- RegieLasse Hallström
- ProduktionsländerSchweden
- Produktionsjahr2022
- Dauer120 Minuten
- GenreDrama
- IMDb Rating6.0/10 (918) Stimmen
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Filmkritik
Wie sich die Bilder gleichen. Das kranke Kind sitzt aufrecht im Lehnstuhl, den Kopf zum hellen Fenster und ins Profil gedreht. Daneben die Mutter, verschattet und gebeugt, die Hand des Mädchens haltend. Edvard Munch stellte sein Ölbild „Das kranke Kind“ 1886 fertig; der junge Künstler verarbeitete darin Tuberkuloseerkrankung und Tod seiner Schwester Sophie. In „Hilma - Alle Farben der Seele“ stellt der Regisseur Lasse Hallström das berühmte Motiv nach, das Munch 30 Jahre lang beschäftigte, um vom Leben einer anderen skandinavischen Künstlerin der klassischen Moderne zu erzählen: von Hilma af Klint (1862-1944). Im Film sieht man die lungenkranke Hermina af Klint mit den Augen ihrer älteren Schwester Hilma. Nach ein paar unbeschwerten Kinderszenen lässt Hallström die verzweifelte 18-jährige Hilma hinter der Totenkutsche mit der in ein Leichentuch gewickelten Schwester herlaufen. Eine Urszene, ein Trauma. Die rennende Hilma stürzt und bleibt bäuchlings in der matschigen Wagenspur liegen. Den Tod als endgültigen Abbruch kann und will sie nie akzeptieren.
Eine Pionierin der Abstraktion
Die Kunst der Schwedin Hilma af Klint, der zu Lebenszeiten im Unterschied zum Norweger Munch wenig Erfolg beschieden war, lässt sich ohne die mystisch-religiöse und zugleich naturphilosophische Lehre der Theosophie kaum begreifen. Af Klint suchte den Kontakt zu den Toten. Hallström kommt nicht umhin, die Titelfigur als Teilnehmerin des spirituellen Zirkels „Die Fünf“ zu zeigen, zu dem sich af Klint 1896 mit vier Freundinnen zusammentat. In den Sitzungen soll es zum Kontakt mit „höheren Mächten“ gekommen sein. Aus den automatischen Zeichnungen, die bei den Séancen angefertigt wurden, entwickelte af Klint ihre faszinierenden Bildwelten – die erst seit gut einem Jahrzehnt (!) als Pioniertaten der ungegenständlichen Malerei anerkannt sind.
1906 entstanden ihre abstrakten „Urchaos“-Gemälde, die Wassily Kandinskys Behauptung Lügen strafen, er habe im Jahr 1911 das „allererste abstrakte Bild der Welt“ gemalt. Kandinskys Diktum blieb aus verschiedenen Gründen unwidersprochen. Unter anderem auch, weil Hilma af Klint verfügt hatte, dass ihre Werke erst 20 Jahre nach ihrem Tod im Jahr 1944 wieder gezeigt werden durften. Das Echo, das ihre Kunst hervorrief, war anfangs gering, da die Menschheit für ihre Bilder noch nicht reif sei, konstatierte sie. Bis in die späten 1960er-Jahre lagerte das Gros ihres 1300 abstrakte Gemälde umfassenden Gesamtwerks in einem Keller. Und auch in den Jahrzehnten danach ließ der posthume Durchbruch auf sich warten. Erst eine große Retrospektive im Guggenheim Museum in New York erwies sich 2018 als Sensationserfolg, acht Jahrzehnte nach dem Tod der Künstlerin.
Neugier aufs Reale und Jenseitige
Nicht zu Unrecht zeigt der Film Hilma af Klint als Feministin avant la lettre, die zur Minderheit der Studentinnen an der Stockholmer Kunstakademie gehört und an ihrem ersten Studientag von männlichen Kommilitonen zum Hintereingang der Königlichen Akademie geschickt wird. Die Haupttreppe sei für Frauen tabu, feixen die jungen Herren. Als Hilma später beim Aktzeichnen das Lendentuch des männlichen Modells ignoriert und sich das darunter verborgene Genital imaginiert, sekundiert sie den Rüffel des Professors mit dem Satz: „Das ist doch real“.
Lasse Hallström, von dem auch das Drehbuch stammt, versteht die historische Figur keineswegs als Traumtänzerin oder verstrahlte Esoterikerin. Vielmehr erlebt man eine Künstlerin, wie sie akribisch das halb freigelegte Innere eines Pferdekopfes zeichnen, die Knochen, Sehnen und Adern. Hilma af Klint ist eine Malerin, deren Praxis auf den Naturwissenschaften basiert. Was vor einem Jahrhundert nicht den Kontakt zum Jenseits ausschloss. So erwog beispielsweise der Erfinder Thomas Edison die Konstruktion eines Apparats, der Telefonate mit den Toten ermöglichen sollte.
Die Sphäre des Fantastischen
Sind die spiritistischen Sitzungen af Klints und der „Fünf“ als Rückzugsräume aufzufassen, in denen Frauen unter sich sein konnten? Wie bei den Mystikerinnen der Jahrhundertwende? Oder erzählt man von den Séancen als realen Begebenheiten? So macht es etwa Julia Voss in ihrer Biografie „Hilma af Klint – „Die Menschheit in Erstaunen versetzen“. Die an der Entdeckung af Klints maßgeblich beteiligte Kunsthistorikerin beschreibt, wie sich in einer Sitzung im Jahr 1904 ein Geistwesen namens Amanda meldete und erklärte, Hilma sei dazu auserkoren, „astrale Gemälde“ hervorzubringen.
