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Filmkritik
Die Kamera ist förmlich verliebt in dieses schöne Gesicht, das sie in langen, starren Einstellungen festhält, egal, ob die junge Frau auf dem Bett liegt und an die Decke starrt, ob sie reglos in einer Praxis sitzt und dem behandelnden Arzt zuhört oder ob sie auf der Arbeit mit Kolleginnen spricht. Ein undurchdringliches Gesicht ist das; nur selten ändert es seinen Ausdruck. Manchmal meint man so etwas wie Enttäuschung, Angst oder Irritation zu entdecken. Sicher ist das aber nicht.
Mit undurchdringlicher Miene
Das Gesicht gehört Donya (Anaita Wali Zada), einer afghanischen Immigrantin, die in Fremont in Kalifornien lebt, der größten afghanischen Gemeinde in den USA. Früher war Donya in ihrem Heimatland Übersetzerin für die US-Army. Nun wohnt sie mit anderen Landsleuten in einem hässlichen Mietshaus. Tagsüber arbeitet sie in einer Glückskeks-Fabrik und rührt den Teig an. Doch nachts findet sie keinen Schlaf. Sie leidet an ihrer Einsamkeit und plagt sich mit Schuldgefühlen, weil sie als Einzige ihrer Familie aus Afghanistan flüchten konnte.
Auf der Suche nach einem Rezept für Schlaftabletten landet sie bei einem Psychotherapeuten, der ihr Fragen stellt, auf die sie nur ungern antwortet. Auch seine These, dass sie viel mit dem Wolf aus Jack Londons Roman „Wolfsblut“ gemein habe, nimmt sie emotionslos hin, genauso wie seine Tränen, als er ergriffen ganze Passagen aus dem Buch vorliest.
Nicht zu lang, nicht zu kurz
Als eine ältere Kollegin stirbt, darf Donya fortan die Sprüche für die Glückskekse schreiben. „Nicht zu lang, nicht zu kurz, nicht zu sachlich, nicht zu poetisch, nicht zu optimistisch, nicht zu pessimistisch“, instruiert sie geduldig ihr Chef. Donya legt einem Keks einfach ihre Telefonnummer bei, in der Hoffnung, dass sich ihre Lebenskrise löst.
Auch wenn es diese Inhaltsangabe nicht gleich vermuten lässt, handelt es sich bei „Fremont“ von dem iranisch-stämmigen, in London lebenden Regisseur Babak Jalali um eine leichtfüßige, intelligente Komödie, in der am laufenden Band witzige Dinge passieren, die die Hauptfigur stoisch hinnimmt. Ganz egal, ob Donya sich mit ihren Nachbarn unterhält, sich über die Leidenschaft eines Restaurantbesitzers für Soap Operas wundert oder die Blind-Date-Erfahrungen einer Kollegin mit anhören muss: Jalali findet stets lakonische, präzise geschriebene Dialoge und Situationen, die auf seine Vorbilder, Jim Jarmusch und natürlich Aki Kaurismäki, verweisen.
Donya ist eine passive Zuhörerin, ihre Antworten sind kurz und knapp, gelegentlich haben sie eine bissige Pointe. Unterschwellig geht es hier aber noch um mehr. Eine junge Frau ist als Flüchtling auf der Suche nach Heimat, die einen geografischen Ort, aber auch seelische Zufriedenheit meinen kann. Sie muss sich mit ihrer Vergangenheit aussöhnen und sich von ihren Schuldgefühlen befreien.
Ein traumähnlicher Rhythmus
Was in Afghanistan passiert ist, zeigt der Film nicht. Das Trauma braucht keine Bilder, weil Donya es während der Therapiesitzungen so geschickt in Worte zu fassen weiß. All dies geschieht in magischen Schwarz-weiß-Bildern, die Freundlichkeit und Wärme ausstrahlen. Als Zuschauer muss man sich nur der liebenswerten Richtungslosigkeit und dem traumähnlichen Rhythmus der Ereignisse überlassen, um dem Charme und der Anziehung dieses Films zu erliegen. Und natürlich der Ausstrahlung von Anaita Wali Zada, die das Zentrum fast jeder Szene ist. Wenn sie die Worte für die Glückskekse in die Tastatur tippt, ahnt man, dass eine der Prophezeiungen auch für sie in Erfüllung geht.