Vorstellungen
Filmkritik
Was heißt schon „einmal um die ganze Welt“? Heute setzt man sich in den Flieger und ist in zwei Tagen wieder zurück. Als Jules Verne seinen Roman „Reise um die Erde in 80 Tagen“ im Jahr 1873 veröffentlichte, war das Reisen noch eine echte Herausforderung. Neben der initialen Wette des englischen Pünktlichkeitsfanatikers Phileas Fogg, das Unmögliche in unmöglicher Zeit zu schaffen, interessierte den Romancier zudem ein anderes „Detail“: der Weg als das eigentliche Ziel.
Nichts ist schöner, als einer Hatz beizuwohnen, die durch unbekanntes Terrain führt. Das war vor 150 Jahren nicht anders als heute, was die zahlreichen Adaptionen des Stoffes hinlänglich belegen. Für jüngere Zuschauer ist die Idee einer Reise um die ganze Welt anscheinend noch eine faszinierende Vorstellung. Doch wie kann man die immensen Entfernungen und die für junge Zuschauer nicht minder große Zeitspanne von 80 Tagen in Bilder und Erfahrungen fassen?
Action, Geschrei und Tumult
Vor dieser Aufgabe haben die Drehbuchautoren des Animationsfilms „In 80 Tagen um die Welt“ schnell kapituliert. Denn bis auf den Titel ist vom Geist des Romans und seines Schöpfers nicht viel übriggeblieben. Vom Reisen und den Abenteuern, der Hatz und der tickenden Uhr, aber auch all den Gefahren ist nicht viel beibehalten worden. Was zählt, ist Action, Geschrei und Tumult.
Gerry Swallow und David Michel haben die Geschichte im Reich der Tiere angesiedelt. Das ist an sich eine gute Idee, weil ein surfender Laubfrosch und ein Pinselohräffchen oder eine renitente Spitzmaus allemal eingängiger sind als ein pedantischer Brite, sein Diener und ein paar versnobte Aristokraten. Deshalb spielt der Film auf einer kleinen Insel, wo ein Frosch namens Phileas Frogg das unter der Fuchtel seiner Mutter stehende Äffchen Passepartout anstiftet, die große weite Welt kennenzulernen.
Phileas, dem der Ruf vorauseilt, ein Blender, Draufgänger oder gar Bankräuber zu sein, zieht nicht nur den naiven Passepartout in Bann, sondern kann auch eine Gruppe zwielichtige Shrimps bewegen, 10 Millionen Muscheln zu wetten, dass er es nicht schaffe, die Welt binnen 80 Tagen zu umrunden. Gesagt, getan und los geht die Reise. Ganz zum Unwillen der allein gelassenen Affenmutter und der Inspektorin Fix, einer renitenten Wüstenrennspitzmaus, die sogleich die Verfolgung aufnimmt.
Bis die Fetzen fliegen
Es erstaunt, dass die Chronologie der verstreichenden Tage gleich nach Beginn der Reise völlig egal zu werden beginnt. Die Zahl der Tage wird immer nur dann per Countdown eingeblendet, wenn eine Zeitraffersequenz dafür herhalten muss, dass den Autoren nichts Handlungstreibendes eingefallen ist. Wenn die Raffung dann für wenige Minuten innehält, ist der Ort und die zurückgelegte Entfernung auch für erwachsene Zuschauer nur zu erahnen. So bleibt es etwa völlig schleierhaft, warum schon in den ersten Minuten der Reise auf einem Hochseeraddampfer die Protagonisten offensichtlich „Wochen später“ übergangslos in einer „menschenleeren“ Wüste landen.
Die episodenhafte Auseinandersetzung mit einer Horde Skorpione um einen wasserspendenden Kaktus lässt erahnen, auf was es den Machern ankommt: punktuelle Handgreiflichkeiten, bei denen die Fetzen fliegen. Hier wird gerannt, da auf Sand gesurft, dort mit Schienenfahrzeugen davongerauscht wie weiland Indiana Jones. Immer verfolgt von der Inspektorin Fix oder anderen Figuren, die mit der eigentlichen Handlung nichts gemein haben.
Die Zeit verrinnt mit Nebensächlichkeiten, und weder die Protagonisten noch die Antagonisten verschwenden viele Gedanken an das, worum es eigentlich geht.
Viel Sinn macht das Spektakel nicht
Da der letzte, 79. Tag gut ein Drittel des Films einnimmt, scheint dies jedenfalls nicht das Tempo zu sein. Denn während die Filmminuten nur so verrinnen, besuchen Phileas und Passepartout noch eben mal ein Museum von und mit Juan Frosch de Leon, dem bisherigen „Reise um die Welt“-Rekordhalter. Und wenn alle mehr oder minder pünktlich wieder am Ausgangspunkt der Reise angekommen sind, muss auch noch die wahre Gesinnung von Inspektorin Fix umgekehrt werden – weil es in Kinderfilmen offensichtlich immer eine klare Verteilung von „Gut und Böse“ geben muss. Sinn macht das ganze Spektakel ohnehin nicht; zumindest in diesem Aspekt bleibt das Drehbuch konsequent bis zum Schluss.
Audiovisuell beschränkt sich „In 80 Tagen um die Welt“ auf eine schlicht gehaltene dreidimensional anmutende Computeranimation, in der Frösche Zähne haben und stets gleich groß sind wie Schnecken, Shrimps, Skorpione oder Affen. Tiere sind hier eben doch nur Stellvertreter für die Menschen. Was mehr als schade ist, denn gerade über die tierischen Zeitgenossen hätte man die Dimension von Raum und Zeit, aber auch die Gefahren des Alltags für Kinder wunderbar greifbar machen können. Die Macher aber zielen auf vordergründige Pointen, gefallen sich in Klischees und Geschrei und agieren auch handwerklich eher ungelenk und ohne Sympathie für die Figuren. Für das postulierte „große Abenteuer“ ist das nicht nur zu wenig, sondern ein Armutszeugnis.