Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Der Bestattungsunternehmer ist zu Gast. Der Tod des Vaters (Robert Kuchenbuch) soll vorbereitet werden. Sterben tut er schon lange. Im abgedunkelten Haus sitzt er, den Bolzenschussapparat im Schoß vor dem Kachelofen, immer in der Hoffnung vielleicht doch einmal den Mut zu entwickeln, den Abzug zu betätigen. Sein Sohn Daniel (Malte Oskar Frank), den er einmal auffordert, für ihn abzudrücken, sitzt mit ihm und dem älteren Bruder Michael (Eric Cordes) am Tisch, um den passenden Sarg auszusuchen. Der ist schnell gefunden: der billigste soll es werden. Die Beerdigung selbst ist ebenso schnell abgehakt. Sprechen soll niemand. Blumen will der Vater keine. Soll der Bestatter die Kleider für die Aufbahrung bereitstellen? Egal. Musik? Sollen die Söhne aussuchen. „War’s das jetzt?“, fragt der Vater zum Abschluss. Dann schleppt er sich zurück Richtung Bett, wo das Dahinsiechen weitergeht.
Der gesamte Film steckt in dieser Szene: bockig, misanthropisch, fatalistisch und apodiktisch ist das, was der Filmemacher Constantin Hatz hier auftischt. Im Gegensatz zur geplanten Beerdigung ist „Gewalten“ jedoch nicht effizient und schnell abgehandelt.
Die Menschlichkeit wird ausgetrieben
Durch die Augen Daniels beobachtet man das kontinuierliche Ableben der Menschlichkeit. Die Wege, die er geht, sind ziemlich gleichförmig: durch den dunstverhangenen Wald, zum immer noch nicht ausrangierten Schulbus, in die als sozialen Raum nicht existierende Schule und zurück nach Hause, vorbei am Hahn, der nicht kräht, und am Bruder, der fürs Gewichtheben, Hundekämpfe und die Hooligan-Schlägereien auf der Dorfwiese lebt.
Die einzige Station, die Abwechslung in den mit Gewalt und Resignation gepflasterten Weg bringt, ist ein Zusammentreffen mit Marcel (Paul Wollin). Auch er ist Teil des sich selbst erhaltenden maskulinen „Gewalten“-Zirkels, die hier weniger als Leitmotiv denn als tatsächlicher Plot stattfindet. Wo andere die Leichen der Hunde am Straßenrand abladen, nimmt Marcel sich die Zeit, die toten Tiere zu begraben und kurz innezuhalten. Damit bringt der als geheimnisvoller Fremder inszenierte Marcel so etwas wie Empathie in diese entlang von Vergewaltigungen gezeichnete Welt. Er ist der einzige Erwachsene, der sich gegen den Rassismus auflehnt, der als Ergänzung zu den anderen Verdorbenheiten gestellt wird, wenn Daniel seinen einzigen Schulfreund Karim (Mohamed Haj Younis) und dessen Bruder zum Sportfest einlädt. Eine wirkliche Entfaltungsmöglichkeit für die zunehmend zärtliche Beziehung zwischen Daniel und Marcel will der Film den beiden aber nicht einräumen. Zu sehr bleibt alles auf Zynismus gebürstet.
„Gewalten“ genügt sich darin, die Zirkel der Brutalität wieder und wieder zu zeichnen. So ist auch der Protagonist Daniel nur ein stummer Zeuge, obwohl er vom ersten Moment an als der Mensch zu erkennen ist, der inmitten dieser von kleingeistiger Grausamkeit geprägten Welt keinen Platz hat; er ist der einzige, blass-glänzende Farbklecks inmitten einer trüben Landschaft, in der er ohne Agenda, Ziel oder Ausweg umhertappst. Er ist kein Fürst Myschkin, dessen Menschlichkeit von der Unmenschlichkeit, die ihn umgibt, verdorben wird, sondern eben nur der Junge, der den Blick auf etwas wirft, um sich und dem Publikum die dazugehörige Reaktion zu verweigern.
Wie kommt man aus dem Zirkel heraus?
Die vom Vater bei jeder Gelegenheit zur Brutalitäts-Maschine verklärte Natur ist der einzige Fluchtpunkt, den der Film zwischen den grauen Ruinen des Dorfs und den grauen Gestalten, die darin hausen, bereitstellt. Allein im Wald wird die Routine unterbrochen. Hier kann noch mit dem Moos gekuschelt und dem Rauschen zugehört werden, das der Wind gemeinsam mit den Bäumen anstimmt. Ein Refugium, das geradezu lächerlich wirkt inmitten eines Films, der ständig auf der Suche nach Möglichkeiten ist, seine Gewalten zu potenzieren: körperliche Gewalt gegen Kinder, Gewalt an Tieren, sexuelle Gewalt gegen Frauen.
Das bisschen Waldromantik, das kurz ins Zimmer gelassene Licht der Erlösung und der verirrte Vogel, der vielleicht doch so etwas wie eine Seele bezeugt, erscheinen eher als dramaturgische Verpflichtungen, die eigentlich nicht wirklich stören und schon gar nicht das Ethos des Films in Frage stellen möchten. Wer aus dem Zirkel austritt, tut es beim Bestatter oder dem Bolzenschussgerät.