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Filmkritik
Das Leben: ein Jammertal. Ebenso freud- wie sinnlos, findet Abe Lucas. Seinen Weltekel und sein Unglück zelebriert der Philosophieprofessor in zahllosen Dialogen und Voice-Over-Kommentaren. Man kann davon ausgehen, dass sich darin auch sein Schöpfer Woody Allen spiegelt. Der suhlt sich ja auch gerne, wenn auch einigermaßen kokett und mit viel Ironie, in der Sinnlosigkeit des Hier und Jetzt, ob in Interviews oder in seinen Filmen. Doch dann findet Abe Lucas doch noch einen Sinn und Freude in seinem Leben – ausgerechnet durch den Mord an einem Richter, eine seiner Meinung nach moralische Tat. Man kann sich nicht ganz des Eindrucks erwehren, dass auch Woody Allen selbst – wenn auch auf künstlerischem Gebiet – seit knapp zehn Jahren auf der Suche nach etwas ist, das ihn erfüllen könnte – aber es meist nicht (mehr) zu finden vermag. Es gab zwar mit „Midnight in Paris“ (fd 40 602) und „Blue Jasmine“ (fd 42 016) positive Ausnahmen, doch die allermeisten der im Jahrestakt produzierten Woody-Allen-Filme fielen zuletzt doch eher in die Rubrik „nett, aber belanglos“. „Irrational Man“ ist einer der besseren unter den jüngsten Allen-Filmen, aber auch hier gebricht es Buch und Regie an Leidenschaft und Tiefe. Der Film setzt mit Abe Lucas’ Ankunft in dem verschlafenen College-Nest Braylin in Neuengland ein. Dem Professor, der früher angeblich als Krisenhelfer in Darfur und Bangladesch arbeitete, eilt der Ruf eines brillantes Kopfes, aber auch der eines vom Schicksal gebeutelten Schwerenöters voraus. Während er mit seiner Kollegin Rita prompt eine Affäre beginnt, freundet sich Abe mit der Studentin Jill an und führt mit ihr endlose Gespräche über das Leben, die Liebe und die Philosophie – was in Abes Augen eigentlich „verbale Masturbation“ oder schlicht „Bullshit“ ist. Eines Tages belauschen die beiden eine verzweifelte Mutter, der von einem korrupten Richter das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen werden soll. Abe ist wie elektrisiert: Plötzlich erkennt er eine Aufgabe, für die es sich zu leben lohnt. Er plant minutiös den „perfekten Mord“, was ihm ungeahnte Energie und Lebensfreude beschert. Zugleich gibt Abe Jills Avancen nach; die beiden werden ein Paar. Doch als der Richter tatsächlich ermordet wird und Jill zunehmend Abe der Tat verdächtigt, setzt sie ihm das Messer auf die Brust. Gegen Ende bekommt der Film noch einmal Drive, und die Auflösung besitzt einen schönen Witz. Doch auch hier spürt man, woran „Irrational Man“ krankt: all die angeführten Philosophen, von Kant über Husserl und Kierkegaard bis zu den Existenzialisten, werden nur an der Oberfläche zitiert, ohne die zentrale Frage wirklich je durchzuexerzieren: Kann es eine moralische Tat sein, jemanden umzubringen, der skrupellos seine Macht benutzt, um eine Familie zu zerstören? Jill, die angeblich doch so brillante Studentin, gibt offen zu, Abe argumentativ-intellektuell nicht beizukommen – und belegt ihre Einschätzungen mit ihrem „Gefühl“. Behauptung statt Auslotung. So ist das hier öfters: Schon zu Beginn, wenn Abe wiederholt die Originalität von Jills Hausarbeit lobt und ihren Mut, seine Thesen zu widerlegen, erfährt man mit keiner Silbe, worin ihre erfrischenden Gedanken eigentlich bestehen. So entsteht der Eindruck, dass Woody Allen sich das Philosophie-Mäntelchen vor allem aus Dekor-Zwecken umhängt. Was schade ist, denn die Idee des Films ist verführerisch. Doch so, wie sie hier ausgelotet wird, hätte auch die halbe Filmlänge gereicht. Den philosophischen Leerlauf füllt der Autor und Regisseur mit länglichen Voice-Over-Kommentaren von Abe und Jill, die ziemlich redundant das Geschehen wie ihre eigenen Emotionen zusammenfassen. Joaquin Phoenix und Emma Stone würde man auch lieber beim Spielen zusehen, anstatt ihnen immer nur zu lauschen – dass beide herausragende Darsteller sind, erfährt man hier nicht unbedingt. Natürlich unterhält der Film und plätschert in typischer Woody-Allen-Manier vor sich hin, mit manchem gewitzten Dialog, eingängigen Jazz-Stücken und einer eleganten Inszenierung. Allein, es fehlt an Tiefe und echtem Interesse, an Leidenschaft und inszenatorischen Einfällen. Denn natürlich misst man Woody Allen an seinem eigenen Werk.