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Filmkritik
Abstiegsangst und Aufstiegsbegehren werden nie wieder so deutlich sichtbar wie in den hochsymbolischen Träumen der adligen Julie und ihres Hausangestellten John. Sie träumt, dass sie auf einer hohen Säule sitzt und herunter möchte, aber nicht kann. Er träumt, dass er auf einen hohen Baum klettern will, in dessen Ästen sich ein Nest mit goldenen Eiern befindet. Sie hat Angst, herunterzufallen, er fürchtet, nicht nach oben zu gelangen. Julie und John erzählen sich ihre Träume in einer der wenigen „entspannten“ Szenen des Films. Das gefährliche Spiel aus Verführung, Anziehung und Abstoßung, aus Begehren nach und Hass auf die Klassenzugehörigkeit des anderen wie auch auf die eigene, ist für einen Augenblick lang stillgestellt. Doch solche von gegenseitigem Verständnis und Nähe geprägte Momente entpuppen sich allerdings als umso tückischere: gerade die vermeintlichen „Schwächen“, der Kontrollverlust und die Selbstauflösung, bringen den Abgrenzungsmotor erst richtig auf Hochtouren. Keine Bewegung ist ohne ihr Gegenteil denkbar – symptomatisch verdichtet in der seltsam magnetischen Choreografie der beiden Figuren: ständig rennt eine von beiden weg, wird zurückgezogen, läuft der anderen nach, reißt sich weg, stürmt nach vorne. „Fräulein Julie“, 1888 von August Strindberg für die Bühne geschrieben, zählt zu den meistaufgeführten Theaterstücken des schwedischen Dramatikers. Es wurde bereits mehrfach verfilmt; am bekanntesten ist wohl die Adaption von Alf Sjöberg aus dem Jahr 1951 (fd 1500). Liv Ullmann verlagert den Schauplatz ins Irland des Jahres 1890, Strindbergs Text wird hier und da etwas gestrafft, im Wesentlichen aber bleibt der Film der Vorlage treu. Warum Ullmanns Wahl ausgerechnet auf diesen Stoff gefallen ist, bleibt rätselhaft. Der Klassenkampf zwischen Gräfin und Diener wirkt aus der Zeit gefallen. Zu Strindbergs Angst vor dem anderen Geschlecht – bekanntlich polemisierte er gegen moderne Emanzipationsideen, nannte starke Frauen „Halbweiber“ und „entartet“ – geht sie zwar entschieden auf Distanz, doch eine Revision hat sie mit ihrer Version nicht im Sinn. Ullmann inszeniert Julie als feingliedrige, nervöse und hitzige Frau mit stark neurotischen Zügen, mehr „woman under the influence“ als Grenzüberschreiterin aus freiem Willen. Filmisch verortet sich Ullmann ganz in klassischer Tradition. Zwar versucht sie dem Text das Bühnenhafte auszutreiben, verlagert das Geschehen sogar mehrfach in den Garten und in schummrige Übergänge zwischen Herrenhaus und Bedienstetenräumen. Doch die Auflösung – die Großaufnahme als Intensitätsverstärker, Schnitt/Gegenschnitt bei Dialogen – bleibt konventionell und schematisch. Wie Jessica Chastain immer mehr Form und Fassung verliert, ist allerdings fast schon ein „Special Effect“: aufgewühlte Frisur, rot geränderte Augen, in denen das Wasser steht, ein bläulicher Schimmer auf der weißen, fast pergamenthaften Haut – eine Frau kurz vor der Selbstauflösung. Mitunter wirkt Chastains schauspielerischer Einsatz aber auch ein wenig deplatziert. Es fehlt schlichtweg der passende Rahmen für all das Beben und Weinen und Schluchzen und Schreien.