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Filmkritik
Die lichten, weitläufigen Räume der Luxusmarke VHB Exquisit betritt eine junge Frau wie ein Zauberland. Schon das Logo, ein kleines, geschwungenes „e“, strahlt etwas Magisches aus. Eine Welt voller Farben, Bewegungen und schillernder Gestalten öffnet sich ihr. Mit staunenden Augen bahnt sich Suzie (Marlene Burow) ihren Weg zwischen Kleiderständern, Spiegeln und plüschigen Sitzinseln, umgeben vom geschäftigen Treiben der Näherinnen, Models, Fotografen und Stylistinnen. Der sozialistische Alltag in der Fabrik könnte kaum weiter entfernt sein. Dabei stand Suzie gerade noch im Kabelwerk Oberspree an der Maschine und bohrte mit verbitterter Miene Löcher in Bleche.
Eine Zukunft als Mannequin
„In einem Land, das es nicht mehr gibt“ klingt ein wenig geheimnisvoll und fern, fast wie ein Märchen. Tatsächlich erinnert der Film von Aelrun Goette, der ihre eigenen Erinnerungen an die 1980er-Jahre mit einem Blick auf die Modeszene der ehemaligen DDR verbindet, manchmal an eine Aschenputtel-Geschichte. Ein Foto in der Straßenbahn, aufgenommen auf dem Weg zur Arbeit im Morgengrauen, bringt Suzie in die Zeitschrift „Sibylle“ und eröffnet ihr plötzlich eine Zukunft als Mannequin. Eigentlich wollte die kurz vor dem Abitur stehende Ostberlinerin Literatur studieren. Doch nachdem sie mit dem Roman „1984“ von George Orwell in der Tasche erwischt wurde, verwies man sie von der Schule und schickte sie in die Fabrik. Der Traum von einem Leben als Schriftstellerin ist zunichte; Suzie soll sich als würdiges Mitglied der sozialistischen Gesellschaft bewähren.
Einen Ausweg verspricht die Modewelt; hier findet auch ihr Freiheitsbegriff Resonanz. Denn auch wenn die Exquisit ein volkseigener Handelsbetrieb und mit der Partei eng verwoben ist, scheint das Unternehmen ein Sammelbecken für Paradiesvögel und Unangepasste zu sein. Der Fotograf Coyote (David Schütter), in den sich Suzie verliebt, hat offiziell Arbeitsverbot, macht aber über Umwege Bilder für die „Sibylle“. Über das Fotografieren spricht er so wie über die Liebe. Rudi (Sabin Tambrea), Stylist und Designer, lebt offen schwul und veranstaltet Modenschauen im Berliner Mode-Underground. Und auch das, was die Redakteurin Elsa (Claudia Michelsen) gelegentlich von sich gibt, klingt nicht immer ganz parteikonform.
Scheinbar unverträgliche Lebenswelten
Der Film lebt vom Kontrast zweier scheinbar unverträglicher Lebenswelten: auf der einen Seite graue Arbeitsoveralls, Maschinenlärm, schwielige Hände und ein bei allem Rumgemotze solidarisch funktionierender Gemeinschaftskörper, auf der anderen Glamour, Oberflächen und individuelle Exzentrik. Aelrun Goette stellt Fabrik und Mode jedoch eher nebeneinander, als das eine gegen das andere auszuspielen. Das Covershooting für die nächste Ausgabe der „Sibylle“ findet prompt im Kabelwerk statt. Am Anfang stakst Suzie in ihrer hochgeschlossenen goldfarbenen Robe noch wie ein verschrecktes Küken zwischen Maschinenteilen und rauchenden Arbeiterinnen vor die Kamera; „albern“ und „so ein Theater“ schimpft der Werksleiter. Erst als Coyote die Regie übernimmt, lockert sich die Situation. Er fotografiert die junge Frau an ihrer Maschine, holt ihre Kolleginnen von der Brigade mit ins Bild und weicht mit seinem butterweichen Charme auch die grummeligste Arbeiterin auf.
Goette, die auch als Dokumentaristin bekannt ist, wurde wie Suzie auf einer Straße in Ostberlin als Mannequin entdeckt. Die DDR ist nicht gerade als Mekka der Couture bekannt, hatte aber durchaus eine eigene Mode-Historie, die es wert ist, auch in einem populären Film erzählt und gefeiert zu werden. „Das ist einfallslos und bieder. Wir sind hier doch nicht bei der Brigitte“, ätzt „Sibylle“-Chefin Elsa einmal. Das als „Ost-Vogue“ bekannte Journal propagierte ein starkes Frauenbild und war innerhalb der ideologischen Grenzen der staatlichen Medienpolitik überaus experimentierfreudig.
Reverenz an die Mode-Avantgarde der DDR
„In einem Land, das es nicht mehr gibt“ erweist aber vor allem der Mode-Avantgarde der DDR, vor einigen Jahren auch Gegenstand des Dokumentarfilms „Ein Traum in Erdbeerfolie“, Reverenz. Modegruppen wie „Schick, charmant und dauerhaft“, auf die der Film anspielt, machten aus dem Mangel eine Tugend, ihre Entwürfe waren aus Erdbeerfolie, Duschvorhängen und aus der Charité entwendeten Leichensäcken gefertigt. Dass der Nonkonformismus des Mode-Undergrounds auf den Widerstand des Staates traf, ist kaum verwunderlich. In Goettes Film gerät vor allem Rudi immer wieder in die Schusslinie, insbesondere als er sich als queere Braut in eine Modenschau hineinschleicht.
Das Anarchische des Undergrounds geht in Goettes buntem Filmbonbon ziemlich unter. Überhaupt gibt es wenig Interesse an Materialien, Texturen oder der Anfertigung all der abgefahrenen Kleidungsstücke. Über das opulente Wimmelbild kommt der Film eigentlich nie heraus. Dazu ist die Inszenierung auch viel zu sehr mit dem Plot beschäftigt. Bei der Schau in Leipzig, wo Suzie ihr Debüt auf dem Laufsteg gibt, gerät alles aus dem Ruder; auch das Drehbuch kommt dabei ins Schleudern; eine etwas alberne Episode um eine eifersüchtige Kollegin kokettiert gar mit „Showgirls“ von Paul Verhoeven.
Verspielte Modenschauen und die Stasi
Mit dem Auftritt der Stasi entwickelt sich der Film dann auch doch zu dem erwartbaren DDR-Historienbild, das er eigentlich gar nicht sein will; auch die verspielte Modenschau mit Gasmasken, Peitschen und Skeletten kann daran nichts ändern. Die Freude allerdings, mit der Goette dem noch immer weit verbreiteten Bild des „grauen“ Ost-Alltags widerspricht, ist dem Film immer anzusehen – „Weißt du, alt kann man sein, aber nicht beige.“