Blicken durchdrungen. Die durch den Einsatz von 16mm-Objektiven aufgebrochenen digitalen Bilder sind lichtdurchflutet und haptisch; von den körperlichen Verfallsprozessen wirken sie gänzlich unberührt. Das Wissen um die Endlichkeit von Leben wirkt wie ein Wahrnehmungsverstärker.