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Filmplakat von Grand Jeté

Grand Jeté

105 min | Drama | FSK 16
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Szene %1 aus %Grand Jeté
Nadjas Körper ist kaputt. Die Zehen bluten, dazu Ekzeme am Hals, die aussehen wie Blutergüsse. Die harte Arbeit als Ballerina macht sich bemerkbar. Nadja unterrichtet als Tanzlehrerin junge Mädchen. Als sie selbst noch jung war, bekam sie einen Sohn. Den gab sie damals bei ihrer Mutter ab. Der Sohn heißt Mario. Mario trainiert seinen Körper jeden Tag im Fitnessstudio. Er hat seine Mutter sehr lange nicht gesehen. Nadja hat keine Ahnung von Muttergefühlen, heißt es einmal. Dann steht sie irgendwann wieder vor der Tür. Interessiert sich für ihren Sohn. Sieht seinen Körper, will ihn anfassen. Fasst ihn an. Immer öfter.
Grenzen gibt es in Isabelle Stevers neuem Film nicht. Tabus auch nicht. Wertungen auch nicht. Nur eine Mutter und einen Sohn, die sich einander körperlich immer stärker annähern. Sarah Nevada Grether und Emil von Schönfels trauen sich, was von wenigen Schauspieler*innen verlangt wird. Was selten gezeigt wird. Im Halbdunkel, in der Unschärfe, von oben und von hinten fängt die Kamera ihre Körper ein. Findet eine Bildsprache, deren Semantik verstört. Alles hier ist kompromisslos und radikal. Alles ist eine Ausnahme. Am Ende bleibt der Körper einer Mutter.

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Filmkritik

Jahrelange Disziplin und Anstrengung haben Spuren an Nadjas grazilem Leib hinterlassen. Weil die Karriere der Tänzerin (Sarah Nevada Grether) deshalb vorbei ist, schindet sie nun den Nachwuchs. Auch ihr fast erwachsener Sohn Mario (Emil von Schönfels) trainiert sich Muskeln an, streichelt und bewundert sie im Badezimmerspiegel. Die beiden testen ihre Körper auf ähnlich obsessive Weise aus, obwohl sie sich kaum kennen. Denn Mario ist bei Nadjas Mutter Hanne (Susanne Bredehöft) aufgewachsen. Als sich Mutter und Sohn nach langer Zeit wieder auf einer Familienfeier sehen, nähern sie sich einander wie hungrige Raubtiere.

Der titelgebende große Sprung in „Grand Jeté“ von Isabelle Stever ist eine Grenzüberschreitung. Als Nadja vorübergehend bei ihrer Mutter einzieht, beginnt sie eine zügellose Affäre mit ihrem Sohn. Die beiden ziehen um die Häuser und haben leidenschaftlichen Sex in Marios Kinderzimmer. Gesprochen wird dabei kaum; die spielerischen Interaktionen sind vor allem körperlich.

Der Narzissmus dominiert

In „Grand Jeté“ gibt es kein äußeres Umfeld, das diese Beziehung verurteilt oder sonst irgendwie auf sie reagiert. Selbst bei Hanne ist man sich nicht sicher, ob sie überhaupt mitbekommt, was in ihrer Wohnung passiert. Die inzestuöse Affäre dreht sich ganz um sich selbst. Meist ist die Kamera dabei sehr nahe an den Darstellern, bleibt bei kreisenden Schulterblättern, verschwitzten Gesichtern und offenen Mündern hängen. Mehrmals gibt es Blicke in den Spiegel oder auf den eigenen Körper. Auch die Faszination füreinander scheint der narzisstischen Logik zu folgen, dass man im Anderen sich selbst erkennt.

Die schummrigen Clubs oder leeren Straßenzüge, durch die Nadja und Mario ziehen, sind so unspezifisch, dass sie überall sein könnten. Lediglich die zum Liebesnest gewordene Wohnung von Hanne mit ihrem altmodisch gemusterten Sofa und den angestaubten Wandteppich vermittelt eine sehr konkrete Stimmung. Wenn die Großmutter allein in ihrer Küche sitzt und stoisch ein Wurstbrot isst, weht ein Hauch piefiger westdeutscher Tristesse durch den Film.

Ein abstraktes Gedankenspiel

„Grand Jeté“ ist nach „Gisela“ und „Glückliche Fügung“ bereits Stevers dritter Film, der auf einer Vorlage der Schriftstellerin Anke Stelling basiert. Eine Geschichte im klassischen Sinn wird hier nicht erzählt, eher folgt der Film einem Gedankenspiel, das aufgrund mangelnder Erklärmuster oder Psychologisierungen oft abstrakt bleibt. Nadjas Unfähigkeit, sich ihren Verwandten gegenüber angemessen zu verhalten, wird lediglich angedeutet. Als sie einmal vergeblich auf ihren Sohn wartet, kuschelt sie sich zu ihrer Mutter ins Bett. Dabei schmiegen sich die Frauen so intim aneinander, wie es für Verwandte eher unüblich ist. Es bleibt jedoch bei dieser Andeutung, dass es vielleicht auch schon zwischen ihnen keine klare Trennung zwischen mütterlicher Fürsorge und erotischer Anziehung gab.

Nachdem die Protagonistin ihren Körper durch den Tanz kontrolliert und gezüchtigt hat, erliegt sie der totalen Hingabe. Nadja wirkt immer ein wenig entrückt, scheint völlig unberührt von herrschenden Wertvorstellungen und moralischen Zweifeln. Der oft etwas starre Blick und die leichte, seltsam undefinierbare Sprachfärbung der gebürtigen US-Amerikanerin Sarah Nevada Grether verleihen Nadja eine außerweltliche Aura.

Zimmerdecke & Kloschüssel

Stevers Inszenierung unterstreicht das Körperliche. Die Kamera sucht nicht nur Intimität, sie taumelt auch, richtet den Blick auf Unwichtiges wie eine Zimmerdecke oder eine Kloschüssel. Der Film präsentiert solche Momente als gleichberechtigte Sinneseindrücke und will sich auch sonst nicht so richtig festlegen. „Grand Jeté“ hält den Zuschauer konsequent auf Distanz, bleibt vage und ungreifbar und gerät damit auf Dauer frustrierend. Stever deutet nur an, enthält aber die Informationen vor, mit denen man sich einen Reim auf die Beziehung machen könnte. Die ständige Verweigerungshaltung bleibt dabei als Anstrengung spürbar. So sinnlich und körperlich der Film zunächst in seine Welt eintaucht, so sehr entpuppt er sich letztlich doch als Kopfgeburt.

Erschienen auf filmdienst.deGrand JetéVon: Michael Kienzl (30.1.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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