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Filmkritik
Was für ein minimalistischer und zugleich elektrisierender Beginn: Zeitsprünge, Autounfälle, Stimmen, die Gedichte rezitieren, vor der Kamera flirrende Wälder und eine Zugfahrt, die in die Sackgasse einer traumatisierten Familie führt. Die Stuntfrau Chrissi (Anna Maria Mühe) hatte im Ausland jahrelang Erfolg in ihrem lebensgefährlichen Beruf, bis es einmal schiefging, weil sie während einer Show zu nervös war oder vielleicht auch schon ausgebrannt. Gefesselt an einen Rollstuhl, lässt sie sich nach der Reha von ihrer französischen Kollegin nun in ihr Heimatdorf zurückbringen.
Im Haus herrscht eisige Stille
Ausgerechnet an dem Ort, den sie nach einem schweren Autounfall fluchtartig verließ, muss sie nun ausharren, bis die administrativen Hürden genommen sind und sie eine Sozialwohnung beziehen kann. Gezeichnet von ihrer Behinderung, trifft sie auf ihren depressiven Vater, einen pensionierten Polizisten, der eine einsame Trinkerexistenz mit seinem Hund führt, misstrauisch beäugt von den Dorfbewohnern, die sich an dem Leid der zerstrittenen Familie zu ergötzen scheinen.
In dem Haus, in dem sie einst mit ihrem Bruder aufgewachsen ist, herrscht eisige Stille. Nach und nach erfährt man aus den Rückblenden und Wiederbegegnungen mit alten Freunden, dass Chrissi vor sieben Jahren nach einer durchtanzten Nacht am Steuer des geklauten Polizeiwagens ihres Vaters eingeschlafen ist und so den Tod ihres jüngeren Bruders verursacht hat. Geplagt von Schuldgefühlen, schaffte sie es nicht, zu seinem Begräbnis zu gehen, auch weil ihr Vater den Unfallort nachträglich manipuliert hatte, um sie vor dem Gefängnis zu bewahren. Ihre tiefgläubige Mutter trieben der Verlust und die Wut auf das Versagen der Tochter nach Afrika, wo sie sich um Waisenkinder kümmerte.
Damit Chrissi Geld aus dem Familien-Bausparvertrag ausbezahlt bekommen kann, muss aber auch die Mutter zustimmen. Während Vater und Tochter auf ihren Rückruf warten, nähern sie sich allmählich wieder an und stellen sich dem Verlust. Chrissi besucht zum ersten Mal das Grab ihres Bruders, was zu einem kathartischen Moment führt, den das bekiffte Duo mit erratischen Rollstuhlfahrten und dem Ausmisten des zum Mausoleum erstarrten Zimmers des Bruders krönt.
Die letzte Prüfung, die Chrissi auf ihrem Weg zur inneren Befreiung noch nehmen muss, ist die Konfrontation mit der Mutter. Die gibt sich nach ihrer Ankunft erst mitfühlend, wärmt dann aber doch die alten Vorwürfe wieder auf und scheint ausschließlich mit ihrem eigenen Seelenheil beschäftigt zu sein, was den Vater, der eine Aussprache sucht, in Rage bringt. Neben diesem Streit muss Chrissi sich auch ihren Freunden von früher stellen, die ebenfalls in dem Unfallwagen saßen und ihr vorwerfen, ihr Leben zerstört zu haben.
Viel Dunkel, wenig Licht
Es gibt viel Dunkel in den Personen und kaum Licht in der szenischen Gestaltung. Im Gegensatz zu dem wuchtigen Auftakt ist der Stil des Regiedebütanten Karsten Dahlem, der ab den 2000er-Jahren zuerst als Schauspieler arbeitete, zurückhaltend-beobachtend und wohltemperiert, mit Gespür für familiäre Bruchstellen, die er in den verletzten Seelen der Figuren findet. Ihre Erforschung ist das Herzstück des mitunter mit unerwartet humorvollen Dialogen behutsam gespickten Dramas. Für die Offenlegung der Ursachen, die zur Katastrophe führten, nimmt sich Dahlem viel Zeit; er zeigt Glücksmomente, in die man erlöst eintaucht, nur um umso abrupter durch einen harten Schnitt wieder im Gefühlskarussell der gepeinigten Chrissi zu landen, die von ihrem Vater zur Konfrontation mit der Vergangenheit mitunter brachial gezwungen wird.
Das Verhältnis der beiden mutet beinahe wie ein Duell an, bei dem beleidigt, geschrien, um sich geschlagen, am Ende aber auch zärtlich in die Arme genommen wird. Anna Maria Mühe und Michael Wittenborn meistern ihre herausfordernden Parts eindrücklich, spielen auf der Klaviatur von Selbstgeißelung und Sehnsucht nach dem Verständnis des anderen. Die rohe Machart des Films kollidiert mitunter etwas mit einer zu gewollt aufs Sentiment setzenden Musik, aber der Kampf gegen die Verdrängung trauriger Wahrheiten entwickelt einen beträchtlichen Sog, nicht zuletzt dank der gelungenen Montage. Auch wenn Dahlem nicht immer die Balance zwischen realistischer Rekonstruktion und melodramatischer Zuspitzung zu halten versteht, lohnt sich seine Lektion eines schwer erkämpften Befreiungsschlags – als Erzählung von Liebe und Vergebung, die nichts zu hemmen vermag.