Filmplakat von Happy Burnout

Happy Burnout

102 min | Komödie | FSK 6
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Alt-Punk Fussel (Wotan Wilke Möhring) ist Frauenheld, Lebenskünstler und Systemverweigerer aus Überzeugung. Arbeit? Nicht mit ihm. Er lässt es lieber ruhig angehen und wickelt mit seinem jungenhaften Charme alle um den Finger. Auch Frau Linde (Victoria Trauttmansdorff), seine Sachbearbeiterin im Arbeitsamt, die seine Zurückhaltung bei der Arbeitssuche bedingungslos unterstützt - bis eine interne Prüfung sie zwingt, aktiv zu werden. Kurzerhand vermittelt sie ihm ein Arbeitsunfähigkeits-Attest, Diagnose Burnout, samt Therapie in einer stationären Klinik. Auf Anhieb durchschaut die Psychologin Alexandra (Anke Engelke) den Trick, aber mit Fussel kommt frischer Wind in den Klinikalltag. Und den können alle Patienten gebrauchen - der lebensmüde Günther (Michael Wittenborn), der cholerische Kinder-Entertainer Datty (Kostja Ullmann), die überforderte Mutter Merle (Julia Koschitz) und der gestresste Geschäftsmann Anatol (Torben Liebrecht). Doch je besser Fussel sie kennenlernt, desto mehr beginnt er, über sich selbst nachzudenken. Bis irgendwann gar nicht mehr so klar ist, wer hier eigentlich Hilfe braucht und worum es am Ende des Tages wirklich geht. In der Therapie. Und im echten Leben.

Filmkritik

Für einen kleinen Moment trägt die Illusion, bevor sie durchschaubar wird und ein Stück weit den liebenswerten, aber doch auch fatalen Selbstbetrug von Alt-Punk Fussel vorwegnimmt: Der arbeitsscheue Lebenskünstler Anfang 40 hat mitten in seiner kleinen Etagenwohnung ein Zelt aufgeschlagen, in dem er (vor entsprechender Fototapete) geborgen schläft wie in einem idyllischen Wald – bis ihn der Baustellenlärm der Großstadtstraße in die Realität zurückholt. Dann macht sich der sympathische Nichtstuer auf zum Arbeitsamt, um mit großartigen Geschichten Frau Linde, seine Sachbearbeiterin, einmal mehr um den Finger zu wickeln – denn Arbeit sucht Fussel nun wirklich nicht, eher (bezahlte) Wege, um sie zu umgehen. Diesmal aber steht dem Amt eine strenge Prüfung ins Haus, das Arrangement mit Frau Linde droht aufzufliegen. Der unpolitische „Systemverweigerer“ erhält ein Arbeitsunfähigkeitsattest zugestellt, verbunden mit der Auflage, sich wegen Burnout in einer Klinik stationär behandeln zu lassen. Und so zieht Fussel in seinem abgetragenen Parka, „bewaffnet“ mit zwei Plastiktüten aus dem nächsten Supermarkt, in eine schicke Klinik ein, fühlt sich dabei wohl ein wenig wie Jack Nicholson in „Einer flog über das Kuckucksnest“ (fd 19 710) – freilich ohne sich zu vergegenwärtigen, dass auch der sehr unsanft mit der Realität konfrontiert wurde. André Erkaus Kinofilme haben schon immer sehr genau auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse von Menschen geblickt, die sich intuitiv jedem Leistungsdruck wie auch Daseinsängsten verweigern. Das war in seiner eleganten Tragikomödie „Selbstgespräche“ (fd 38 827) so wie auch in „Arschkalt“ (fd 40 566), wo ein misanthropischer Eigenbrötler seiner tristen (Arbeits-)Wirklichkeit eine optimistische Sichtweise abtrotzt. Danach spielte Wotan Wilke Möhring in „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ (fd 41 649) einen um den Tod seiner Frau trauernden Mann, wobei es im Kern ebenfalls um Verdrängen und Wegschieben ging. Nun spielt erneut Möhring bei Erkau, dieses Mal den sorg- und gedankenlos in den Tag lebenden Langzeitarbeitslosen mit Punk-Attitüde, der als „Betrüger“ auf einige wirklich psychisch kranke Menschen trifft, die nicht nur dringend der ärztlichen Hilfe bedürfen, sondern auch eines Menschen, der ihnen unprofessionell, aber aufrichtig mit Zuneigung und Freundschaft begegnet. Nur widerwillig stellt sich Fussel dieser Aufgabe, kämpft mit flotten Sprüchen, chaotischen Einfällen und aufgekratztem Optimismus dagegen an, als „Undercover-Therapeut“ in den Klinikalltag integriert zu werden. Doch irgendetwas sagt der die Klinik leitenden Therapeutin und Psychologin, dass Fussel nicht nur ein Chaot, sondern ein durchaus empathischer Mensch ist. Und so kommt Fussel tatsächlich einigen haltlos gestrandeten, am Leistungs- und Effizienzwahn der Gesellschaft gescheiterten „Outcasts“ nahe: dem lebensmüden Sonnenstudio-Besitzer Günther, der sich schmerzhaft sein Gesicht verbrannt hat, dem zu Wutanfällen neigenden Kinder-Entertainer Datty, der sich bauchrednerisch hinter seiner Puppe verschanzt, der von ihren eigenen Ansprüchen an Haushalt und Kindererziehung heillos überforderten Merle, dem jungen, beruflich gescheiterten Geschäftsmann Anatol – und schließlich auch Frau Linde, die Fussels Betrügereien immer so gerne Glauben schenkte und die Wahrheit seelisch nicht verkraftet. André Erkau hat aus dem episodisch angelegten Geschichtenreigen weder ein tiefgründiges Sozialdrama noch eine schockreiche Spekulation über den existenziellen „Irrsinn“ des modernen Daseins gemacht, bedient sich gleichwohl geschickt einiger Versatzstücke beider Varianten für seinen optimistisch-unterhaltsamen Wohlfühlfilm. Was in diesem Fall nicht negativ gemeint ist: Es ist gar nicht selbstverständlich, mit einem vorrangig auf „besinnliche“ Unterhaltung setzenden Kinofilm zu einem solchen Thema nicht abzustürzen. Erkau aber hält durchaus respektabel die Balance, wobei er sich auf ein großartiges Darsteller-Ensemble verlassen kann. Wotan Wilke Möhring hält mit seiner jungenhaften Lässigkeit souverän die Fäden zusammen und überzeugt auch, wenn sich allmählich Risse in seiner Fassade auftun und er sich seiner Verantwortung (für sich, für seine von ihm im Stich gelassene Tochter, für die anderen Klinikinsassen) stellen muss. Julia Koschitz, Kostja Ullmann, Victoria Trautmansdorff und vor allem der einmal mehr besonders großartige Michael Wittenborn spielen sich elegant die Bälle zu und meistern die Gratwanderung zwischen skurriler Heiterkeit und abgründiger Lebenstragik. So werden die scheinbar so klaren Trennlinien zwischen „normal“ und „krank“, zwischen Alltagsleben und Therapie zunehmend fließend, bis klar wird, was es eigentlich heißt, „a little help from my friends“ anzunehmen. Erkaus mit leichter Hand inszenierte Komödie offenbart zwischen Skurrilität und schrägem Witz manche Wahrheit um Lebensangst und Daseinsflucht – und appelliert, ohne allzu tief zu loten, sehr sympathisch an mehr Verständnis, vor allem an mehr Mit- und Selbstwertgefühl.

Erschienen auf filmdienst.deHappy BurnoutVon: Horst Peter Koll (13.6.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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