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Filmkritik
Der Regisseur Veit Helmer ist mittlerweile eine Rarität unter den deutschen Filmemachern. Er schreibt die Drehbücher selbst, inszeniert und produziert. So auch bei seinem jüngsten Film „Gondola“, den er in Georgien gedreht hat. Ein Großteil der Handlung spielt in einer betagten Seilbahn, die ein Bergdorf mit einer Kleinstadt im Tal verbindet. Nach dem Tod des alten Schaffners kommt seine Tochter Iva (Mathilde Irrmann) zurück, um seine Stelle zu übernehmen. Eingearbeitet wird sie von der erfahrenen Kollegin Nino (Nino Soselia), die sich allerdings schon bei einer Fluggesellschaft beworben hat. Während der täglichen Arbeit sehen sich die beiden jede halbe Stunde, wenn eine Gondel hinauf- und die andere hinunterfährt.
Zunächst lächeln sich die beiden jungen Frauen nur zu, dann necken sie sich und flirten. Mit handwerklichem Geschick verwandeln sie ihre Gondeln in fantastische Reiseobjekte oder sie bringen sich mit Geige und Trompete wechselseitig ein Ständchen dar. Ihr Chef, der dominante Stationsvorsteher (Zuka Papuashvili), beobachtet das Techtelmechtel mit Argusaugen. Als er mit ungeschickten Avancen bei beiden abblitzt, sinnt er auf Rache.
Mut zur Naivität
Die meisten Langfilme von Veit Helmer weisen drei Charakteristika auf. Zum einen ist der 1968 in Hannover geborene Filmemacher ein begnadeter Märchenerzähler – der unermüdlichste im deutschen Kino. Mit Mut zur Naivität und einer Vorliebe für Romanzen erzählt er poetische Geschichten in zeitlosem Ambiente. Zum anderen schweift der Filmemacher gerne in die Ferne, dreht seine Erzählungen bevorzugt an wenig frequentierten Schauplätzen im östlichen Europa oder im Kaukasus. Sein Langfilmdebüt „Tuvalu“ inszenierte er in Bulgarien, „Absurdistan“ spielte in Aserbaidschan, „Baikonur“ in der kasachischen Steppe. Für die romantische Burleske „Vom Lokführer, der die Liebe suchte…“ kehrte Helmer 2018 nach Aserbaidschan zurück, musste dann aber etliche Außenaufnahmen in Georgien drehen.
Zum dritten hat Helmer ein Faible für Filme, die ohne oder mit nur wenigen Dialogen auskommen und vor allem über die Bilder erzählen. In „Gondola“ verständigen sich die beiden Gondelführerinnen nur per Mimik, Gestik, Körpersprache, Schrifttafeln und Dingsymbolen. Das einzige Wort, das zwischen ihnen fällt, ist ein „Okay“, das Iva ruft, als sie und Nino einen Rollstuhlfahrer mit einem Seilzug unter die Gondel hieven.
Der Verzicht auf Dialoge hat große Vorteile. Da die Schauspieler nicht die gleiche Sprache sprechen müssen, kann Helmer problemlos ein internationales Ensemble zusammenstellen. In „Gondola“ vertraute er die beiden Hauptrollen der Französin Mathilde Irrmann und der Georgierin Nino Soselia an, die sich darstellerisch gut ergänzen. Da solche dialogarmen Filme nicht synchronisiert oder untertitelt werden müssen, sprechen sie überdies ein globales Publikum leichter an.
Aufgrund der sparsamen Dialoge erinnern sie aber auch an die Ästhetik der Stummfilmära. Mit seiner Vorliebe für Skurriles und Verspieltes schlägt der Regisseur häufig humoristische Funken aus Slapstick-Nummern. Etwa wenn sich Iva und Nino mit immer neuen Einfällen wie einer Bootsattrappe oder einer Rakete zum Mars beglücken. Es sind bildstarke Metaphern für ihre Sehnsucht, aus der engen Provinz auszubrechen und die weite Welt kennenzulernen.
Illusion eines zeitlosen Mikrokosmos
Gelegentlich erinnern der verspielt-naiv wirkende Humor und die Ausflüge ins Pantomimische an die zivilisationskritischen Filmkomödien von Jacques Tati, während die fantasievolle Fabulierfreude an die einfallsreichen Universen von Wes Anderson denken lässt und die entschleunigte Episodenhaftigkeit Assoziationen an die eigenwilligen Kreationen von Roy Andersson weckt.
„Gondola“ ist in einem Setting angesiedelt, das wie aus der Zeit gefallen wirkt. Die vorhandenen Gerätschaften wie die verrostete Seilbahntechnik oder die Münzbehälter der Schaffnerinnen wirken renovierungsbedürftig oder veraltet. Moderne Kommunikationsmittel wie Smartphones oder Laptops sucht man vergebens; auch ein Radio oder einen Fernseher würde man vergebens erwarten. Es ist die Illusion eines zeitlosen Mikrokosmos, aus dem jedes soziale Gefälle, alle ethnischen Spannungen und politischen Konflikte ausgespart bleiben.
Das Handlungsgerüst ist dünn und hätte auch für einen Kurzfilm ausgereicht. Helmer schmückt es beim Annäherungsprozess zwischen den Schaffnerinnen mit allerlei skurrilen Episoden aus, die in ihrer Fülle allerdings repetitiv wirken. Dazu kommen knappe Nebenhandlungen um einen Rollstuhlfahrer und einen kleinen Jungen, der auf altmodisch-charmante Weise um die Freundschaft eines gleichaltrigen Mädchens wirbt. Zu Beginn trifft Iva auf ihre verhärmte Mutter, die ihr mit Verachtung begegnet. Warum sie sich so abweisend verhält, bleibt offen.
Flotte Bläsersätze & zarte Melodien
Zu der burlesken Stimmung der warmherzigen Romanze trägt vor allem die abwechslungsreiche Musik der isländischen Sängerin Sóley Stefánsdottir und des Musikers Malcolm Arison bei, die mühelos zwischen rustikalen Akkordeonklängen, zarten Klaviermelodien, flotten Bläsersätzen und leisem Frauenchorgesang changiert.