- RegieSimon Curtis
- ProduktionsländerVereinigte Staaten
- Produktionsjahr2018
- Dauer107 Minuten
- GenreBiographieHistorieFamilie
- Cast
- AltersfreigabeFSK 6
Vorstellungen
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Filmkritik
„Ich habe in einem Krieg gekämpft, um alle Kriege zu beenden; es wird keinen weiteren mehr geben“, sagte der Schriftsteller A.A. Milne (1882-1956) kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Damit lag er nicht nur in Bezug auf die Menschheit daneben, sondern auch mit Blick auf sich selbst und seinen Sohn Christopher Robin. Denn während der Literat noch Jahre später bei jedem lautem Geräusch oder aufflammenden Licht von den Erinnerungen an die Schützengräben geplagt wird, zieht sein einziger Sohn freiwillig in den Zweiten Weltkrieg. Er tut dies, um wenigstens einmal in seinem Leben anonym, nämlich der vornamenlose Private Milne, zu sein und damit der Rolle des berühmten Christopher Robin aus den „Winnie the Pooh“-Büchern seines Vaters zu entfliehen. Davon handelt „Goodbye Christopher Robin“: Wie einem Kind eine bestimmte Zuschreibung verpasst wird, und wie es später verzweifelt versucht, diese wieder loszuwerden. Was letztlich nur durch den Gang in den Krieg oder vielleicht sogar in den Tod glückt! Das zumindest suggeriert der Film von Simon Curtis – Achtung, Spoiler! – in seiner Rahmenhandlung, die im Jahr 1941 spielt: dass Christopher Robin im Krieg gefallen ist. Was eine ziemlich schamlose emotionale Erpressung des Zuschauers ist. In einem melodramatischen Werk ist das zwar nicht verboten, doch der Film wandelt hier auf recht dünnem Eis, zumal der erzählerischen Klammer viel Gewicht eingeräumt wird. Ein Brief über den Vermisstenstatus von Christopher Robin stürzt den bekannten Schriftsteller in die Verzweiflung – und bildet die Folie, auf der die gemeinsame Geschichte von Vater und Sohn erzählt wird: Wie A.A. Milne, der für seine Texte im Satire-Magazin „Punch“ und seine Stücke für die Theater des Londoner West Ends bekannt ist, kurz nach dem Umzug seiner Familie aufs Land einen flammenden Appell gegen den Krieg schreiben will, damit aber nicht so recht vorankommt. Wütend über seine Untätigkeit, reist seine Frau Daphne kurzerhand nach London. Da wenig später auch Nou, Christopher Robins geliebte Kinderfrau und zentrale Bezugsperson, zu ihrer kranken Mutter muss, bleiben Milne und sein etwa vierjähriger Sohn alleine zurück. In dieser erzwungenen Zweisamkeit kommt es zum ersten Mal zu einer intensiveren Begegnung zwischen den beiden. Bei Ausflügen in die Wälder rund um das idyllisch gelegene Landhaus nähern sie sich an, wobei der Film auch in Szenen der Eintracht stets eine gewisse Distanz aufscheinen lässt. A.A. Milne lernt die Spielgefährten seines Sohnes kennen, den Teddybär, den Stoff-Esel und das kleine Ferkel. Und er beschließt, die mit dem Sohn ersponnenen Geschichten über die Plüschtiere und einen Menschenjungen namens Christopher Robin zu Papier zu bringen. Damit hat das Vater-Sohn-Gespinst jedoch bereits seine Unschuld verloren. Der eigentliche Sündenfall ist dann die Veröffentlichung; sie verwandelt das verbindende Element zwischen ihnen, jene in der Zweisamkeit entwickelten Geschichten, in eines der Trennung, indem die privaten Erzählungen mit dem Rest der Welt geteilt werden. Später wirft der Sohn seinem Vater explizit vor: „Ich wollte ein Buch für mich, nicht über mich!“ „Goodbye Christopher Robin“ ist auch ein Film über den Fluch des Erfolgs; wäre „Winnie the Pooh“ keine so enorme Aufmerksamkeit beschert gewesen, hätte es womöglich auch keine Verwerfungen in der Familie Milne gegeben. Die weltweite Begeisterung über den etwas einfältigen Bären aber führte dann irgendwann dazu, dass Christopher Robin in einer Kostümparade über große Engländer als er selbst mitmarschiert. Oder dazu, dass die auf PR-Tour in den USA weilenden Eltern zum Geburtstag ihres Sohnes sogar das häusliche Telefon für mediale Zwecke instrumentalisieren. Den Drehbuchautoren Frank Cottrell-Boyce und Simon Vaughan gelingt es dennoch, Christopher Robins Eltern nicht zu dämonisieren, sondern als Menschen ihrer Zeit zu zeichnen, in der es für die britische Oberschicht normal war, ihre Kinder vorrangig von Angestellten erziehen zu lassen. Die Differenziertheit in der Figurenzeichnung ist aber auch auf die Darsteller zurückzuführen, allen voran Domhnall Gleeson. Er verkörpert den Schriftsteller so ernsthaft wie verletzlich, als zurückhaltend-grüblerischen, aber eben auch egoistischen Charakter. Auch Margot Robbie als feierfreudige Ehefrau und Kelly MacDonald als warmherziges Kindermädchen Nou überzeugen; einzig der (kleine) Will Tilston bleibt als Christopher Robin recht eindimensional und soll mit seinem pausbäckigen, ewig lächelnden Gesicht primär niedlich aussehen. Die Inszenierung legt großen Wert auf die Optik, was sich in tollen Kostümen und einer sehr hochwertigen Ausstattung niederschlägt, die Handlung dadurch aber allzu oft in kitschig-warmes Spätnachmittagslicht packt. Das steht in krassem Kontrast zur Bitterkeit des Erzählten. Schön sind hingegen einige märchenhafte Elemente, wenn ein gemalter Luftballon vor der Kulisse des Waldes nach oben steigt oder die Fantasie von Vater und Sohn mit einem plötzlichen Wintereinbruch mitten im Sommer die Bildebene übernimmt. Insgesamt fällt „Goodbye Christopher Robin“ sehr konventionell aus. Das ist bei einem Werk, das sich dem anarchischen, verqueren, sehr speziellen Geist von Winnie the Pooh und seiner Gefährten verschrieben hat, allerdings alles andere als ein Gütesiegel.