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Filmkritik
Im Fahrstuhl des großen Musiklabels Arista setzt Whitney Houston (Naomie Ackie) ein breites Grinsen auf. Ihr Treffen mit dem Produzenten Clive Davis (Stanley Tucci) verlief gerade traumhaft. Mit nur 20 Jahren hat die Sängerin aus New Jersey nicht nur ihren ersten Plattenvertrag unterzeichnet, sondern mit Davis auch einen Geschäftspartner gewonnen, der wie ein sanfter, väterlicher Freund wirkt. Im Fahrstuhl wird sie jedoch wieder von ihren Eltern flankiert, die eigene Vorstellungen von der Karriere ihrer Tochter haben. Mutter Cissy (Tamara Tunie), die selbst eine Gospelsängerin ist, und Vater John (Clarke Peters), der später Houstons Manager wird, wollen in der jungen Frau vor allem ihre kleine Prinzessin sehen.
Whitney Houstons Karriere ist in dem Biopic von Kasi Lemmons auch ein Kampf um die eigene Identität. Die junge Protagonistin ist zunächst noch ein burschikoses Mädchen mit kurzen Haaren, Jeans und Sportpullover, das mit seiner Freundin und späteren Assistentin Robyn (Nafessa Williams) zusammenzieht. Die Beziehung ist ihrem Vater ein Dorn im Auge; er empfiehlt den Frauen, sich mit Männern zu treffen. Und wenig später beginnt Whitney Houston tatsächlich, mit glitzernden Kleidern und auftoupierten Haaren das nette, glamouröse Mädchen von nebenan zu spielen.
Heute will ich ich sein
Für die mangelnde Selbstbestimmtheit findet Lemmons einige schön verdichtete Momente. Als Whitney Houston ihren ersten Fernsehauftritt in der Merv Griffin Show hat, steht ihre Mutter hinter dem Bühnenvorhang und dirigiert herrisch den Pianisten, weil er angeblich viel zu langsam spiele. Bevor Houstons Karriere schließlich zur Tragödie wird, erzählt „I Wanna Dance With Somebody“ von den Emanzipationsversuchen seiner Heldin. Der legendäre Auftritt beim Super-Bowl 1991 wird dabei zum Triumph. Nicht nur besteht die Sängerin darauf, „The Star-Spangled Banner“ ungewöhnlich getragen zu singen, damit sich ihre Stimme angemessen entfalten kann; sie trägt außerdem statt einem Kleid einen weißen Trainingsanzug mit Haarband. Ihre Begründung: „Heute will ich ich sein“.
Als der Produzent Whitney fragt, welche Musikrichtung sie bevorzuge, antwortet sie lediglich, dass es Songs sein müssen, die „riesengroß“ sind. Der Film porträtiert Houston als eine Klasse für sich. Dass ihre zunächst am kommerziellen Pop ausgerichtete Musik in der schwarzen Community manchem zu „weiß“ war, wirkt wie ein historischer Irrtum. Ein paar Takte eines Demos reichen, damit Whitney instinktiv weiß, dass das ihr Song ist. Wie mühelos hier Hits entstehen, ist eine schamlose Romantisierung. Aber im Film passt es ideal zu einer Künstlerin, die zwar von außen geformt wird, deren Stimme aber immer Ausdruck ihres wahren Selbst bleibt.
Das Drehbuch von Anthony McCarten ist dort am überzeugendsten, wenn es sich die Ruhe nimmt, einzelne Aspekten aus Houstons bewegter Biografie näher zu beleuchten. Allerdings war Houstons Leben vollgepackt mit filmreifen Dramen: ihre heimlich lesbische Beziehung, das strapaziöse Verhältnis zu ihrem Vater, die zerstörerische Beziehung mit Bobby Brown (Ashton Sanders), ihre Drogensucht, der Verlust der Stimme und schließlich ihr früher Tod in der Badewanne.
Ikonische Karriere-Höhepunkte
„I Wanna Dance With Somebody“ will das alles irgendwie abdecken, ohne die Zeit dafür zu haben. Die Beziehung mit der eifersüchtigen Robyn verläuft so einfach im Sand, die erbitterte Konkurrenz zwischen der Ex-Freundin und Bobby Brown bleibt lediglich eine Randnotiz. Teilweise wird die Handlung nur noch von ikonischen Karrierehöhepunkten diktiert. Die größten Hits müssen ebenso untergebracht werden wie bekannte Musikvideos, Live-Auftritte oder die Hauptrolle in „Bodyguard“.
Houston wirkt hier manchmal weniger wie eine klassische Filmfigur denn wie ein unantastbarer Star, um den der gesamte Film arrangiert wird. Der Hauptgrund dafür dürfte sein, dass nicht nur Clive Davis an der Produktion von „I Wanna Dance With Somebody“ beteiligt war, sondern auch der Houston Estate. Während die Sängerin in Wirklichkeit oft tief gefallen ist und teilweise stark ramponiert in die Öffentlichkeit trat, spart Lemmons die Skandale zwar nicht aus, ist aber auch in den dunkelsten Stunden darum bemüht, der Protagonistin Anmut und Würde zu verleihen.
Besonders deutlich wird diese Absicht bei Houstons Tod, der nur angedeutet wird. Statt ihr Ableben zu zeigen, schneidet der Film zu einem früheren Auftritt bei den American Music Awards. Das traurige Ende der Musikerin wird dabei von einer epischen Performance überstrahlt, mit der Whitney Houston gewissermaßen ihr eigenes Tribute-Konzert spielt. Im Vordergrund steht nicht die Tragödie, sondern die Feier eines Ausnahmetalents.
Eine enorme Bandbreite
Dass „I Wanna Dance With Somebody“ trotz seiner Vollständigkeitsansprüche und Zugeständnisse über weite Strecken gut funktioniert, hat mit der erhabenen Emotionalität von Houstons Musik zu tun, mit Lemmons pointierter Inszenierung und vor allem mit der Hauptdarstellerin Naomi Ackie, die den Star nicht bloß imitiert, sondern eine eigene, leidenschaftliche Interpretation findet. Ob es naive Freude ist, sanfte Melancholie, rasende Wut oder quälende Selbstverleugnung: Ackie füllt jeden dieser Zustände angemessen aus. Der Film tut gut daran, sich immer wieder ganz auf Ackies Gesicht zu konzentrieren, denn dessen mimischer Ausdruck hat eine ähnlich beeindruckende Spannbreite wie Houstons Stimmumfang.