Vorstellungen
Filmkritik
Nur noch ganz leise und zögerlich klingen die an eine Spieldose erinnernden Töne des Titelthemas; statt sich zu einer großen orchestralen Musik aufzubauen, scheinen sie sich in der Düsternis zu verlieren, die von der Leinwand Besitz ergreift: Lord Voldemort wirkt nach seinem finalen Auftritt in „Harry Potter und der Orden des Phönix“ (fd 38 241) im sechsten Teil zwar nicht mehr in Persona mit, ist als latente Bedrohung aber umso präsenter. Die Exposition fasst in einer furiosen Sequenz zusammen, wie die sichere Normalität sowohl in der Zauberer- als auch in der Muggel-Welt Risse bekommt: Ein unnatürliches Unwetter braut sich über London zusammen, wie schwarzer Rauch rasen die Anhänger des dunklen Lords durch die Straßenschluchten, bringen in der normalen Welt eine Brücke zum Einsturz und lassen in der Winkelgasse der Zauberer Menschen verschwinden. Und Harry Potter? Hier haben sich Drehbuch und Regie eine kleine Abweichung vom Roman erlaubt: Anstatt schwermütig bei der unsympathischen Muggel-Verwandtschaft auszuharren, studiert Harry in einem Imbiss am Bahnsteig den „Tagespropheten“, wird von der attraktiven Kellnerin angeflirtet und zu einem Date eingeladen – was zwar die Logik-Vorgaben der Buchvorlage stapaziert, aber dazu dient, Harry als selbstständigere, zu mehr Selbstbewusstsein gereifte Figur zu etablieren und gleichzeitig das Thema einzuführen, das neben dem Kampf gegen den erstarkenden Lord Voldemort und seine Vasallen den Film dominiert: Mittlerweile den Kinderschuhen entwachsen, verlangen die romantischen Bedürfnisse der Teenager-Helden mit Macht nach ihrem Recht, unheilvolle Prophezeiungen hin, Todesser her. Regie beim neuen „Potter“-Film führte einmal mehr David Yates, dem mit Teil Fünf, „Harry Potter und der Orden des Phönix“ (fd 38 241) auf der Basis eines Drehbuchs von Michael Goldenberg ein stimmiger Einstieg in Joanne K. Rowlings Fantasy-Universum gelungen war. Darin wurden nicht nur die epischen Handlungsbögen des Romans geschickt in eine Filmdramaturgie übersetzt, sondern überzeugten auch die inszenatorischen Einfälle, aus denen sich die Sinnlichkeit und Glaubwürdigkeit der zauberischen Welt und ihrer Charaktere maßgeblich speist. Teil Sechs besticht einmal mehr durch seine Kino-Magie, von den Details am Rande – wenn etwa ein Mini-Drache in der Winkelgasse mit seinem Feueratem Maroni brät – über das großartige All-Star-Ensemble bis hin zur charmanten Inszenierung kniffliger amouröser Ent- und Verwicklungen. Allerdings modifiziert die Verfilmung die Romanvorlage stärker als der Vorgängerfilm. Dass eine im Buch nicht existierende Suspense-Szene dem sich langsam annähernden Pärchen Harry-Ginny erlaubt, einmal mehr Seite an Seite gegen Voldemorts Todesser zusammenzustehen, ist ein schöner Einfall, um die etwas blutleere Romanze zwischen den beiden auszubauen. Bedauerlich ist allerdings, dass ausgerechnet die zentrale und auch interessanteste Beziehung des sechsten Buchs im Film viel zu kurz kommt, nämlich die zwischen Harry und seinem Mentor Dumbledore. Im Buch oszilliert sie zwischen wachsender Nähe und Ins-Vertrauen-ziehen einerseits und Harrys nicht minder wachsender Selbstständigkeit und Abnabelung andererseits, die sich darin zeigt, dass Harry entgegen der Einschätzungen und Anweisungen des alten Magiers eigene Prioritäten setzt (vor allem in Bezug auf verdächtige Umtriebe seiner Lieblingsfeinde Draco und Snape). Der Film greift das rudimentär auf, nivelliert aber die Spannungen und Verunsicherungen, die sich daraus ergeben, weitgehend. Das ist sehr schade, erzählt doch diese von der Romanautorin so sorgfältig entwickelte Vaterfigur-Sohn-Geschichte beredt von den Konfliktlinien des Erwachsenwerdens, um die es jenseits des Fantastischen in Harrys innerer „Heldenreise“ geht. Als Dilemma erweist sich in diesem Film auch die Frage der Zielgruppe. Mit wachsendem Alter ihrer jugendlichen Helden nehmen die Bücher und auch die Potter-Filme an Dramatik und Schrecken zu; mittlerweile ist allerdings ein Punkt erreicht, wo die Filmadaption, vielleicht auch mit Blick auf eine „ab 12"-Freigabe, die emotionalen Zumutungen der Bücher konsequent dimmt. Gerade das in der Vorlage erschütternde Finale von Teil 6 leidet im Film an einer Verharmlosung, die die Ereignisse nicht nur entdramatisiert, sondern auch noch einige Logik-Probleme in der Handlung aufwirft. So prägt zwar die zunehmende Düsterkeit den visuellen Stil des Epos; erzählerisch lässt sich der Film jedoch lieber nicht allzu tief auf die schmerzhaften Seiten, die Zweifel und Ängste ein, sei’s in der Liebe, sei’s im Krieg.