Vorstellungen
Filmkritik
Es war einmal eine Familie, die lebte vor den Toren Hamburgs im beschaulichen Alten Land in einem großen, urig-schönen Haus mit einem noch größeren Garten und mehreren deutschen Sportwagen vor der Tür. Das Mädchen Tilda war fast elf, vernünftig, von sonnigem Wesen und wohlgeraten. Die Eltern hingegen waren nicht ganz makellos: Der erfolgreiche Vater, von naivem, gleichmütigem Wesen, trieb es – der Langeweile wegen – schon mal fremd, während es die energische, selbst- und vernunftbewusste Mutter dem Vater aus Rache einfach mal gleichtat. Ansonsten wären sie glücklich und zufrieden, wäre da nicht Opa Amandus, der nicht nur die geliebte Frau verliert, sondern peu à peu auch sein Gedächtnis. Tilda hat dafür Verständnis und gewinnt dem Ganzen eher amüsante Seiten ab, während ihr Vater Niko in ungläubiger Lethargie verweilt und Mutter Sarah die Resolute mimt und ihren Schwiegervater lieber früher als später in Behandlung und Fremdpflege sehen würde.
Während Tilda und Amandus die sonnigen Sommerferien über ihren Spaß haben, sind die Eltern beruflich verpflichtet und wissen ansonsten weiter keinen Rat. So ziehen die Wochen ins Land, Amandus wird die fortschreitende Umnachtung selbst ein wenig zur Qual, doch Tilda will ihn nicht „gehen lassen“. So soll es eine letzte Reise in die Vergangenheit geben: eine Reise in die italienische Stadt der Liebe, wo Opa und Oma einst das Glück ihres Lebens fanden. Die Eltern werden ausgetrickst, und mit Opas Kreditkarte im Gepäck machen sich die Kleine und der Alte mit einer Art von „Orientexpress“ auf nach Venedig. Und begeben sich auf die Suche nach Glück, Freude, Zufriedenheit und nach den wenigen noch verbleibenden Augenblicken vor dem drohenden Vergessen.
Til Schweigers Unterhaltungsfilm über Alzheimer ist wahrlich mehr Märchen als Utopie. Eingebettet in eine folgenlos brüchige Zuckerbäcker-Idylle, leben hier die Menschen vor, wie es mit unheilbar kranken Anverwandten auch gehen könnte. Liebe, Zuneigung, Gleichmut, sehr viel Geduld und noch mehr Zeit – das sind die Zauberworte, mit denen auch die härtesten Prüfungen im Leben der Familie zu meistern sind. Ach ja, und auch unglaublich viel Geld ist essenziell, aber das braucht man im Märchen nicht weiter anzusprechen, weil es doch offensichtlich vor allem um die Abenteuer einer kleinen Prinzessin geht. Angesiedelt in einer Welt des Hier und Jetzt, sind die bemüht „reinen“ Bilder beseelt vom bernsteinfarbenen Retro-Schick einer „guten alten Zeit“. Die neuesten Modelle von Mercedes und BMW finden sich neben Möbeln, Koffern, Geschirr, Kleidung und Märchenzügen aus der vorletzten Jahrhundertwende, und das traumhaft schön eingefangene Italien-Bild mit hilfsbereiten (Hamburger) Putztürken am Bozener Bahnhof, engelsgleichen Nonnen in den Alpen und einem feschen, verständnisvollen Concierge im venezianischen Luxushotel wäre selbst für eine modernisierte „Pinocchio“-Verfilmung bereits zu märchenhaft verklebt.
In diese „Zu schön, um wahr zu sein“-Welt platzen wie ein peinlich berührender Fremdkörper immer wieder die Anwandlungen von echter Tragik und echten Gefühlen. Diese Momente sind ausschließlich der darstellerischen Fähigkeit Dieter Hallervordens und seinem Rollenverständnis geschuldet, das neben (unfreiwilliger) Komik auch den Kampf mit der Krankheit vorsieht. Diese wenigen Momente scheinen dem Regisseur eher unangenehm zu sein, konterkariert er sie doch sofort mit penetrant frohsinnender Kinderlaune und einer Unmenge an Slapstick – fast scheint es so, als könne im Umfeld der Familie niemand auch nur eine Bewegung machen, ohne dass etwas zu Bruch geht.
Ärgerlich wird dieses Märchen immer dann, wenn es sämtliche „Bedenkenträger“ als asozial denunziert, weil sie es wagen, gegen das verklärte Bild einer mit Humor zu ertragenden Krankheit aufzubegehren. Das beginnt plakativ bei Gästen, die sich darüber aufregen, dass sich Opa Amandus im Luxus-Restaurant Aioli als Creme ins Gesicht schmiert. Fataler und grundsätzlicher wird es, wenn darunter auch die zunächst als biestige „Schnepfe“ charakterisierte Mutter leiden muss, die bis zur Hälfte des Films dramaturgisch immer mehr zur Knallcharge verbogen wird, um von ihrem Bösewicht-Image loszukommen. Neben dem plakativen Postulat, dass man alle Sorgen und Nöte auch über den Tod hinaus hinfortlachen kann, gibt es natürlich auch eine märchenhafte „Moral von der Geschicht’“: Seid einfach mehr Mensch, dann wird es schon. Das ist prinzipiell eine schöne Einstellung, nur muss man sie nicht so unausgegoren verkaufen wie in „Honig im Kopf“.