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Filmkritik
Wien, Anfang der 1920er-Jahre. Eine Handvoll traumatisierter Kriegsgefangener kehrt nach Jahren in einem russischen Lager auf einem Donaudampfer zurück. Die Künstlichkeit des (Studio-) Dekors lässt zunächst an „Fellinis Schiff der Träume“ denken. Doch die zerstörte Flusslandschaft mit abgestorbenen Bäumen erinnert mehr an eine Postapokalypse. Die Männer sind körperlich gezeichnet und wirken in ihren verwitterten, ärmlichen Kleidern wie von der Gesellschaft ausgespuckt. „Kaiser gib‘s nix mehr“, bekommen sie zu hören. Den meisten von ihnen bleibt nur das Obdachlosenheim.
„Hinterland“ hält von Beginn an die Schwebe zwischen großer Künstlichkeit und düsterem Hyperrealismus, denn vor allem optisch haben sich Regisseur Stefan Ruzowitzky und sein Setdesigner Oleg Prodeus ein Wien einfallen lassen, das man so im Kino noch nicht gesehen hat. Die Ästhetik schwankt zwischen den expressionistischen Stummfilmen „Der Golem“ und „Das Cabinet des Dr. Caligari“. Die Häuser hängen schief und wirken aneinander gequetscht, die blaustichigen, düsteren Farben erinnern an den Look von Kriegs-Videospielen. Erschaffen wurde dieser Hintergrund am Computer; die Schauspieler bewegten sich vor dem Green Screen.
Ein Mann fürs Unappetitliche
Unter den Heimkehrern ist auch Peter Perg (Murathan Muslu), ein ehemaliger Polizeikommissar, der vor dem Krieg die besonders unappetitlichen und grausamen Fälle löste. Und da in Wien ein Serienmörder ehemalige Kriegskameraden von Perg grausam verstümmelt und tötet, zieht man bei der Polizei auch die Dienste des Ex-Kollegen wieder in Betracht. Vor allem der joviale Polizeirat Viktor Renner (Marc Limpach) kennt Perg noch von früher. Der wandlungsreiche Opportunist braucht den desillusionierten Ex-Soldaten, um seine steile Karriere weiter aufrechtzuerhalten. Denn der Polizeipräsident verlangt schnelle Erfolge und einen Täter.
Ruzowitzky und seinen Ko-Autoren gelingt es, durch ganz unterschiedliche Protagonisten die einander bekämpfenden politischen Strömungen und soziale Entwicklungen einzufangen. In der Metropole der einstigen Supermacht tummeln sich jetzt Kriegsgewinner, Verlierer, Revolutionäre, Mörder, ehemalige Adelige und Bürgerliche. So auch der idealistische Kommissar Paul Severin (Max von der Groeben), der seinen im Krieg verschollenen Bruder sucht, der ihn einst mit sozialistischen Ideen konfrontierte. Liv Lisa Fries erweitert als Gerichtsmedizinerin Dr. Theresa Körner ihre aus „Babylon Berlin“ bekannte Rolle einer burschikosen und furchtlosen jungen Frau in einer Männerwelt. Und Perg steht für einen desillusionierten ehemaligen Patrioten, der sich seiner Dämonen nicht stellen mag und es nicht einmal wagt, seine aufs Land gezogene Ehefrau und kleine Tochter wiederzusehen. Auch deshalb stürzt er sich in die Arbeit und versucht den brutalen Mörder seiner Kameraden aufzuhalten. Das Serienmördermotiv nimmt dabei zuweilen überhand und lässt den historischen Hintergrund zu sehr als Folie erscheinen. Auf zu explizite Gewaltdarstellung wird verzichtet; der Schrecken und Horror finden vordringlich durch Schilderungen von Kriegsgräueln statt.
Der Film traut sich formal etwas
„Hinterland“ bleibt damit ein mit guten Darstellern und Darstellerinnen gespickter Ensemblefilm. Regisseur Stefan Ruzowitzky traut sich formal etwas, das man im deutschsprachigen Kino viel zu selten sieht: eine gekonnte Mischung aus experimenteller Filmsprache und einem Genre-Mix aus Kriegsheimkehrdrama und blutigem Thriller mit Horrorelementen. Man muss sich stilistisch auf das visuell gewöhnungsbedürftige Werk einlassen, doch dann sieht man einen der originellsten und gewagtesten Filme des Jahres