Cast
Vorstellungen
Filmkritik
Alireza Khatami lebt im Iran, Ali Asgari in Frankreich. Die beiden Filmemacher haben gemeinsam Regie bei dieser mit bescheidenen Mitteln gedrehten Produktion geführt, die nicht die staatliche iranische Zensurbehörde durchlaufen hat. Der sarkastische Episodenfilm besteht aus kleinen Szenen, die sich aneinanderreihen, begleitet von dramatischen Bildern des städtischen Zusammenbruchs. In der Summe spiegeln sie die Absurdität des Regimes der Ayatollahs wider. Der Titel bezieht sich auf ein gleichnamiges Gedicht der feministischen iranischen Dichterin Forugh Farrokhzad, die 1967 bei einem Autounfall im Alter von 32 Jahren ums Leben kam.
Zunächst taucht man in den iranischen Alltag mit einem jungen Vater ein, der seinen Sohn beim Einwohnermeldeamt als David eintragen will. Die Behörde hält jedoch nichts von dieser Namenswahl, da der Vorname nicht in der offiziellen Liste der im Iran zugelassenen Vornamen steht. Der Staat liefert sich mit seinem Bürger einen irrwitzigen Dialog darüber, was ein muslimischer und ein biblischer Name ist, warum man einen Namen wählen darf und einen anderen ablehnen muss. Je länger man in den Genuss des schwarzen Humors dieses Schlagabtauschs kommt, desto beklemmender erscheint das Leben in Unfreiheit.
In grotesken Regeln verstrickt
Dann wechselt die beinahe statische Kamera, die sich keine Perspektivwechsel erlaubt, zu einem kleinen Mädchen, das das einschüchternde Gerede einer Verkäuferin kaum ertragen kann, während ihr ihre Schuluniform angezogen wird. Es ist eine Abaya in Kindergröße und ein Schleier, der ihr Mickey-Mouse-T-Shirt und die rosa Kopfhörer versteckt.
Sieben kleine Sketche folgen, die jeweils mit einem Vornamen eingeleitet werden. Sie lassen komödiantisch-ironisch eine Gesellschaft erkennen, die sich in einem grotesken Regelwerk verstrickt hat. Die Willkür der Anwendung dieser Regeln ist das Leitmotiv des Films, wenn etwa Autofahrer diskriminiert werden, weil sie Tattoos auf dem Oberkörper tragen. Ein Antragssteller, der seinen Führerschein verlängern will, muss sich entblößen und sich befragen lassen, warum er tätowiert sei. Dabei nimmt der Zuschauer immer wieder die Position einer Autoritätsperson ein: etwa der Behörde, der Schuldirektorin oder des Unternehmers, die man alle nicht zu Gesicht bekommt.
Nur derjenige, dem wie in Kafkas „Prozess“ etwas vorgeworfen wird, schaut direkt in die Kamera. Wie die junge arbeitssuchende Frau bei einem Vorstellungsgespräch in einem Hotelzimmer, die von einem sexistischen Arbeitgeber befragt wird, der ihre Position zu seinen Gunsten missbraucht. Er ermutigt sie dazu, ihren Hidschab abzulegen, sie sei schließlich in einem privaten Unternehmen. Später sieht man einen alten Mann in einem Hotelzimmer vor dem Hintergrund Teherans. Er könnte einer der „Täter“ sein, die das marode System am Leben halten.
Bigotte Bürokraten spielen sich auf
Allmählich verdüstert sich die Stimmung; die Interviewer aus dem Off werden bedrohlicher. Das Unbehagen wächst, auch verstärkt durch das Sounddesign von Alireza Alavian. Die Anschuldigungskette setzt sich wie in einer verselbstständigten Tretmühle fort: Einer jungen Frau wird vorgeworfen, ohne Hijab gefahren zu sein, einem Filmemacher, dass er in seinem Drehbuch den ideologischen Anforderungen der Zensur nicht entspreche. Die Regisseure lassen keinen Zweifel daran, dass der Verhaltenskodex, der durch die enge Auslegung des islamischen Rechts vorgeschrieben wird, für bigotte Bürokraten ein bequemes Mittel ist, um ihr Gegenüber zu unterdrücken und die eigene Position aufzuwerten.
Der formal minimalistische Rahmen macht es den Schauspielern unmöglich, der Kamera zu entkommen. Ihre Reaktionen schwanken zwischen Verwunderung, schwindender Hoffnung, Ekel und Resignation. Jedes Aufflackern des Gesichtsausdrucks, jede subtile Veränderung in der Körpersprache wird zu einer Geste des Widerstands von Machtlosen gegen institutionelle Entgleisungen. Der Wahnsinn, den die kleinen Amtstyrannen verbreiten, drängt sich ins Privateste hinein, in Bereiche, die nicht nur die iranische Diktatur zu kontrollieren versucht.
Religion als Werkzeug der Machthaber
Das Damoklesschwert einer ideologischen Auslegung des Korans schwebt über den Biografien. Sie lässt keinen Handlungsspielraum gegenüber einer übermächtigen Regierung, die Menschen wie Schachfiguren behandelt. Konsequent entlarvt der Film die wirkliche Motivation der rigorosen Sittenwächter und zeigt die Religion als Werkzeug des Machterhalts. „Irdische Verse“ ist ein mutiges und in Anbetracht der immer wieder aufkeimenden Revolte im Iran hochaktuelles kleines Meisterstück in der Tradition von Molières „Tartuffe“.