- RegieNora Fingscheidt
- ProduktionsländerVereinigte Staaten
- Produktionsjahr2021
- Dauer113 Minuten
- Cast
- AltersfreigabeEdad 0
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Absolution ist kaum möglich im amerikanischen Justizsystem. Das muss auch die Mittvierzigerin Ruth Slater (Sandra Bullock) feststellen, als sie aus dem Gefängnis entlassen wird. Vor 20 Jahren hat sie einen Beamten erschossen, der die Räumungsklage ihres Elternhauses durchsetzen wollte. Ruth wehrte sich, um ihrer damals erst vierjährigen Schwester Katy weiter ein Zuhause und eine Familie bieten zu können. Der Film „The Unforgivable“ macht dieses Stigma gleich zu Beginn deutlich. Der Job als Schreinerin, den sie sich organisiert hatte, platzt – der Arbeitgeber hat ihre Akte überprüft und schüttelt nur den Kopf. Sie ist und bleibt eine Polizistenmörderin, drinnen wie draußen. Ihr einziger Bezugspunkt ist ihr Bewährungshelfer, der ihr einen Job in einer Fischfabrik verschafft. Die Regeln sind klar: kein Alkohol, keine Drogen, kein Kontakt zu anderen Ex-Knackis.
Sandra Bullock spielt diese gebrochene Frau und fungiert zugleich als Produzentin. Die deutsche Filmemacherin Nora Fingscheidt, die 2019 mit dem rauen Sozialdrama „Systemsprenger“ auch international auf sich aufmerksam machte, führte Regie. Es wirkt wie eine Traumpaarung, denn Ruth Slater ist wie das Problemkind Benni aus „Systemsprenger“ eine soziale Außenseiterin auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt. Sie macht sich auf die Suche nach ihrer Schwester Katie, die bei Adoptiveltern aufwuchs und nichts von Ruths Schicksal weiß. Lediglich Erinnerungsfetzen plagen sie in Episoden zwischen Halluzination und Ohnmacht – ein Anfall gleich zu Beginn des Films führt zu einem Autounfall und löst bei Katie eine Kaskade an Träumen und Erinnerungen aus.
Das Sozialdrama wird zum Thriller
Parallel zu Katies Halluzinationen erzählen eingestreute Rückblenden von den Ereignissen, die zu Ruths Inhaftierung führten: der Selbstmord des alleinerziehenden Vaters, der Räumungsbeschluss, Ruth, die sich panisch dagegen wehrt, Flucht, ein letztes Beisammensein mit der Schwester, bevor sie sich der Polizei stellt. Diese Gedankenfetzen laufen schnell quer zueinander und entwickeln eine Eigendynamik, die vermutlich Begriffe wie Gerechtigkeit, Vergebung, Buße und Vergeltung reflektieren soll. Allerdings bewirkt die wirre Struktur beinahe das Gegenteil, denn sie überführt das anfänglich eingeleitete Sozialdrama in einen Thriller, in dem nicht klar ist, was aufgedeckt werden soll: Ruths Motivation, ihre Schuld, oder gar ihre Unschuld?
„The Unforgivable“ ist eine Adaption der britischen Miniserie „Unforgiven“ aus dem Jahr 2009. Die Handlung wurde von Yorkshire nach Seattle verlagert, ansonsten orientiert sie sich weitestgehend an der Vorlage. Erstaunlicherweise ist der Film kaum kürzer als die dreiteilige Serie, wirkt jedoch trotzdem so, als sei eine weitaus tiefgründigere Handlung und Figurenzeichnung stark vereinfacht und zusammengekürzt worden.
Zerfallende Bruchstücke
Nora Fingscheidt bewies in „Systemsprenger“ Stärke, indem sie nah an den Menschen und ihren Beweggründen blieb und so nicht nur genau dokumentierte, wie das deutsche Sozialsystem an einem kleinen Mädchen scheitert, sondern auch wie einfühlsame Helfer an den starren Mechanismen und Hebeln dieses Systems verzweifeln. Unglücklicherweise kann sie diese Feinfühligkeit in „The Unforgivable“ kaum ausspielen, zu schwarzweißmalerisch ist das Drehbuch von Peter Craig, Hillary Seitz und Courtenay Miles, das ihr hier vorgelegt wurde. Es bleibt zu befürchten, dass die drei Autor:innen hier gegenseitig nur verschlimmbessert haben, denn dass Hillary Seitz in der Lage ist, ein dichtes und verschachteltes Drehbuch zu schreiben, hat sie 2002 mit „Insomnia“ bewiesen, das von Christopher Nolan verfilmt wurde. Leider bleiben bei „The Unforgivable“ nur zerfallende Bruchstücke dieser Technik übrig.
Da helfen dann auch verästelnde Handlungsstränge um einen Anwalt, der zufälligerweise in Ruths altem Haus wohnt und ihr nach kurzem Zögern Hilfe anbietet, die auf Rache sinnenden Söhne des getöteten Polizisten, sowie eine kurz aufkeimende Freundschaft zu einem Kollegen in der Fischfabrik kaum, um dieser Figur Tiefe zu verleihen oder systemische Schwachstellen aufzudecken. Was in den Händen von Nora Fingscheidt ein vielversprechendes und einfühlsames Sozialdrama hätte werden können, endet letztlich als flacher und willkürlicher Thriller.