Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
„Ein bisschen ausruhen. Ein bisschen vögeln. Ab und an den Hintern hochbekommen, um Nahrung zu suchen. Wie die wilden Tiere.“ Evolutionär habe es die Menschheit nicht weit gebracht. Darin ist sich der selbstbewusste Danny (Jim Deddes) sicher. Auch wenn er seinem Gegenüber einige Tausend Gulden schuldet, die er wieder einmal nicht zurückzahlen kann. Obwohl der Dealer sauer ist, lässt er sich nach Dannys Monolog doch darauf ein, das Geld dann eben am Wochenende darauf zu erhalten – mit doppelter Rendite.
Glatze, Bomberjacke & Nike-Sneaker
Im Rotterdam der 1990er-Jahre, in dem der Film von Jim Taihuttu spielt, erinnert die gewitzte Rede von Danny an eine andere ikonografische Einlassung, die in den späten 1980er-Jahren ins schottische Drogenmilieu entführte: an die Erzählerstimme in „Trainspotting“. In „Hardcore Never Dies“ ist das Heroin dem Ecstasy gewichen, und der Brit-Rock dem Gabba, einer Variation des Hardcore-Techno. Danny und seine Freunde gehören zur „Gabber“-Szene, die vor allem in den Niederlanden in voller Blüte stand. Die Gabber tragen Glatze, schwarze Bomberjacke und Nike-Sneaker. Die Frauen, etwa Dannys Freundin Pris (Rosa Stil), haben ihre langen, gegelten Haare zum strengen Zopf zurückgebunden, wobei die untere Hälfte der Kopfhaut ebenfalls kahl rasiert ist. In den kalten Clubhallen mit den zuckenden Stroboskop-Lichtern schwingen sie die Füße vor und zurück, parallel zu den hektisch auf und ab bewegten Armen, wie beim rasanten Rückwärtslaufen auf der Stelle. So als würden die dröhnenden Bässe im Wimpernschlag-Takt nicht schon genug betäuben.
Kopf und Körper werden durch kleine blaue Pillen ausgeschaltet, die Danny überall vertickt. Damit zieht er auch seinen 17-jährigen Bruder in die Szene und in seine krummen Geschäfte mit hinein. Michael (Joes Brauers) lebt noch zuhause und bereitet sich auf seine Aufnahmeprüfung am Konservatorium vor. Einer der Prüfer bescheinigt ihm, dass er viel Fleiß und Übung aus seinem Spiel heraushöre; an Emotionen und Lebenserfahrung würde es aber noch fehlen. Doch die erhält Michael in den folgenden Wochen in hohen Dosen.
Die Verführbarkeit der Jugend
High Culture versus Low Culture, Klassik von Beethoven gegen Clubkultur im 190-bpm-Rhythmus, halbseidene Drogenkarriere oder lieber bürgerliche Laufbahn in der örtlichen Tomatenfarm? Das Coming-of-Age-Drogen-Musik-Drama liebt und lebt die Gegensätze, mit denen sich Michael bald konfrontiert sieht. Der junge Mann mit dem dunkelblonden Haarschopf entpuppt sich als die eigentliche Hauptfigur, dessen Abrutschen parallel zu dem des Bruders erzählt wird. Dannys Problem ist nicht sein schneller Kopf; es ist sein Hochmut und ein Leben am Limit, das keine Pausen zu kennen scheint. Michaels Problem hingegen ist die Verführbarkeit der Jugend und anfangs wohl auch die Bewunderung für den großen Bruder, der ihn unter seine Fittiche nimmt und in eine Szene entführt, in der sich alles neu, bunt und aufregend und auch ein bisschen gefährlich anfühlt.
Die Abwärtsspirale dreht sich in „Hardcore Never Dies“ immer schneller und immer energetischer. Die Drift entwickelt aus sich selbst heraus eine immer größere negative Energie, weil eine Fehlentscheidung zur nächsten führt. Ein großer Drogendeal lässt die Begehrlichkeiten der Gläubiger wachsen und das Schuldenkonstrukt von Danny kollabieren. Plötzlich werden die Konflikte nicht mehr mit Drohungen und Baseballschlägern, sondern mit Schusswaffen ausgetragen. Je höher die Geldsummen, umso härter die Gewalt.
Lauter Abnabelungsprozesse
Dabei werden in der eher vorhersehbaren Drogendealer-Story viele interessante Ebenen eingezogen. Der Konflikt zweier unterschiedlicher, trefflich besetzter Brüder, die Frage nach dem eigenen Lebensentwurf und natürlich die angedeutete Anziehung zwischen dem fürsorglichen Michael und der fast gleichaltrigen Pris, zu der der deutlich ältere Danny angesichts all seiner Probleme zunehmend den Kontakt verliert.
Die vor Energie strotzenden Clubabende inszeniert Jim Taihuttu mit großer Authentizität und einer fast unheimlichen Balance zwischen Freiheitsgefühl und Faszination, ohne die negativen Aspekte der drogeninduzierten Ekstase auszusparen: den verkaterten Morgen danach, den Kontrollverlust, die tagelang zitternden Hände. Taihuttu, der Teil des DJ-Teams Yellow Claw ist, gewährt nicht nur glaubwürdige Einblicke in eine Subkultur. Er federt den tragischen Absturz aus dem bürgerlichen Spektrum durch Dannys überbordende Lebenslust und seinen gewitzten Redeschwall gekonnt ab und entfaltet dabei sensibel die Erzählung einer radikalen Abnabelung. Zumindest die Abnabelung vom Elternhaus zwischen Notwendigkeit und schmerzhafter Verlusterfahrung ist der Menschheitsgeschichte so unsterblich eingeschrieben wie Danny und Michael die Musik – egal wie viele Tastenanschläge pro Minute.