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Filmplakat von Meine Stunden mit Leo

Meine Stunden mit Leo

97 min | Drama, Lovestory | FSK 12
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Nancy Stokes, eine verwitwete, ehemalige Lehrerin, sehnt sich nach Abenteuern, zwischenmenschlicher Nähe und gutem Sex, der ihr in ihrer stabilen, aber langweiligen Ehe vorenthalten wurde.

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Leider gibt es keine Kinos.

Filmkritik

Die Nervosität, mit der Nancy (Emma Thompson) das Hotelzimmer durchstreift, setzt jede ihrer Gesten, jede kleinste Bewegung unter Strom. Sie hat einen Sexarbeiter gebucht, mit dem sie nach Jahrzehnten lustloser Verrichtung der „ehelichen Pflichten“ etwas nachholen möchte. Ihr Mann ist vor zwei Jahren gestorben; mehr als die Befriedigung der männlichen Lust gab es mit ihm nicht; nur ein kurzes Kneten der Brüste, dann wurde drübergerobbt. Ehe sich die Frau versah, schlummerte der Mann den Schlaf des (Selbst-)Gerechten.

Da ist auf der einen Seite der Mann und auf der anderen die Frau. Aus diesen Identitäten ergibt sich seit Ewigkeiten eine strenge und ziemlich grobe Kartografie des Begehrens: Sex. Lust. Befriedigung. Fertig. Eine Befreiung aus einem solchen Korsett, hinter dem sich unschwer moralische Regeln erahnen lassen, ist trotz aller liberaler Freiheiten gar nicht so einfach. „Etwas“ nachholen. Das klingt harmlos. Als ginge es nur darum, bestimmte Praktiken auf einer Liste abzuhaken. Ein solches „Etwas“ wächst dann doch schnell zu etwas Bedrohlichen heran. Denn es ist nie einfach nur Sex, der wie eine Turnübung abgeleistet wird. Genau davon handelt „Meine Stunden mit Leo“, der mehr über das Begehren erzählt als über Cunnilingus, Fellatio und Doggy Style.

Im Korsett gesellschaftlicher Schicklichkeiten

Kurz bevor es an der Tür klopft, stürzt Nancy zur Selbstberuhigung noch einen Schnaps aus der Minibar hinab. Dann steht der gutaussehende Leo Grande (Daryl McCormack) vor ihr und all die ungeschriebenen, aber sehr wirksamen Gesetze der Schicklichkeit machen sich im Hotelzimmer breit. Ist das wirklich okay? Kann man jemanden für Sex bezahlen? Was würden die anderen von dieser ersehnten Wollust denken? Alle diese Fragen plagen Nancy. Immerhin war sie Religionslehrerin und durch ihren Beruf in gewisser Weise der Sittlichkeit verschrieben. Außerdem ziemt es sich für eine Frau jenseits der Wechseljahre nicht, einen Körper zu haben, der berühren und der auch berührt werden will. (Gesellschaftlicher) Anstand und Würde greifen nach Nancy.

Allein diese Verwirrungen kann sie nun nicht mehr mit sich allein ausmachen. Denn da ist eben jetzt auch Leo, der seinen Job erledigen will. Sexarbeit, wenn sie so abläuft, wie es der Film beschreibt, eröffnet eine Illusion und gleichzeitig eine Freiheit, in der gesellschaftliche Rollen abgelegt werden können. Darüber wird es sicherlich Diskussionen geben. Regisseurin Sophie Hyde verfährt mit diesem Thema allerdings nicht leichtfertig; sie hat intensiv recherchiert und sich mit Sexarbeitern ausgetauscht. Sex ist schon lange keine private Angelegenheit mehr, es ist vielmehr eine regulierte und zugerichtete Praxis und kann so auch eine Dienstleistung sein.

Um diesen Job leisten zu können, muss der junge Mann jedoch sein anderes Leben verbergen. Gleich zu Beginn zeigt Hyde den Protagonisten auf dem Weg zu Nancy, wie er ein Café verlässt, sich in der Scheibe betrachtet und sich diesen Leo als eine Form überstreift, wie andere den Mantel eines Rockstars. „Leo“ ist eine soziale Konstruktion, eine Dienstleistung. In unbeobachteten Momenten, wenn sie sich auf der Toilette frisch macht, blickt er in den Spiegel und sucht die richtige laszive Haltung auf dem Bett. Es ist gar nicht so einfach, nicht aus der Rolle zu fallen und das Theater der Erotik zu spielen, wenn man selbst gefallen will. Denn damit bricht das Begehren ein, das immer geteilt ist, in Berühren und berührt werden Wollen – womit die Sache ungemein kompliziert wird.

Wenn man sich näherkommt

Im Verlauf des Films kommen sich Leo und Nancy näher. Sexy wird es dabei nicht. Dem Film geht es um etwas anders. Mit jedem Treffen entsteht eine Vertrautheit, an deren Grenzen sich die sogenannten „echten“ Leben außerhalb dieses Hotelzimmers stoßen. Je mehr Nancy von sich preisgibt, über ihren Alltag, die Probleme mit den Kindern und ihre tiefen Entsagungen spricht, desto mehr verwandelt sie sich auch in einen Körper: Sie wird eine andere, die dann auch wissen will, wer sich hinter Leo verbirgt; der bezahlte Sex gewinnt an existenziellem Gewicht.

Insgesamt gibt es vier Treffen. „Meine Stunden mit Leo“ ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Kammerspiel. Die pensionierte Religionslehrerin will gleich zu Beginn abbrechen oder es einfach schnell hinter sich bringen. Leo bleibt professionell und nimmt ihr die Angst, behutsam wie ein Therapeut. Es gibt Sex. Aber das ist im Grunde nebensächlich. Die Blicke und die Berührungen sind viel wichtiger. Die Inszenierung lässt beide Körper einen gemeinsamen Raum einnehmen und vor allem auch die Frau blicken, sich aussprechen und berühren.

Immer wieder spielen Erinnerungen eine Rolle. Dabei werden Szenarien beschrieben, die fast an den Traum von Nicole Kidman in „Eyes Wide Shut“ erinnern. Eine erotische Fantasie, die dort Tom Cruise in die Abgründe seines männlichen Begehrens stürzt. In „Meine Stunden mit Leo“ stürzt niemand in Abgründe. Der Film ist die helle Kehrseite, eine affirmative Eloge auf das, was sich zwischen zwei Körpern abspielen kann, wenn es beide wollen und wenn man sich der Gesellschaftskörper entledigt hat.

Auch der Film entkleidet sich zunehmend

Dabei könnte man dem Film durchaus vorwerfen, dass er mitunter sehr thesenhaft verfährt: die verstockte Lehrerin, der konservative Ehemann und der verletzte Mann hinter der Maske von Leo. Doch diese Konstruktion ist beabsichtigt. Der Film versammelt alle diese möglichen Vorurteile und Narrative, baut sie auf, diskutiert sie, nur um sie dann in den Momenten der Berührung abzustreifen. Anders gesagt: „Meine Stunden mit Leo“ entkleidet sich als Film zunehmend, bis eben auch alle diese Normen nackt sind.

Erschienen auf filmdienst.deMeine Stunden mit LeoVon: Sebastian Seidler (22.1.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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