Filmplakat von Hölderlins Echo

Hölderlins Echo

89 min | Dokumentarfilm, Animation
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Der Dokumentarfilm Hölderlins Echo nähert sich dem Leben und Werk des bekannten Dichters auf ungewöhnliche Weise: In den Realfilmteilen werden Künstler beobachtet und interviewt, die die zahlreichen Vertonungen Hölderlinscher Gedichte von bekannten Komponisten interpretieren. Animierte Sequenzen interpretieren biographische Abschnitte aus Hölderlins bewegtem Leben in poetisch assoziativer Form.

Filmkritik

Wenn die deutsche Seele ehrlich ist, muss sie sich eingestehen, dass ihr die Denker immer näher waren als die Dichter. Zumindest fanden sich stets für jeden Dichter dutzende Denker, die jedwedes Gedicht zerdachten. Das gilt auch für den womöglich Überwältigendsten in der deutschen Sprache, Friedrich Hölderlin. Instrumentalisiert von sämtlichen Ideologien, zu Tode analysiert in Schulen, romantisiert von der südwestdeutschen Tourismusindustrie und kaum gelesen. Sein Leben diente schon zahlreichen Filmen wie „Feuerreiter“ von Nina Grosse oder der DEFA-Produktion „Hälfte des Lebens“ von Herrmann Zschoche als Stoff.

Auf den ersten Blick also gut, dass Susanne Marschall und Hannes Rall in ihrer Mischung aus Dokumentarfilm und Musikvideoanimation mit dem Titel „Hölderlins Echo“ nicht allzu sehr die durchgekauten Geschichten rund um sein Turmzimmer in Tübingen und den einsamen Wahnsinn beziehungsweise die wahnsinnige Einsamkeit wiederholen. Stattdessen fokussieren sie auf das zumindest im Kino ungewöhnliche Thema der musikalischen Interpretation der Gedichte Hölderlins und dessen eigene musikalische Referenzen. Sofort hört man innerlich einen Chor anschwellen mit Werken von Benjamin Britten, Hanns Eisler oder Robert Schumann, man sieht sich kraft der Musik in diese Welt fallen, die dem Lyriker so am Herzen lag und doch so zu schaffen machte.

Wie ein Werbevideo für die Förderinstitutionen

Aber kaum etwas davon löst sich ein, denn der Film wirkt wie ein in die Länge gestrecktes Werbevideo für die Hochschule für Musik in Karlsruhe, den Pianisten Hartmut Höll und die Stadt Tübingen. Es ist eine traurige Wirklichkeit des zeitgenössischen Dokumentarfilms, dass er oft den Institutionen, mit deren Hilfe er entstand, näher ist als den eigenen Blicken. So baut sich der Film auf aus willkürlich wirkenden Gesprächen mit den Protagonisten, unter ihnen Höll, die Sängerin Mitsuko Shirai, die auszubildende Sängerin Yue Wang und der Komponist Wolfgang Rihm, einigen interpretierten Hölderlin-Liedern, die von netten, aber nichtssagenden Animationen illustriert werden, sowie einer Stadttour durch Tübingen, in der, ganz unreflektiert, der ältere Höll der jungen Yue Wang aus Hölderlins Leben erzählt.

Das einzige kritische Momentum entwickelt der Film, wenn es um die NS-Propaganda rund um Hölderlin geht, wobei er auch da schnell umschwenkt und sich zu einer Elegie auf den in Auschwitz-Birkenau verstorbenen Komponisten Viktor Ullmann wandelt. Nichts wird wirklich angeschaut, alles nur abgearbeitet.

Nun mag man diesem filmischen Modus der Zuwendung zugutehalten, dass er seine Protagonisten eben bewundert und sich deshalb in deren Worte und vor allem musikalischen Darbietungen stürzt. Allerdings erfährt man über keinen der Protagonisten, einschließend Hölderlin, wirklich etwas, alles verbleibt auf einer Oberfläche, die nie tiefer schürft. Einzig wenn der Gedanke geäußert wird, dass die deutsche Kultur womöglich in anderen Ländern wie China überlebt, kommt man ein wenig ins Denken. Vor allem, wenn es dabei auch um die deutsche Sprache aus Sicht von Fremdsprachlern geht und wie sich die Worte von Hölderlin in Musik übertragen lassen.

Die Lieder werden hinter Animationen versteckt

Ansonsten bleibt nur die Musik, der „Hölderlins Echo“ viel Raum gibt. Allerdings wird den Liedern nicht vollends vertraut. Statt die Stimmen und Töne nackt erklingen zu lassen, werden sie hinter Animationen versteckt. Gleichzeitig wird unheimlich viel vorausgesetzt, die im kulturellen Mainstream eher weniger populäre Form der Gedichtvertonung wird einfach hingestellt als große Kunst, die Arbeit, die in diese Lieder fließt, bleibt außer halbherziger Probeaufnahmen unsichtbar. Vielleicht versuchen die Filmschaffenden durch die Animationen, eine Möglichkeit zu schaffen, die Stücke ausführlich zu hören. Das ist ein hehres Anliegen, das sich schnell erschöpft, denn diese Aneinanderreihung von Liedern ergibt noch keinen Film. Ein bisschen kann man hier ohnehin die Stichworte der Fördermappe mitlesen und es fallen einem sofort zig Gründe ein, warum Baden-Württemberg diesen Film unterstützen würde. Baden-Württemberg aber ist nicht das Kino.

Warum, möchte man dann aber fragen, schafft es ein solcher Film ins Kino? Wahrscheinlich hängt das an einem nationalen Begriff von Bildung, der sich bis heute seltsam mit dem Begriff von Dokumentarfilm verschränkt. Der Name Hölderlin ist hier ausschlaggebend, das Echo droht zu verkümmern.

Erschienen auf filmdienst.deHölderlins EchoVon: Patrick Holzapfel (7.12.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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