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Filmkritik
Der elfjährige Pino Gambassi leidet an einer seltenen Bluter-Krankheit; nach einer Verletzung gerinnt sein Blut nur sehr langsam oder gar nicht, was lebensbedrohlich sein kann. Um das zu verhindern, haben seine Eltern ihm verboten, das Haus alleine zu verlassen. Er darf auch nicht rennen und trägt sicherheitshalber meistens einen Sturzhelm. Unterrichtet wird er von einem Privatlehrer. In seinem Zimmer gibt es viele Spielsachen und Bücher, die für Trost und Ablenkung sorgen; seine Einsamkeit können sie aber nicht vertreiben.
Die Welt dort unten
Von seinem abgekapselten Refugium aus beobachtet Pino heimlich das lebhafte Treiben auf dem Platz vor dem Haus in der italienischen Kleinstadt Astra Laguna. Hier treffen sich häufig die Kinder der Snerds-Bande, um zu spielen oder mit ihren Fahrrädern Rennen zu fahren. Eines Tages bemerkt die Snerds-Anführerin Mavi den Beobachter und steigt zu ihm auf den Balkon hinauf. Erst stellt sie ihn zur Rede, dann fordert sie ihn auf, das nächste Mal zu ihnen herunterzukommen.
Das passiert rascher als erwartet. Als Pino sieht, wie ein Junge aus einer rivalisierenden Bande mit älteren Jungs Mavi eine Falle stellt, damit sie bei einem Fahrradrennen über ein gespanntes Seil stürzt, läuft er spontan hinaus und rettet Mavi. Dank dieser Heldentat wird Pino bei den Snerds aufgenommen und freundet sich mit Mavi, dem blauhaarigen Domenico, der cleveren Mei Ming und dem pummeligen Ciccio an. Nach einer Intervention der Kinder darf Pino sogar mit ihnen in die Schule gehen, trotz der Einwände seiner Großmutter, die sich noch mehr als seine Mutter um ihn sorgt.
Eines Tages aber ist Pino spurlos verschwunden. Die Polizei vermutet, dass er ausgerissen ist, doch die Snerds haben einen anderen Verdacht und beginnen mit vereinten Kräften nach ihm zu suchen.
Mit einer ungestümen Einbildungskraft
Der erste Kinderspielfilm des italienischen Regisseurs Samuele Rossi beginnt und endet mit Comics. Denn Pino ist auch ein talentierter Zeichner und verarbeitet seine Außenseiterexistenz und seine Erlebnisse in dynamischen Bildfolgen, die sozusagen die Rahmenhandlung bilden. Von einer ungestümen Einbildungskraft sind auch jene Szenen geprägt, in denen Pino träumt oder in Ohnmacht fällt; dann sieht man mit seinen Augen, wie er unter Wasser schwebt, bis ihn ein starkes Licht oder ferne Stimmen wieder in die Gegenwart zurückrufen.
Nach dem Comic-Einstieg wirkt „GlassBoy“ zunächst wie ein schicksalsschweres Hämophilie-Drama um einen armen Underdog, der nur ab und zu aus seiner Tristesse ausbricht, um zu lauter Musik Rock’n’Roll zu tanzen. Durch das Bündnis mit den Snerds wandelt sich „GlassBoy“ aber zu einem kurzweiligen Film über eine außergewöhnliche Kinderfreundschaft, angereichert mit Abenteuern und einer detektivischen Spurensuche, die bis nach Österreich führt.
Die Ausgangskonstellation erinnert an den Kinder- und Jugendroman „Der geheime Garten“ (1911) der britischen Autorin Frances Hodgson Burnett. Wie in dem Buch vermittelt auch im Film die Begegnung mit einem tatkräftigen Mädchen dem schwerkranken Jungen neuen Lebensmut. „GlassBoy“ fußt jedoch auf dem italienischen Kinderbuch „Il bambino di vetro“ von Fabrizio Silei und entwickelt durch den Wechsel der Erzählmuster und Tonlagen rasch ein eigenständiges Profil.
Ein ausgezeichnetes Kinderensemble
Der Film wartet vor allem mit einem ausgezeichneten Kinderensemble auf, das manche Schwächen der Inszenierung ausgleicht. Aus der spielfreudigen Riege von Kinderdarstellern, die fast alle zum ersten Mal vor der Filmkamera stehen, ragt der schon etwas erfahrenere Andrea Arru heraus, der Pinos Einsamkeit und Melancholie ebenso treffsicher wie glaubhaft verkörpert, aber auch Lebensfreude und Übermut gut spielen kann.
Nicht nur der tapfere Protagonist, sondern auch der Film muss sich mit einigen Handicaps herumschlagen. Dazu gehört die stark typisierte Snerds-Bande, deren Mitglieder einem Setzkasten für Kinderstereotypen entsprungen sein könnten. Am stärksten sticht das bei Ciccio ins Auge, der allein dadurch definiert ist, dass er sich ständig Süßigkeiten in den Mund schiebt. Zwar erfährt man nach und nach mehr über die Vorgeschichten der Snerds, etwa über das gespannte Verhältnis von Mavi und ihrem Vater, doch das ändert nichts am stereotypen Setting.
Im Streben nach Amüsement und Abenteuerlust schießt die Inszenierung vor allem im turbulenten letzten Drittel übers Ziel hinaus, etwa wenn eine Verfolgungsjagd im Wald in albernen Slapstick mündet. Auch die finale Versöhnung von Pinos Mutter und seiner überängstlichen Großmutter kommt überraschend schnell. Die Oma macht dabei die größte Entwicklung aller Figuren durch: Erst wirkt sie wie eine herrschsüchtige Furie, wenn sie Pino gegen dessen Willen unbedingt zu einer neuen Therapie nach Schweden bringen will, bis man erfährt, dass sie schon ihren Ehemann an die tückische Krankheit verloren hat und nun nicht auch noch ihren einzigen Enkel verlieren möchte.
Trotz seiner Schwächen ist „GlassBoy“ ein kurzweiliger, kindgerechter Abenteuerfilm, der sich angenehm beiläufig für Toleranz, Mitgefühl und Rücksichtnahme gegenüber Kranken und Außenseitern starkmacht.