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Filmplakat von Gehen und Bleiben

Gehen und Bleiben

168 min | Dokumentarfilm
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Motive des Gehens und Bleibens und die Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte durchziehen das Werk von Uwe Johnson (1934-1984), mit dessen Texten Volker Koepp in die biografischen und literarischen Gegenden des Schriftstellers reist. Vor allem geht es in den Nordosten Deutschlands, zu Menschen, die von ihrem Leben in der unmittelbaren Gegenwart, von ihren Erinnerungen, vom Ausharren an den Orten ihrer Herkunft, vom Fortziehen und auch von Uwe Johnson erzählen.

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Filmkritik

Uwe Johnson (1934-1984) war ein Solitär im deutschen Schriftstellerbetrieb, ein Grenzgänger, ein Rastloser, einer, der nicht auf der Stelle trat und frei über seine Kunst und sein Leben entscheiden wollte. In der DDR, in der er als Jugendlicher aufwuchs, konnte er seine Sehnsucht nach neuen Eindrücken, Ideen und Reisezielen nicht verwirklichen. So ging er 1959 nach West-Berlin, lebte Ende der 1960er-Jahre zwei Jahre in New York, starb aber 1984 in der englischen Küstenstadt Sheerness on Sea, wo er sich mit seiner Frau niedergelassen hatte.

In „Gehen und Bleiben“ lässt Volker Koepp den Schriftsteller, dessen Roman „Mutmaßungen über Jakob“ heute ein moderner Klassiker ist, in Schwarz-weiß-Archivaufnahmen wiederauferstehen. Darin liest der Autor, den man von Fotos immer nur mit der Pfeife im Mund kennt, mit extrem geschorener Kurzhaarfrisur und ironischer Distanz seinen eigenen Lebenslauf vor. Koepp sucht neben der englischen Kleinstadt auch die Orte in Mecklenburg auf, in denen Johnson gelebt hat. Er setzt damit seine historisch geprägten Landschafts- und Menschenerkundungen in Ost- und Mitteleuropa fort, zu denen Filme wie „Kurische Nehrung“, „Landstück“ oder „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ gehören. Wie in „Wiederkehr – Reisen zu Johannes Bobrowski“ führt erneut ein Schriftsteller leitmotivisch durch den Film.

Vom Krieg verschont geblieben

Mecklenburg steht für die erste Lebenshälfte des zwar in Pommern geborenen, aber in Anklam und Güstrow aufgewachsenen Uwe Johnson. Er ist dort bis heute nicht vergessen, sei es von Weggefährten, Bekannten oder Nachbarn, die ihn direkt oder indirekt gekannt haben. Aus ihren Aussagen und vor allem auch in seinen Schriften wird deutlich, wie wichtig Johnson seine mecklenburgische Herkunft war und wie sehr ihn als Kind auch die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit beeinflusst hat. Während er 1945 als Zehnjähriger von Kampfhandlungen verschont blieb, starben ältere Mitschüler als Kanonenfutter für die NS-Ideologie noch in den letzten Kriegstagen.

Der junge Johnson, der das NS-Gedankengut schnell ablegte, erkannte damals, wie mit der Niederlage Nazi-Deutschlands für manche Erwachsene eine Welt zusammenbrach. In seinem Opus Magnum, dem Romanzyklus „Jahrestage“, beschreibt er die Tragödie der Versenkung des ehemaligen Luxusdampfers Cap Arcona durch britische Flugzeuge. Dabei kamen Tausende Häftlinge aus dem KZ Neuengamme ums Leben; ihre Leichname schwammen monatelang in der Ostsee. Diese Begebenheit wird in „Gehen und Bleiben“ ebenso thematisiert wie Verdrängung und Schuld. Die Rolle der Kirche in Güstrow zu NS-Zeiten kritisiert ein Pfarrer: 1937 wurde im Güstrower Dom die Barlach-Statue „Schwebender Engel“ als „Entartete Kunst“ abgehängt. Johnson hatte sein Studium mit einer Arbeit über den Künstler abgeschlossen. Und so zeitigen Johnsons Schriften historische oder aktuelle Reflexionen, oder stellen Gebäude und Orte in Mecklenburg einen Bezug zu dem Schriftsteller her.

Zwischen den Welten

Der Schauspieler Peter Kurth stammt ebenfalls aus Güstrow, wo Johnson zur Schule ging. Zunächst erzählt Kurth von seiner eigenen Biografie, später liest er im Off aus den Werken von Johnson vor, darunter auch Passagen zur Cap Arcona. Dazu sieht man Bilder mecklenburgischer Landschaften mit ihren Seen und Feldern, die in ihrer Schönheit mitunter im Kontrast zu dem Vorgetragenen stehen. Zuweilen schweift der Film mit Vorträgen über eine Burg oder vorneuzeitliche Geschichte auch ab; nicht alle Informationen lassen sich auf die Schnelle verarbeiten. Auch weiß man bei den Gesprächspartnern nicht immer, wer sie sind. Manche Bezüge zu Johnson muss man erschließen. Doch die Grundidee von Johnsons Erkundungsfreude und Heimatlosigkeit bleibt erhalten. Diese entstand auch daraus, dass Johnson im Osten nicht veröffentlicht wurde; im Westen hingegen wurde er nicht immer gut verstanden. Das ist eine widersprüchliche Situation, welche an die des späteren Grenzgängers Thomas Brasch erinnert.

Dass Johnsons Werk politische Systeme und Zensur überdauerte, bezeugt sein Einfluss auf Leser und Literaturwissenschaftler. Ein Germanist erinnert an eine eingehende Beschreibung des Hauptbahnhofs in Leipzig, wo alle Straßenbahnen der Stadt aufeinandertreffen.

Indem Koepp den Spuren Johnsons nachgeht, wird auch er zum Reisenden durch Landschaften und eine Historie, die sich zu wiederholen scheint. Ein offenbar spontan gewählter Gesprächspartner erzählt in einer Kleinstadt von dem Verlust seiner Brüder im Zweiten Weltkrieg. Der alte Mann will für die Opfer des aktuellen Ukraine-Krieges aber keine rechte Empathie aufbringen. So nimmt Koepp aktuelle Ereignisse auf und ergänzt sein Konzept wiederholt um spontane Elemente. Als ein anderer Gesprächspartner, auch er ein Vielreisender und Spezialist für den russischen Filmregisseur Andrej Tarkowski, auf einem Marktplatz interviewt wird, laufen im Hintergrund Menschen mit Masken vorbei. Die Dreharbeiten fielen mitten in die Corona-Zeit und mussten deshalb mehrfach unterbrochen werden.

Am Ende schließt sich ein Kreis

Am Ende schließt sich ein Kreis: in Sheerness on Sea, wo eine Plakette am ehemaligen Wohnhaus an Johnson erinnert. Physisch ging Johnson fort und kehrte nie wieder an die Orte seiner Jugend zurück. Doch in seinen Gedanken und Schriften blieb er in Mecklenburg und hielt sie für kommende Generationen fest.

Erschienen auf filmdienst.deGehen und BleibenVon: Kira Taszman (3.6.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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