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Filmkritik
Ein echter Schiele ist auf dem Kunstmarkt ein Vermögen wert, und auch um die Werke anderer Maler und Bildhauer reißen sich potenzielle Käufer. Zur Not erstehen sie die Kunstwerke auch auf zwielichtigen Wegen. Da die meisten Klassiker bereits einen Besitzer haben, müssen professionelle Diebe bemüht werden, um sie zu erbeuten.
Nemo (Willem Dafoe) ist so ein Kunsträuber. Als Handwerker getarnt und mit einem Walkie-Talkie ausgestattet, über das ihm sein Auftraggeber Instruktionen erteilt, knackt er den Sicherheitscode zum Penthouse eines Kunstsammlers. Drinnen bleiben ihm nur drei Minuten, um ein paar handverlesene Gemälde zu stehlen. Doch das wichtigste Werk auf seiner Liste, ein Selbstporträt von Egon Schiele, ist nirgendwo zu entdecken – sehr zum Ärger des Auftraggebers. Also sucht Nemo weiter. Doch dann schnappt die Falle zu. Der Dieb ist in einem riesigen Luxusapartment gefangen, das mit allen erdenklichen High-Tech-Spielereien ausgestattet, aber auch als uneinnehmbare Festung gegen Eindringlinge jeder Art konzipiert ist.
Wie ein moderner Robinson Crusoe wird Nemo auf einer einsamen Insel hoch über Manhattan gefangen gehalten, ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt, nachdem sich die Batterie seines Walkie-Talkies verabschiedet hat. Als erstes lässt ihn sein Auftraggeber im Stich, nachdem der realisiert hat, dass der Dieb in der Falle sitzt. Auch zur Rezeption des Hauses oder durch die zentimeterdicke Eingangstür kann Nemo keinen Kontakt herstellen. Fortan ist er vollkommen auf sich selbst gestellt.
Ein Mann allein auf einer Insel
Man kennt Filme von unfreiwilligen Einsiedlern in abgelegenen Gegenden, denen ihr verzweifelter Überlebenswillen zu ungeahntem Einfallsreichtum verhilft. Während Tom Hanks in „Cast Away – Verschollen“ auf einer einsamen Südseeinsel das Feuermachen lernte und Fische fing, verschlug es Matt Damon in „Der Marsianer“ auf den roten Planeten. Nichtsdestotrotz züchtete er dort Kartoffeln, produzierte Wasser und überlebte mit Zuversicht und Können. Allerdings war seine Figur ein Botaniker; eine Qualifikation, die der Kunstdieb Nemo nicht besitzt. Deshalb dienen ihm anfangs die Überbleibsel aus dem High-Tech-Kühlschrank als Nahrung. Der smarte Apparat belehrt ihn auch, dass neue Vorräte gekauft werden müssen; wenn Nemo die Kühlschranktür zu lange auflässt, ertönt als Mahnung dezibelträchtig der Ohrwurm „Macarena“.
Das bewährt sich als Running Gag in einem unterhaltsamen Kammerspiel, das zunächst die Komik aus der absurden Situation des Protagonisten herauskitzelt. So beobachtet der Dieb durch die Überwachungskameras, die der Besitzer installiert hat, die Lobby und das Personal des Wolkenkratzers, wobei es ihm eine junge Putzfrau besonders angetan hat.
Doch sehr bald dämmert Nemo und mit ihm dem Publikum die Brenzligkeit der Situation. In der Wohnung wurde das Wasser abgedreht; außerdem spielt der Thermostat verrückt. Nur die alle paar Tage anspringende Bewässerungsanlage des apartmenteigenen Biotops sichert dem Einsiedler wider Willen das Überleben. Er leidet unter kaum erträglicher Hitze, Langeweile und Wut über seine Lage. Allmählich entwickelt er aber Überlebensstrategien. Er erkundet die gigantische Wohnung, die zum Gefängnis mutiert ist und allerlei Überraschungen für ihn bereithält.
Die Logik des Neoliberalismus
Mit der Arroganz des modernen Konsumenten von Abenteuerserien oder Do-it-yourself-Videos vertraut man auf versteckte Notausgänge oder zumindest einen rettenden Luftschacht. Doch Regisseur Vasilis Katsoupis lässt den Film in einer neoliberalen Gegenwart spielen, in der keine Wunder geschehen, sondern die Logik und die Macht des Geldes regieren. Denn die Zeit arbeitet gegen einen kleinen Gangster wie Nemo und stellt für Hyperreiche wie den Besitzer des Penthouses eine relative Maßeinheit dar. Er hat Kunstwerke von unschätzbarem Wert in seiner Behausung (einer von mehreren, wie man annehmen muss), alles für deren Schutz getan und muss sich deshalb nicht regelmäßig darin blicken lassen. Die Wände des modernen Bunkers bestehen aus festem Beton, die Fenster aus dezimeterdickem Panzerglas. Das Apartment mutiert mit all seinem neureichen Prunk und modernen Schnickschnack zum verwunschenen Schloss. Der Aufenthalt von Nemo, dem Ohnmächtigen, dessen Name etymologisch „niemand“ bedeutet, gerät zum Albtraum im Wachzustand.
In Zeiten, wo Van-Gogh-Gemälde die Schallmauer von 100 Millionen Dollar durchbrochen haben, wird immer offensichtlicher, dass Kunst ein Luxus für Wohlhabende ist, die als Statussymbol und Kapitalanlage fungiert. Symbolisch für die verzweifelte Situation des Protagonisten steht eine verletzte Taube, die es während eines Sturms auf die für Nemo unerreichbare Terrasse des Apartments verschlagen hat und die genauso ums pure Überleben kämpft. Nemo wird immer mehr bewusst, dass man Kunst und Luxusmöbel nicht essen und mitten in einer sozial unbarmherzigen Zivilisation verenden kann.
Eine darstellerische Tour de Force
Getragen wird der Film durch die Leistung von Willem Dafoe, der neben dem beeindruckenden Szenenbild des Penthouses, das ebenfalls die Funktion einer Figur einnimmt, als (fast) einziger Darsteller des Films wirkt. Mit vollem physischem Einsatz macht er die Verletzlichkeit seiner Figur deutlich, rennt buchstäblich gegen Mauern an und scheut sich auch nicht, seinen vom Alter gezeichneten Körper ungeschönt einzusetzen und zu entblößen. Nicht vielen Schauspielern würde eine solche Tour de Force gelingen, zumal Dafoe es gleichzeitig schafft, seine Figur das gesamte Spektrum der Gefühle durchleben zu lassen – von Zuversicht zu Verzweiflung über Hoffnung und dann wieder zurück zur Desillusion.