Vorstellungen
Filmkritik
In der Gegend um das Flüchtlingslager Al-Shati im Gazastreifen zeigt sich die Sonne nur selten. Alles wirkt ein wenig zerrüttet, trostlos und in ein bläulich mattes Licht getaucht. Wie selbstverständlich die prekären Lebensbedingungen von den Bewohnern hingenommen werden, zeichnet sich an beiläufigen Sätzen über lange Polizeikontrollen oder der von Israel veranlassten Stromsperre ab. Nicht jeder will solche Demütigungen hinnehmen. Ein Ladenbesitzer etwa verschwindet irgendwann nach Europa.
Die Zwillingsbrüder Arab und Tarzan Nasser widmen sich jedoch jenen, die bleiben. Ihr zweiter, angesichts des Settings untypisch leichter Spielfilm handelt von einer Liebe unter widrigen Umständen. Der ältere Fischer Issa ist in die verwitwete Schneiderin Siham verliebt, weiß aber nicht so recht, wie er ihr das sagen soll. Als er ihr eine Hose zum Kürzen bringt, reagiert sie halb zugetan, halb abweisend auf seine schüchternen Annäherungsversuche.
Die meiste Zeit sehen wir die beiden aber getrennt voneinander. Die Leidenschaft ist in „Gaza Mon Amour“ noch nicht entflammt, sondern noch eine ungestillte Sehnsucht. Man erinnert sich an den verstorbenen Mann oder an ein gescheitertes Date aus der Jugend, aber die Gegenwart ist karg und ohne Zärtlichkeit. Vielleicht wirkt die Liebe in „Gaza Mon Amour“ auch deshalb so abstrakt, weil sie lange imaginär bleibt. Beide Protagonisten haben ein Familienmitglied an ihrer Seite, das dieser Einsamkeit etwas hilflos gegenübersteht. Während Sihams westlich-modern auftretende Tochter dauergenervt mit ihrem Laptop durch die Wohnung läuft, versucht Issas Schwester den ewigen Junggesellen erfolglos zu verkuppeln.
Eine Statue und die Doppelmoral der Behörden
Eines Nachts fischt Issa dann eine antike Statue aus dem Meer, die den Gott Apollo mit mächtiger Erektion zeigt. Heimlich bringt er sie in seine Wohnung, wird aber bald von den Behörden verhaftet. Im Jahr 2007 fand tatsächlich ein palästinensischer Fischer eine ähnliche Skulptur. Im Film hat sie zweierlei Funktion: Zum einen löst sie bei Issa ein sexuelles Erwachen aus, zum anderen entlarvt sie die Doppelmoral der örtlichen Behörden. Ein überheblicher Polizist brummt dem ohnehin am Existenzminimum lebenden Issa schließlich eine Geldstrafe auf, während er sein üppiges Mittagessen verschlingt. Nach außen wird das sündige Verhalten beklagt, hinter den Kulissen aber schon nach einer Gelegenheit gesucht, die Statue möglichst profitabel zu verkaufen.
Mit „Gaza Mon Amour“ haben die im Exil lebenden Nassers einen Liebesbrief an ihre Heimat verfasst, der aber mitunter mit giftiger Tinte geschrieben ist. Unaufdringlich rücken sie manchmal die Absurditäten des Alltags ins Bild. Bei einem Aufmarsch der Terrororganisation Hamas sammeln sich die Leute etwa um eine wohl nicht ganz zufällig phallisch geformte Rakete, die auf den Erzfeind Israel geschossen werden soll. Während der Sexualität etwas Verbotenes anhaftet, wird der Krieg öffentlich glorifiziert. Der von Grünspan überzogene griechische Gott ist ein Hilfsmittel, um diesen perversen Widerspruch sichtbar zu machen. So wie die Statue vom Meeresgrund hochgezogen wurde, muss auch Issas Begehren inmitten eines lustfeindlichen Umfelds wieder aus dem Tiefschlaf erwachen. In seiner Gefängniszelle bekommt er kurz darauf einen wilden feuchten Traum.
Vertrauen auf unaufgeregte Gesten und leisen Witz
Die von Armut und Staatswillkür verschüttete Romantik versucht der Film manchmal mit etwas abgegriffenen Mitteln freizulegen. Dann setzt er melancholisch verspielte Klaviermusik ein oder lässt den ansonsten ziemlich mürrischen Protagonisten zu einem Liebeslied sanft durch die Küche tänzeln. Meist vermeiden die Nassers aber solche Verniedlichungen, vertrauen dafür auf unaufgeregte Gesten und leisen Witz.
„Gaza Mon Amour“ positioniert sich politisch nicht eindeutig, sondern widmet sich Individuen, die zwischen zerstörerischen Kräften fast zermalmt werden. „Ich will ein anderes Leben mit dem Menschen, den ich liebe“, heißt es einmal in einer Seifenopfer, die über einen Fernsehbildschirm flackert. Die Nassers flüchten sich mit ihrer Liebesgeschichte aber gerade in kein anderes Leben, sondern glauben daran, dass sie auch unter den höchst ungünstigen Bedingungen der Wirklichkeit möglich sein könnte.