Eine filmische Umsetzung der jenseitigen Aspekte dieser Künstlerinnenbiografie steht allerdings aus. Die Geister, die af Klint rief, kommen bei Hallström nicht vor. Auch Halina Dyrschka ist in ihrem Dokumentarfilm „Jenseits des Sichtbaren – Hilma af Klint“ (2020) nicht in die parawissenschaftliche Zone vorgedrungen. Großes Interesse an der „anderen Seite“ bewies hingegen Olivier Assayas in seinem Spielfilm „Personal Shopper“. In dem 2016 entstandenen Film, als die Begeisterung für die schwedische Malerin noch kein weltweites Phänomen war, schloss Assayas eine Af-Klint-Schau im Stockholmer Moderna Museet in die Geschichte einer Einkaufsassistentin (Kristen Stewart) ein, die sich mit unheimlichen Zeichen ihres toten Bruders konfrontiert sieht.
Hallström streift die Sphäre des Fantastischen aber lediglich aus dramaturgisch-symbolischen Gründen. Das für af Klint zentrale Spiralmotiv wird einmal für eine inszenierte Nahtoderfahrung eingesetzt. Die ältere Hilma af Klint (gespielt von Hallströms Ehefrau Lena Olin) fährt in Stockholm mit der Trambahn zur Adresse ihres Bruders. Aus dem Schneckenmuster hat sie die Idee eines kleinen Künstlerinnenmuseums entwickelt, das ihre Werke in einem spiralförmigen Bau zeigen soll. Sie macht ihre Aufwartung bei ihrem Bruder, der über die Mittel zur Finanzierung des „Tempels“ verfügen würde, sich aber vom Dienstmädchen verleugnen lässt. Die Tram-Sequenz rahmt den Film, der mit einer fiktionalen Straßenbahnfahrt der Künstlerin ins Jahr 2019 nach New York zum Guggenheim-Museum endet – einem spiralförmigen Museum!
Schnelldurchlauf entlang der Lebensstationen
Als „Family Business“ erweist sich der Film auch in der Besetzung der jugendlichen Hilma mit der Tochter des Regisseurs. Tora Hallström überzeugt dabei mit einer emotional vielschichtigen Darstellung. Oberflächlicher ist hingegen die visuelle Ebene. Die Kamera von Ragna Jorming zaubert ein skandinavisches Postkarten-Idyll auf die Leinwand. Viele Szenen scheinen im lieblichen Stil des Malers Carl Larsson ins Bild gesetzt, einem Frauen- und af-Klint-Verächter, dessen „typisch schwedische“ Interieurs und Bullerbü-Landschaften heute als Kalendermotive beliebt sind. Diese klischeehafte Optik hat „Hilma“ nicht verdient!
Auch am Drehbuch und an der Inszenierung gibt es einiges auszusetzen. Es mangelt Hallström an einem persönlichen Zugang, der „Hilma“ über das herkömmliche Biopic-Muster hinausheben könnte. Offenbar hatte der Regisseur Schwierigkeiten bei der Adaption der facettenreichen Biografie, weshalb der Film über weite Strecken wie ein inspirationsfreier Schnelldurchlauf entlang wichtiger Lebensstationen wirkt.
Eine kurze Szenenfolge zeigt die Entstehung des monumentalen Gemäldezyklus „Die zehn Größten“, der zur umfassenderen Serie „Gemälde für den Tempel“ gehört. Flüchtig lernt man Anna Cassel (Catherine Chalk) kennen, die Hilmas Gefährtin und Geliebte wird. Später tritt Thomasine Andersson (Jazzy De Lisser) ins Leben der Künstlerin, die Hilmas Mutter pflegt. Dabei kommt es zwischen der eifersüchtigen Cassel und Andersson ohne nachvollziehbares Motiv zu Handgreiflichkeiten.
Für die dominante Männerwelt steht vor allem Rudolf Steiner (Tom Wlaschiha), den von af Klint verehrten Begründer der Anthroposophie. Voller Hoffnung auf Akzeptanz durch ihren vermeintlichen Mentor und mit ihren Entwürfen im Gepäck reist Hilma zu Steiner ans Goetheanum nach Dornbach, stößt dort aber nur auf das Unverständnis und die Hybris des Reformpädagogen: „Wenn ich Ihr Werk nicht verstehe, dann versteht es niemand“, so das niederschmetternde Urteil Steiners.
Eine eher monochrome Angelegenheit
Deprimiert erwägt af Klingt, ihre Werke zu verbrennen, wovon ihr Neffe Erik sie aber abbringen kann. Erik af Klint wurde von seiner Tante zum Nachlassverwalter bestimmt und hielt sich nach ihrem Tod an die Abmachung, die Gemälde 20 Jahre lang unter Verschluss zu halten. Seine Bedeutung wird im Film allerdings nur gestreift; auch andere Charaktere sind allzusehr auf ihre Funktion als Stichwortgeber, Freundinnen oder Antagonisten der Künstlerin reduziert. Zudem bleibt das Beziehungsgeflecht und die Situation einer als Sprössling einer Adelsfamilie privilegierten Frau in der schwedischen Gesellschaftshierarchie unterbelichtet. Statt eines biografischen Rundumschlags hätte sich Hallstörm eher auf zentrale Phasen im Leben der Hauptfigur konzentrieren sollen.
Immerhin dürfte „Hilma“ bei denen, die mit af Klints aufregendem Werk noch nicht vertraut sind, Aufmerksamkeit und Neugierde wecken. Doch das Versprechen des Titels, „Alle Farben der Seele“, löst der Film nicht ein. Um im Bild zu bleiben: „Hilma“ ist eher eine monochrome Angelegenheit.