- RegieRalf Bücheler
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2023
- Dauer102 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 12
Vorstellungen
Filmkritik
Wölfe haben in Deutschland Konjunktur. Das hat viele Gründe, unter anderem auch den, dass sie hier allmählich wieder heimisch werden. Seitdem die Raubtiere unter strengen Naturschutz gestellt wurden und nicht mehr bejagt werden dürfen, wandern die großen Beutegreifer aus Osteuropa Richtung Westen. In der Lausitz oder der Lüneburger Heide, aber auch im Bayerischen Wald und in den Alpen haben sie sich erfolgreich etabliert. Die Wolfsrudel sind dabei weder auf Wildnis noch auf Wälder angewiesen, sondern finden auch in der Kulturlandschaft ihre Nischen. Das geht nicht ohne Konflikte und teilweise heftige Kontroversen ab, weil Bauern, Schafzüchter und Jäger unter der neuen Konkurrenz leiden; auch auf der politischen Bühne entbrennt mitunter der Kampf um Wohl oder Wehe der Raubtiere.
Der Titel des unaufgeregten und im besten Sinne dokumentarischen Films „Im Land der Wölfe“ von Ralf Bücheler hält den veränderten Umgang mit dem Wolf bereits im Titel fest. Denn die sogenannte „Rückkehr“ der Wölfe ist kein Akt der Gnade, den die Menschen einer ausgerotteten Tierart gewähren. Es ist vielmehr der natürliche Lauf der Dinge, dass sich Wölfe in Westeuropa ausbreiten, wenn die Menschen dies nicht brutal verhindern. Der Naturschutz hat dabei schon lange den Nutzen des Wolfes erkannt, dessen Anwesenheit zu einer höheren Biodiversität und Vitalisierung der Natur führt. Denn Wölfe halten die Anzahl der Rehe, Hirsche und Wildschweine in Grenzen, und sorgen durch ihre Risse dafür, dass das Nahrungsangebot für andere Arten steigt. Nur für die Weidetierhalter ist der Wolf immer noch das mythologische Monster, das aus purer Mordlust in Schafs- und Ziegenherden einfällt und so viele Tiere wie möglich reißt.
Engmaschige Studien über die Wölfe
Mit den Folgen eines solchen nächtlichen Überfalls beginnt der Film, der sich an die Fersen einer Handvoll Menschen heftet, die in ihrem Berufsleben mit dem Wolf zu tun haben. Auf der ostdeutschen Weide ist es eine Mitarbeiterin des „LUPUS-Instituts“ aus Hoyerswerda, die wenig zimperlich die toten Schafe untersucht und anderntags einen überfahrenen Wolf am Straßenrand einsammelt. Der wird wie jeder andere tote Wolf in Deutschland nach Berlin zum Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung geschickt, wo der Kadaver nach allen Regeln der Pathologie seziert, analysiert und genetisch bestimmt wird; das Land lässt sich die Erforschung der Wölfe und ihrer Ausbreitung etwas kosten.
Das ist auch sinnvoll, wie man bei einer Anhörung des Bundestagsausschusses für Umwelt im Januar 2023 im Detail nachvollziehen kann. Ausschnitte der Diskussionen von Abgeordneten, Ministerialbeamten und Sachverständigen lassen sich im Film gut mitverfolgen, da sie immer wieder zwischen die anderen Erzählstränge geschnitten werden; unter der Hand entpuppt sich „Im Land der Wölfe“ fast als mustergültiges Plädoyer für die Demokratie, da der Film nicht nur die unterschiedlichen Seiten zu Wort kommen lässt, sondern mit großer Plausibilität nachzeichnet, wie eine so widersprüchliche Materie wie der Umgang mit Wölfen in einem geordneten Verfahren Schritt für Schritt einer Lösung zugeführt wird.
Die große Wolfsdemo im Oktober 2021 in München, wo rund 1500 Vertreter bäuerlicher Organisationen lautstark für den Schutz der alpinen Weidetierwirtschaft gegen Wolf, Bär und Luchs warben, wirkt demgegenüber grotesk parteiisch und beinahe karnevalesk. Denn das Thema „Wolf“ erschöpft sich eben nicht in der Perspektive derjenigen, die um die Früchte ihrer harten Arbeit bangen. Der wissenschaftliche Ansatz, wie er im Film durch die Arbeit des Senckenberg-Instituts in Gelnhausen bei Frankfurt sichtbar wird, mag zwar in Ohren eines leidgeprüften Schäfers wie pure Zeitverschwendung klingen, lässt in der Fülle der ausgebreiteten Fakten aber doch eine hohe Rationalität erkennen.
Mit nüchternem Gestus
Wobei es Bücheler nicht bei einer rein argumentativen Ebene belässt. Die Inszenierung greift ungeniert auf Bildmaterialien aus fremden Quellen zurück, unter anderem aus automatischen Kamerafallen, die tagsüber oder auch im Nachtsichtmodus das Treiben der Tiere dokumentieren. So sieht man einem Hirsch minutenlang dabei zu, wie er sich in einem Flussbett eines immer wieder angreifenden Wolfs zu erwehren versucht; Tage später liegen seine blutigen Knochen am Ufer. Die starren Aufnahmen der Kamerafalle unterbinden jede Identifikation und die mitleidlose Dauer auch andere anteilnehmende Regungen.
Das hat so gar nichts mit dem Wohlfühlgestus gängiger Tierdokumentationen zu tun, in denen die Natur zum wohltemperierten Spektakel mutiert und selbst das Fressen und Gefressenwerden ins telegene Staunen eingebunden bleibt. Dennoch ist man froh, auf eine Figur wie den beleibten Hotelier aus dem Wendland zu treffen, der Menschen durchs Wolfsrevier führt und ihnen all das nahebringt, was die wenigsten von ihnen wissen: handfeste Informationen über das Verhalten der Wölfe und warum man ihnen fernbleiben sollte, selbst wenn Menschen nicht zu ihrem Beuteschema gehören.
Der Feind: das Auto
Das Erfrischendste an „Im Land der Wölfe“ aber ist die uneitle Machart, die einzelne Segmente wie die Ausbildung von Herdenschutzhunden oder eine Episode mit einem Oberpfälzer Schäfer im Film belässt, weil sie wichtige Aspekte beisteuern, ohne sich um eine elegante Einbindung oder eine polierte Argumentation zu kümmern. Deshalb sieht man im Leibnitz-Institut in Berlin auch der Pathologin dabei zu, wie sie ungerührt zur Klinge greift und mit kräftigen Schnitten das Innere des toten Wolfes freilegt. Sie sucht nach den Spuren von Kämpfen, Verletzungen und Krankheiten, um Schicht für Schicht die biologische Geschichte dieses Wolfes zu analysieren. „Sie halten viel aus“, sagt sie, „manche haben Zähne verloren, Knochenbrüche hinter sich, auf viele wurde geschossen.“ Der größte Feind der Wölfe aber ist in Deutschland das Auto. Ihm fallen Jahr für Jahr zwei Drittel aller getöteten Wölfe zum Opfer.