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Filmkritik
Dieser Hügel ist erstürmt. Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg stand auf dem höchsten Punkt der Insel Manhattan das Fort Washington, als New Yorker Viertel erhielt die Umgebung deshalb später den Namen Washington Heights. Dessen latinoamerikanische Bewohner Ende des 20. Jahrhunderts nennen ihre Nachbarschaft schlicht „The Heights“, so wie Usnavi, der Gemischtwarenhändler aus der Dominikanischen Republik, der zu Beginn des Musicals „In the Heights“ in sein Viertel einführt. Dort kokettiert man damit, eine Insel innerhalb einer Insel zu sein, auch wenn die George-Washington-Brücke den Horizont dominiert und der Weg aufs Festland von „Nueva York“ so leicht und nahe scheint: Doch zwischen „Bodegas“ und „Piragua“-Händlern, dem Friseursalon für spanischsprachige Klientel und weiteren kleinen Geschäften pflegt die Gemeinschaft ihre Traditionen, steht füreinander ein und ist in Usnavis Beschreibung augenscheinlich durchaus zufrieden, auch wenn Armut verbreitet und die Aussichten für die Zukunft nicht unbedingt rosig sind. Auswanderungsgedanken, ob aus finanziellen Gründen in die New Yorker City oder aus persönlichen in die alten Heimatländer, sind immer präsent, doch mehr als Traum denn als konkreter Plan.
Ein Querschnitt durch den Heights-Alltag im heißen Sommer 1993
Noch bevor der Komponist und Songtexter Lin-Manuel Miranda mit seinem Gründerväter-Musical „Hamilton“ ab 2015 ein internationales Bühnenphänomen schuf, reüssierte er bereits 2008 mit seinem ersten Musical „In the Heights“ als Autor und Hauptdarsteller am Broadway. Den Stoff hatte der 1980 geborene Sohn puerto-ricanischer Eltern, der selbst in Washington Heights und im benachbarten Stadtteil Inwood aufwuchs, bereits als Student konzipiert: Ein Querschnitt durch den Heights-Alltag im heißen Sommer 1993 mit sich parallel entfaltenden Geschichten um einige herausgegriffene Bewohner wie Usnavi, die großmütterliche Viertel-Veteranin „Abuela“ Claudia, den Taxifahrer Kevin Rosario und seine Tochter Nina, die es anders als viele andere aus Washington Heights heraus und an die Stanford-Universität geschafft hat, den in sie verliebten Afroamerikaner Benny sowie die Friseurinnen des Salons, darunter Vanessa, Usnavis heimlicher Schwarm.
Die Verfilmung durch Jon M. Chu nutzt diese Vielzahl an Mosaiksteinen schon in der Eröffnungssequenz als Gelegenheit für elegante Verlagerungen der Schauplätze und setzt sie auch fortan ein, um den Atem des Viertels einzufangen. Im Kino sonst bislang kaum präsent, nutzt die Inszenierung so von Beginn an die Chance, einer marginalisierten Gegend von New York zu Sichtbarkeit zu verhelfen und Stolz, aber auch Ängste ihrer Bevölkerung zu formulieren. Es braucht nicht erst einen umfassenden städtischen Stromausfall ungefähr in der Mitte des Musicals, damit diese sich „powerless“ fühlen (allerdings verstärkt die wochenlange Notsituation das vorherrschende Gefühl natürlich noch).
Existenzielle Härten und kreative Reaktionen
Zugleich hält die verschworene Gemeinschaft fest zusammen, wenn es um Nachbarschaftshilfe geht, allen voran Abuela Claudia, die fünfzig Jahre zuvor als Kind nach Washington Heights kam und später mangels eigener Familie das ganze Viertel quasi adoptierte. Ihre Erinnerung an ein stets schweres Leben ist einer der emotionalen Höhepunkte des Films, der vignettenhaft die Problemlagen der Figuren ausbreitet: Usnavi strauchelt mit seinem Laden, bei dem nicht nur versagende Kühlschränke in der Sommerhitze existenzgefährdend sind, und wirbt schüchtern um Vanessa; Nina gerät mit ihrem Vater aneinander, weil der zur Finanzierung ihres Studiums sein Taxiunternehmen abstößt.
Alle Figuren spekulieren zudem, wer aus ihrer Mitte der Besitzer eines Lotterie-Gewinnertickets ist und damit womöglich alle Sorgen hinter sich lassen kann. Hinzu kommt der Blackout, der Plünderungen, Not und Tristesse, aber auch kreative Reaktionen herbeiführt.
Alltagsgeräusche mischen sich mit Rap und Salsa
Bei all der Fülle an Handlungsfäden besitzt „In the Heights“ allerdings keinen großen Handlungsbogen oder eine solche dramatische Kraft wie „Hamilton“. Auch fehlt eine starke Konfliktlinie, wie sie etwa „West Side Story“, als Musical über die latinostämmige Bevölkerung New Yorks ein wichtiger Vorgänger von „In the Heights“, mit seinen feindlichen Gangs besaß. Hier dagegen entsteht nie der Eindruck, dass sich die Probleme als unüberwindbar erweisen könnten. Das verschafft dem über zweistündigen Film einige Längen, auch wenn die Abfolge von Solo-, Duett- und Gruppennummern zwischen Salsa und Rap abwechslungsreich und immer wieder auch inszenatorisch innovativ ist. So lässt Jon M. Chu Alltagsgeräusche in die Musik einfließen, fügt animierte Elemente ein, verweist in einer im Schwimmbad spielenden Sequenz auf die musterartigen Wasserchoreografien von Busby Berkeley oder erlaubt dem Liebespaar Benny und Nina, die Schwerkraft zu überwinden und senkrecht eine Hauswand hinaufzutanzen.
Diese technische Originalität hilft „In the Heights“ ebenso wie die ausnahmslos guten Darsteller, in der Spur zu bleiben und die Anteilnahme am Geschehen in Washington Heights wachzuhalten. Das im Übrigen auch bei aller musicalgemäßen Märchenhaftigkeit ein durchaus realistisches Abbild lateinamerikanischer Lebensrealität umfasst, die im US-Kino noch immer beschämend unterrepräsentiert ist.