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Filmkritik
Der Krankenhaus-Onkologe Pierre hat sie vor der Suppe aus dem Automaten gewarnt. Shauna wählt sie trotzdem. Sie ist hier, um ihre im Sterben liegende Freundin zu begleiten, und das heiße, salzige Zeug spendet ein wenig Trost. Doch vor allem Pierre spendet Trost. Eine Weile sitzen sie im Halbdunkel zusammen und reden.
15 Jahre später begegnen sich die beiden zufällig wieder. Ein Kollege von Pierre ist der Sohn der damals verstorbenen Freundin, die 70-jährige Shauna, eine ehemals erfolgreiche Architektin, inzwischen so etwas wie seine Ersatzmutter. Pierre erinnert sich sofort an sie. Sie nicht an ihn. Mit den Gesten und Blicken aber kommt auch bei ihr allmählich die Erinnerung wieder und das Gefühl der Vertrautheit, einer geradezu schicksalhaften Verbundenheit und Nähe. Pierre, verheiratet und mehrfacher Vater, verlor nur wenige Tage vor ihrer ersten Begegnung sein Kind. Ob die Anziehungskräfte, die sich unmittelbar zwischen ihnen entfalten, mit dieser Verknüpfung zu tun haben, lässt sich nicht sagen. Shauna und der gut fünfundzwanzig Jahre jüngere Pierre verlieben sich ineinander, zögerlich zunächst, dann immer leidenschaftlicher.
Gefühlvolles Drama über reale Hindernisse
Während es gesellschaftlich relativ normalisiert ist, dass 70-jährige Männer wesentlich jüngere Frauen als Partnerin wählen (beziehungsweise junge Frauen ältere Männer als Partner), ist der Altersunterschied in der umkehrten Konstellation zwar nicht tabu, aber doch eine Ausnahme, auch im Kino. Zuletzt hatte Nicolette Krebitz in „A E I O U“ (2022) von der Liebe zwischen einer sechzigjährigen Schauspielerin und einem Schulversager erzählt, komödiantisch und mit lässiger Selbstverständlichkeit. Die Filmemacherin Carine Tardieu geht das Thema in „Im Herzen jung“ in Form eines gefühlvollen Dramas an, sie problematisiert nicht, blendet aber auch nicht aus, was an Hindernissen real existiert. Während Pierre, der durch die Affäre weitaus mehr zu verlieren hat, relativ unbekümmert die Initiative ergreift, hat Shauna Bedenken, sich auf den jüngeren Mann einzulassen. Die Sorge um den Verfall des eigenen, für den Jüngeren vielleicht nicht mehr ganz so begehrenswerten Körper spielt dabei noch die geringste Rolle. Ganz ausgeschaltet ist sie jedoch nicht. Als Pierre sie einmal in der Umkleide eines Schwimmbads anruft, gibt sie vor, im Museum zu sein; bevor sie miteinander ins Bett gehen, löscht sie das Licht.
Dass Shauna eine Frau von 70 Jahren ist und keineswegs jünger, zeigt sich auch in eigentlich nebensächlichen Alltagsbeobachtungen: etwa, wenn sie erst einmal ihre Brille hervorkramen muss, um Pierres Textnachrichten zu lesen. Oder wenn sie, von der Autokorrekturfunktion ziemlich überfordert, Nonsens-SMS verschickt.
Mit viel Weichheit und Zartgefühl
Tardieu, die ein hinterlassenes Drehbuch der verstorbenen isländisch-französischen Filmregisseurin Sólveig Anspach überarbeitet hat, konzentriert die Geschichte stark auf das Liebespaar, das von Fanny Ardant und Melvil Poupaud mit viel Weichheit und Zartgefühl gespielt wird. Die Krise, die das Verhältnis in der Ehe von Pierre auslöst, steht eher im Hintergrund. Ein grundlegendes Problem bekommt die Beziehung eigentlich erst, nachdem Shaunas schon länger diagnostizierte Parkinson-Erkrankung ausbricht und sie den Kontakt abbricht.
„Im Herzen jung“ bemüht sich zwar um eine alltagsrealistische Verankerung, ist aber doch vor allem ein romantisches Melodram, das in seiner eigenen (Kino)welt existiert. Die Besetzung mit Fanny Ardant spielt dabei eine entscheidende Rolle – sie ist eben nicht nur einfach eine inzwischen über 70-jährige Schauspielerin, sondern immer zugleich auch die ikonische Truffaut-Darstellerin, die ihre in den 1980er-Jahren konservierte Persona in die Figur mit hineinträgt. Durch die nuancierte, unkitschige Inszenierung bleibt der Film zwar immer auf dem Boden, Tardieu hütet sich aber auch vor jeder gesellschaftskritischen Schärfe, wie sie etwa den Melodramen von Douglas Sirk eigen ist. Auch wenn Pierres Freund sich zunächst empört abwendet, seine Frau reflexhaft in Lachen ausbricht, als sie von Shauna erfährt – ob er denn Witze mache, sie sei doch eine alte Dame, „une vieille dame“ –, so ist das Umfeld doch grundsätzlich verständnisvoll und unterstützend. „Im Herzen jung“ ist kein Film über Schranken, sondern über Verbindungen, über das, was möglich ist, solange zwei Menschen dieselbe Luft atmen.