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Filmkritik
Die mit sakralen Gesängen unterlegte Geburt von Gloria ist die einzige Extravaganz, die sich das ebenso geradlinig wie klassisch erzählte Familiendrama von Robert Guédiguian herausnimmt. Ansonsten ist die Realität in „Gloria Mundi“ einfach zu drückend, um sich Gefühle wie Ergriffenheit und Pathos leisten zu können; zumindest die Ouvertüre aber ist eine Hommage an den armenischen Filmemacher Artawasd Peleschjan.
Seit etwa vierzig Jahren dreht Guédiguian Sozialdramen, bevorzugt in seiner Heimatstadt Marseille und sehr verlässlich mit seiner Ehefrau Ariane Ascaride, zu der sich weitere „Ensemblemitglieder“ wie Gérard Meylan und Jean-Pierre Darroussin gesellen. Diese kontinuierliche Mannschaft steht auch für ein gemeinschaftliches Arbeiten, was im neoliberalen Kapitalismus fast schon ein Anachronismus ist.
Es reicht hinten und vorne nicht
In „Gloria Mundi“ droht den Figuren, die der durch die Gig-Ökonomie erodierten Arbeiterklasse angehören, permanent der freie Fall. Sylvie arbeitet unter lausigen Bedingungen am Hafen als Putzfrau. Wenn sie im Morgengrauen nach Hause zurückkehrt, steht ihr Mann Richard auf, um seine Schicht als Busfahrer anzutreten. Ihre Tochter Mathilda ist gerade Mutter geworden und rotiert schon wieder als Verkäuferin – vorerst auf Probe und unter den misstrauischen Augen ihrer Chefin. Nicolas, ihr Lebensgefährte und Vater der kleinen Gloria, hat sich als Uber-Fahrer selbständig gemacht. Von seinem mühsam erarbeiteten Gehalt muss auch die Babysitterin bezahlt werden, die in einem viel zu kleinen Apartment mehrere Kinder beaufsichtigt – abseits der staatlich unterstützten Kinderbetreuung.
Nur bei Mathildas Halbschwester Aurore und ihrem Mann Bruno läuft es gut. Das Paar, das in seinem gnadenlosen Egoismus ein wenig zu grell gezeichnet ist, betreibt eine Pfandleihe in einem prekären Bezirk. Die Armut der Leute schwemmt ständig kleine Beträge in den Laden; immerhin kommt dabei so viel zusammen, dass der steigende Kokskonsum und ein zweites Geschäft finanziert werden können.
Das wackelige System ungesicherter Arbeitsplätze bricht im Laufe des Films Stück für Stück zusammen. Nicolas wird krankenhausreif geschlagen und kann monatelang nicht mehr Auto fahren; als Freelancer steht ihm aber kein Krankengeld zu. Richard verliert durch eine Regelverletzung seine Lizenz, am Hafen wird gegen den erbitterten Widerstand von Sylvie gestreikt. Vom anfänglichen Familienglück ist wenig übrig; Liebe, familiärer Zusammenhalt und Solidarität drohen alle guten Gefühle zu zersetzen.
Ein Helfer in der Not
Es ist eine ganze Menge, was Guédiguian in seinem 21. Film den Figuren an fatalen Gleichzeitigkeiten und Erschöpfungen zumutet. Umso erstaunlicher aber ist, dass bei diesem etwas schematisch konstruierten Lehrstück überhaupt etwas Mehrdimensionales entsteht. Doch das geschieht tatsächlich, weil das eingespielte Ensemble die Figuren mit Leben füllt. Auch tritt in Gestalt von Daniel eine stille, sehr diskret im Hintergrund wirkende Kraft ins familiäre Gefüge. Der biologische Vater von Mathilda hat zwanzig Jahre im Gefängnis gesessen und erst kurz vor seiner Entlassung von der Existenz seiner Enkelin erfahren. Wider Erwarten ist sein Auftauchen kein Anlass für weitere Konflikte und Verwicklungen; im Gegenteil. Bald schiebt er den Kinderwagen durch Shopping Malls, geht mit seiner Ex-Frau in alter Vertrautheit spazieren und führt mit ihrem Mann nachdenkliche Gespräche auf der Parkbank.
Daniel gleicht den Haikus, die er schreibt: knapp, unsentimental und ein wenig beruhigend. Seine selbstlose Form der Hilfsbereitschaft, die der Film am Ende ein wenig überstrapaziert, tut etwas im Kleinen. Sie ändert aber natürlich nichts am System.