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Filmkritik
Zu Beginn von „France“ sieht man die populäre Fernsehjournalistin France de Moeurs (Léa Seydoux) und ihre Produzentin Lou (Blanche Gardin) aufgekratzt auf dem Weg zu einer Pressekonferenz. France wird kurz instruiert, auf jeden Fall die Formel von der „rebellischen Instabilität der französischen Gesellschaft“ zu platzieren, um „ihn“ nackt dastehen zu lassen. Die beiden Frauen agieren sehr unernst und betont vulgär, als dann „the real“ Emmanuel Macron auftritt und sich den Fragen der Nation stellt. France landet ihren „Coup“, ist dann aber an der Antwort weit weniger interessiert als am Feedback ihres Auftritts in den Sozialen Medien. Als Fernsehmoderatorin sorgt sie souverän zuspitzend für hitzige Diskussionen, die sich unmittelbar im Anschluss an die Sendung allerdings stracks in oberflächliche Freundlichkeiten und Pimmelwitze verwandeln.
Als Reporterin für ihre Sendung „Un regard sur le monde“ ist France in den Krisengebieten der Erde unterwegs. Sie verfolgt dabei keine politische Agenda, sondern ist vielmehr als bestenfalls oberflächlich informierter Medienprofi auf der Suche nach eindrucksvollen Bildern und nach passenden Motiven für den Zwischenschnitt. Das Beste dabei ist, dass diejenigen, die sie auf der Jagd nach sendefähigem Material ausbeutet, ihr Spiel bereitwillig mitspielen und sich scheinbar nichts sehnlicher als ein Selfie mit dem Star wünschen. Egal, ob sie sich in der Sahelzone befindet oder über „Boat People“ berichtet, die im Schlauchboot in Richtung Europa aufbrechen.
Ein Romancier als Ehemann
Relativ zügig wird hier klargestellt: France ist das zynische It-Girl einer zynischen Branche, die sich wie ein Star zu inszenieren weiß und in der Öffentlichkeit auch als Star wahrgenommen wird. Die Figur wird mit keiner Legende versehen. Habitus und extravagante Kleidung sprechen für die alte Bourgeoisie als Herkunftsmilieu. Passend dazu gibt es einen Romancier als Ehemann, der im hochherrschaftlichen Palast voller Kunst mit Ohrstöpsel telefoniert, wenn die Gattin kurz vorbeischaut. Er lebt vom Glanz vergangenen Ruhms und wechselt gerade vom Roman zum Essay über. Der kleine Sohn, gerne bockig, wird die Versetzung in der Schule wohl nicht schaffen, was aber auch egal ist, weil beide – Vater und Sohn – das Ende des Films nicht erleben werden.
Der französische Regisseur Bruno Dumont versteht es zu überraschen. Der studierte Philosoph, der Robert Bresson schätzt, begann als strenger Moralist mit Filmen wie „La vie de Jésus“ oder „L’Humanité“, entdeckte Mitte der 2010er-Jahre aber überraschend das Groteske für sich, etwa in „Die feine Gesellschaft“ oder „KindKind“, und widmete sich zuletzt mit zwei höchst originellen musikalischen Filmen der französischen Nationalikone Jeanne d’Arc. Während die meisten seiner Filme in der betont unwirtlichen nord-französischen Küstenregion angesiedelt waren, führt der Weg von „France“ nun direkt in die französische Hauptstadt. Und in die glamouröse Gegenwart. In einer rasanten Abfolge von Szenen etabliert „France“ das Bild einer nur simulierten Öffentlichkeit, in der Aufklärung und Kontrolle zum Teil der Entertainment-Industrie gefallen sind. Da aber die Kritik einer „simulierten Öffentlichkeit“ als drastische Mediensatire mit den Mitteln des Kinospielfilms kaum mehr als eine Tautologie und mithin selbst Teil der Entertainment-Industrie ist, hat Dumont die Mediensatire mit dem Melodram vereint, was zu einer Reihe komplex-doppelbödiger Konsequenzen führt.
