- RegieCharlie Chaplin
- ProduktionsländerVereinigte Staaten
- Produktionsjahr1958
- Dauer124 Minuten
- GenreKomödieKriegsfilm
- AltersfreigabeFSK 6
- IMDb Rating8.4/10 (238345) Stimmen
Cast
Vorstellungen
Filmkritik
Zur Bewertung dieses Films gehört die Kenntnis seiner Herkunft. Charlie Chaplin entwarf, schrieb, drehte und spielte ihn nämlich 1940. Die Welt sah in Schaudern oder widerwilliger Bewunderung auf Hitler im Zenit seiner Machtentfaltung. Genau in diesem Augenblick wagte der Künstler Chaplin es, in der Maske des Diktators dessen wirkliches Porträt zu beschwören, reduziert auf zwei Grundzuge: menschliche Kleinheit und dämonischen Wahnwitz. Das war viel gewagt, damals. Und daß der Film so möglich war, läßt uns nachträglich erschrecken: Wie müssen wir ausgesehen haben für die anderen! Nach dem Krieg hielt denn auch die amerikanische Besatzungsmacht unser Volk für unfähig, den Film aufzunehmen, und ließ ihn nicht herein. Ob heute alle reif sind, ihn in seinem ganzen Hintersinn zu verstehen, läßt sich bezweifeln. Dies ändert nichts daran, daß er jetzt, in bald zwanzigjährigem Abstand, nicht debattiert wird; man quittiert ihn vielmehr mit den widerstrebenden Gefühlen, die sich aus der Mischung seiner unverwischbaren Bestandteile ergeben. Da ist zunächst die ganz grobe Unvereinbarkeit einer haßgeborenen persönlichen Satire auf den lebenden Staatsführer und einer unerträglich sentimentalen Liebespeschichte im "Goldrausch"l-StiI (vgl. Handbuch I). Man erlebt einen komplexen Chaplin: von der genau zitierten säkulären Erscheinung seines Anfangs (Stöckchen, Melone, Latschen, Blume) bis zum fanatisch geistigen Sprecher eines langen, eigenen Anrufs gegen alle Diktatur und für reine Menschlichkeit. Dazu kommt weiter die Vermischung der Ebenen durch die tragende Doppelrolle: Er ist gleichzeitig das schmächtige, clowneske Abbild Hitlers, "Anton Hynkel" geheißen, und der ihm physiognomisch völlig gleiche, verschreckte Friseur aus dem Ghetto. Der Diktator hat in gelegentlichen Momenten den Gesichtsausdruck des verfolgten kleinen Friseurs: Diesem wieder, als er, für Hynkel gehalten, nach dem Einmarsch in "Osterlitch", zu den Millionen sprechen muß, mißlingt es kläglich, den Ausdruck des Diktators anzunehmen. Er will es auch nicht, er beginnt leise gegen die Tyrannei zu reden, und nun verwandelt sich der schmächtige Jude, der Hitler sein soll, im Crescendo seines Appells zunehmend in Chaplin persönlich (von hier ab nur noch rahmenfüllendes Brustbild) als hingerissener Agitator der Humanität: sein Endgesicht! Und wie diese Chaplingesichter sich überlagern, so verschieben sich auch die Ebenen der Darstellung: Bald wird der Hynkel-Diktator als alerte Varieté-Nummer gespielt, bald als schematisch funktionierende, dirigierbare Menschenattrappe, und dann wieder als unmenschliche, Wortfetzen herausschäumende Fratze. Es läßt sich - und das ist bestürzend - aus diesem Wechsel etwas von Hitlers Unterbewußtsein ahnen: wenn Hynkel nach dem Sekundenzeiger der Armbanduhr von einer markierten Tätigkeit in die nächste stürzt, um marionettenhaft irgendein Massenunglück anzuordnen; wenn ihm bei den Hetzreden oder Wutanfällen die Worte schließlich zu lautlichen Stacheln und Schüssen werden und als Husten enden; wenn er, vom Propagandaminister suggeriert, in der Einsamkeit seines Palastzimmers mit einem aufblasbaren Globus "Herr der Welt" spielt und jongliert, bis der platzt; wenn es ihm beim Zusammentreffen mit Mussolini ("Napaloni" genannt) gründlich mißlingt, größer zu scheinen und höher zu sitzen als jener... Possenhafter Ulk und schier tiefenpsychologische Karikatur wirken da schwer unterscheidbar durcheinander. Wir sollen es wohl auch nicht unterscheiden, sondern als das hinnehmen, was es ist: ein grandioses Pamphlet auf die aktuelle Verkörperung des Diktators schlechthin, mündend in den erwähnten großartigen Aufruf für eine menschliche Welt. - Wer die Spielmaske Hynkel zu wörtlich als historischen Hitler nimmt, verliert freilich die Distanz, die wir für diesen Film innerlich brauchen; obschon Chaplin selbst sie seinerzeit wohl weniger absichtlich als durch die mehrschichtige Gestaltung bewirkt hat. Dennoch wird es nicht wenige Betrachter geben, die, den genialischen Einschlag des Bildes nicht, bemerkend, es für einen flachwitzigen Zerrspiegel halten, der dem dämonischen Phänomen des "Führers" nirgends entspreche. Und gewiß treibt Chaplin nebenher auch reine Possen, so wie er unverwässerten Kitsch (bis zum Schlußbild!) mitliefert, fürs amerikanische Spießergemut. Somit kann dieses Werk nur der Aufmerksamkeit eines verständigen, reifen Publikums empfohlen sein; Jugendlichen, denen der Maßstab der Erinnerung fehlt, schon gar nicht.