Filmplakat von Hieronymus Bosch - Garten der Lüste

Hieronymus Bosch - Garten der Lüste

90 min | Dokumentarfilm | FSK 0
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Surrealistischer Fiebertraum, Allegorie der Schöpfungsgeschichte, Fantasmagorie des Bösen. Seit 500 Jahren fasziniert Hieronymus Boschs berühmtes Gemälde «Der Garten der Lüste» seine Betrachter immer wieder aufs Neue. Historiker, Philosophen, Wissenschaftler, Restauratoren, Kuratoren und Künstler wie der Schriftsteller Salman Rushdie oder der Komponist Ludovico Einaudi laden uns ein, die unendlich vielfältigen Aspekte und Deutungsmöglichkeiten eines der bildgewaltigsten Werke der Kunstgeschichte zu entdecken. Ein ebenso farbenprächtiger wie spannender Trip in die rätselhafte Welt eines rätselhaften Künstlers, unterlegt mit einem soghaften Soundtrack, der von Bach bis Lana del Rey reicht und die Zeitlosigkeit von Boschs Meisterwerk auch musikalisch eindrucksvoll unterstreicht.
Den Filmemachern war es möglich, einzigartige Eindrücke und Bilder des Gemäldes für den Film zu gewinnen, da der Prado in Madrid ihnen exklusiven Zugang gewährte. Der Zuschauer wird Zeuge der Restaurierungsarbeiten und Röntgenuntersuchungen am Bild. Man nimmt teil an der Erforschung und Enthüllung all der unbeantworteten Fragen über das Bild und den Maler selbst. Darüber hinaus veranschaulicht der Film den ungeheuer großen Einfluss des Gemäldes auf die schöpferische Kraft von Schriftstellern, Malern und Musikern auf der Ganzen Welt.

Filmkritik

Unter all dem Getier, mit dem Hieronymus Bosch sein monumentales Gemälde „Garten der Lüste“ bevölkert hat, fallen die Kaninchen nicht unbedingt als erstes ins Auge. Doch sind sie einmal entdeckt, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Was will einem zum Beispiel jenes menschengroße Langohr auf der rechten Seite des Dreitafelbilds – der „Höllen“-Seite – sagen, das dort grausam die Verdammten piesackt? Und wie passt es mit seinem Artgenossen auf der gegenüberliegenden „Paradies“-Seite zusammen, der hinter Gott und den ersten Menschen friedlich auf der Wiese sitzt und dem Betrachter den Rücken zudreht? Nicht mehr als ein Symbol für die Fruchtbarkeit, wie Kunstexperten in der Regel behaupten? Oder könnte man in diesem Kaninchen nicht auch einen Beschützer des Paares sehen, so jemand wie den freundlichen Waldgeist aus Hayao Miyazakis Animationsfilm-Klassiker „Mein Nachbar Totoro“ (1988), dem das Tier in gewisser Hinsicht ähnelt?

Auch 500 Jahre nach dem Tod des niederländischen Renaissance-Malers geben seine Werke noch immer Rätsel auf. Aus dieser auch kunsthistorisch abgesicherten Gewissheit heraus schöpft der Dokumentarfilm des Spaniers José Luis López-Linares, wenn er Boschs wohl berühmtestes Bild zur Interpretation freigibt. Nicht jede der vorgetragenen Theorien ist dabei so überraschend wie die Frage nach den Kaninchen oder auch die nach den überall vorhandenen roten Kugeln, die entfernt an LSD-Pillen erinnern. Das wäre bei einem Film, der im offiziellen Auftrag des Madrider Museo del Prado entstand, auch verwunderlich: Im Vordergrund stehen ausgewiesene Kenner der Bildenden Künste – Kuratoren, Historiker, Maler –, die im Angesicht des Gemäldes informative Details ausbreiten, über die Entstehung, die Auftraggeber, zeittypische Motive und über den Künstler.

Neues erfährt dabei freilich nur, wer sich nicht schon früher mit Hieronymus Bosch beschäftigt hat – die gewaltigen Lücken in dessen Vita bleiben auch nach diesem Film bestehen. So sind es denn die Stimmen, die nicht aus dem Kosmos der Malerei stammen, die die Farbe der Originalität in den Film hineintragen. Schriftsteller wie Salman Rushdie oder Cees Nooteboom, der in dem Bild jede denkbare Sünde versammelt findet, der Musiker Leonardo García Alarcón, der eine Abfolge von gezeichneten Noten – inklusive der zu Boschs Zeiten als „Teufelsintervall“ geächteten übermäßigen Quarte – analysiert, Sängerinnen, Fotografinnen, Philosophen und Neurowissenschaftler kommen zu Wort und sorgen für kurzweilige Bosch-Interpretationen.

Das macht López-Linares’ Dokumentation zwar abwechslungsreich und unterhaltsam, wirkt jedoch durch das unkommentierte Aneinanderreihen der einzelnen Beiträge mitunter irritierend oder sogar etwas beliebig. Besonders auffällig wird das immer dann, wenn einmal mehrere Personen gleichzeitig im Bild zu sehen sind – zu der von der ersten im Brustton der Überzeugung vorgetragenen Ansicht zu Bosch haben der oder die anderen kaum mehr beizusteuern als zustimmendes Nicken. Was auch der Zeitknappheit geschuldet sein mag, denn bei über 30 Menschen, die in knapp 80 Minuten Laufzeit zu Wort kommen, ist der Film eindeutig überladen.

Trotz solcher Mängel ist „Hieronymus Bosch – Garten der Lüste“ insgesamt ein gelungener Beitrag zum Bosch-Jubiläumsjahr. López-Linares, ursprünglich Kameramann u.a. für Carlos Saura, macht das Beste aus der einengenden Vorgabe, seine Experten im Prado vor das Gemälde treten und ihre vorgeblich spontanen Gedanken ausbreiten zu lassen. Seine Kamera rückt noch näher an das Bild heran als die Betrachter, vergrößert oder rückt Einzelheiten auf unerwartete Weise zusammen und zeigt so die Vielfalt des Gemäldes in seltener Klarheit und Überzeugungskraft – während der klug ausgewählte Soundtrack (Bach, Max Richter, Jacques Brel, Lana Del Rey) von der auch musikalischen Inspirationskraft des Malers kündet.

Die gleichberechtigte Präsentation von Spekulation und Tatsachen ist deshalb erklärtermaßen auch Programm: Dass es selbst nach einem halben Jahrtausend nicht möglich ist, das Werk von Hieronymus Bosch gänzlich zu entschlüsseln, wird pointiert auch Kunstlaien als hohe Qualität des Malers nachvollziehbar gemacht.

Erschienen auf filmdienst.deHieronymus Bosch - Garten der LüsteVon: Marius Nobach (28.3.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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