Fortan bricht sie in Tränen aus
So wird die unsympathische Protagonistin auf dem Höhepunkt ihrer Karriere mit einer ganzen Reihe von Prüfungen konfrontiert, die nach den Regeln des Genres üblicherweise zu einer Läuterung führen, dies hier aber nicht tun. Ein harmloser Auffahrunfall im Schritttempo des Pariser Verkehrsgewühls wirft France derart aus der Bahn, dass sie fortan immer wieder in Tränen ausbricht. Sie hat einen Rollerfahrer (mit Migrationshintergrund) umgefahren. Der Mann trägt davon ein ausgerenktes Knie davon, was ihn vorübergehend berufsunfähig macht. In der Öffentlichkeit erscheint dieser Unfall als Skandal, worauf sich France kurzzeitig ebenfalls vom Fernsehen verabschiedet und den Kontakt zur Familie des Unfallopfers sucht.
In dieser Begegnung zieht Dumont noch einmal alle Register des Grotesken, insbesondere in der Zeichnung des bedauernswerten Unfallopfers. Als sich France anschließend in der Manier des „Zauberbergs“ in ein Sanatorium zurückzieht, in das sich Prominente wie sie zurückziehen können, ohne die Angst, Normalsterblichen zu begegnen, trifft sie dort einen Lateinlehrer, der keinen Fernseher besitzt. Eine ideale Ausgangskonstellation für einen Flirt jenseits des Medien-Images, gewissermaßen eine Begegnung auf neutralem Boden. Nur schade, dass der Lateinlehrer in Wirklichkeit ein Kollege auf der Suche nach einer Story ist. Dumm auch, dass er später auf der Differenz zwischen Beruf und Privatleben besteht, da er sie nicht nur betrogen, sondern sich zugleich in sie verliebt hat.
Nach dieser Enttäuschung kehrt France wieder ins Fernsehen zurück, wo bei der Ausstrahlung einer Reportage, die suggeriert, dass sie als teilnehmende Beobachterin eine Migration über das Mittelmeer dokumentiert, ein Missgeschick passiert. Die Studiomikrophone von Moderatorin und Produzentin bleiben während der Ausstrahlung offen, weshalb das Publikum in den Genuss zynischer Kommentare zum Gezeigten kommt, die aber nicht das Ende ihrer Karriere einläuten, weil jeder Skandal nur noch eine Halbwertzeit von 24 Stunden hat, bevor das Publikum die Gefallene gnädig zurück in die Manege ruft.
Es gibt kein Außen mehr
Eine vergleichbare Doppelbödigkeit betrifft die Tränen, die France andauernd vergießt. Auch sie erlauben keinen Blick auf das Innere der Figur; dazu fließen sie zu kontingent. Andererseits sind es aber keine falschen Tränen. Dennoch funktionieren Tränen in dem Genre, das France beliefert, auch als Kapital. Sie können als Ausweis von Authentizität gelesen werden, etwa als Tränen der Wut und der Empörung, wenn sie vor dem „richtigen“ Hintergrund fließen. So stolpert France von einem Malheur zur nächsten Katastrophe, was Stoff für mehrere Melodramen beinhalten würde, ohne dass daraus aber ein Melodram würde, weil hier alles an der Oberfläche einer geschlossenen sozialen Blase abperlt, die kein Außen mehr zulässt.
In einer Art Coda setzt Dumont dann doch noch einen Kontrapunkt, indem er France ins vertraute Dumont-Land des pittoresk unwirtlichen Nordens schickt, wo sie die Ehefrau eines Wiederholungstäters zum Gespräch trifft. Die Ehefrau des Täters ist fassungslos, an der Seite eines Monsters gelebt zu haben, weil sie gedacht oder gehofft hatte, dass sich ihr Mann geändert habe. Dafür ist es jetzt France, die zum ersten Mal wirklich etwas erfahren will und das Gespräch sucht, wobei sie sich nicht oder zumindest nur wenig um die mediale Vermittlung schert. Vielleicht, weil sie aus Paris herausgekommen ist? „Das Ende des Films ist, ohne zu viel zu verraten, eine Erlösung, aber eine ohne Gott“, hat Bruno Dumont gesagt. Sollte es so sein, war damit nicht mehr zu rechnen. Aber vielleicht ist Erlösung auch das falsche Wort für eine neue Chance.