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Filmkritik
Ein leichter Schleier wie von Staub liegt über allen Bildern. Jahrzehnte des Tagebaus mit seinen riesigen Fördergruben hinterlassen unaustilgbare Spuren in der Landschaft; sie machen auch nicht vor der Ästhetik dieses Spielfilms Halt. Der erste Authentizitätsausweis von „Fossil“ ist eine Tendenz zum Vergilbten, mit der die Bilder von Kamerafrau Sabine Panossian aufwarten, insbesondere in den Szenen in einer augenscheinlich im Ruhrgebiet liegenden Grube.
Deren Betrieb wird angesichts des für 2030 beschlossenen Kohleausstiegs schon bald Geschichte sein; ihr Anblick aber wird die Region weit darüber hinaus prägen. Deshalb gibt es Pläne für eine alternative Nutzung als Stausee, was einem altgedienten Tagebau-Arbeiter wie Michael (Markus Hering) zwangsläufig wie Hohn erscheint. Wo seine Frau Miri mit einer Virtual-Reality-Brille die Simulation einer „blühenden See-Landschaft“ inklusive säuselnder Musik und Wasser-Geräuschen fasziniert in sich aufnimmt, lehnt Michael unverhohlen ab: „Da kann ich ja nur hoffen, dass ich das nicht mehr erleben muss!“
Quer zu allen anderen
Regisseur Henning Beckhoff präsentiert mit Michael einen Protagonisten, der kurz vor dem Ruhestand steht und durchaus Gründe hätte, entspannter auf seine eigene Zukunft zu blicken. Doch in vierzig Jahren im Tagebau ist Michael mit seiner Arbeit verwachsen. Dass er die Schutzweste auch zuhause oft nicht ablegt, ist für ihn ein Statement und für seine Frau ein ewiges Ärgernis.
Leicht hat sie es ohnehin nicht, denn Michael ist ein Mann mit festen Ansichten und brüsken Formulierungen. Was er sagt, steht oft im krassen Widerspruch zu allen anderen. Mit seinem Vorarbeiter liegt er quer, weil der zu kampflos die Abwicklung mitträgt; mit seinen Kollegen, weil diese sich von der Stausee-Idee sogar etwas versprechen. Außenstehenden knallt er ihre „Ignoranz“ noch viel unverblümter vor den Latz. Regelrecht zur Weißglut aber bringen ihn die Umweltaktivisten, die im Wald neben der Grube Baumhäuser gebaut haben und auch Sabotage-Aktionen verüben. In vorderster Front mit dabei ist auch Michaels Tochter Anja (Victoria Schulz), die in Sachen Sturheit ganz das Kind ihres Vaters ist.
In der Art und Weise, wie Michael alle anderen Positionen abwehrt und niedermacht, weckt er auf den ersten Blick nicht unbedingt Sympathie. Rechthaberisch und rücksichtslos versucht er seine Agenda durchzusetzen. Öfters vergreift er sich dabei im Ton und inszeniert schließlich selbst einen technischen Anschlag, damit das Camp der Aktivisten geräumt wird.
Vielschichtiger als auf den ersten Blick
Beckhoff und sein Co-Autor Bastian Köpf haben die Hauptfigur des Milieudramas allerdings weit vielschichtiger angelegt. Michael ist zwar unbestreitbar ein Mann von gestern, doch manche seiner Einwürfe sind nur zu berechtigt. Die Vorstellung, aus der Fördergrube ein Badeparadies zu machen, legt tatsächlich eher Skepsis nahe. Auch Michaels Protest gegen die übereilte Zerschlagung des Betriebs mit einer Sprengung statt einer Demontage der Maschinen ist nachvollziehbar; ebenso wie seine wütende Frage nach dem Sinn einer Ankettungsaktion seiner Tochter: Welcher Baum oder Vogel werde dadurch denn gerettet?
Beckhoff und Köpf ergänzen das um viele Momente, die eine andere, nicht egozentrische, sondern mitfühlende Seite von Michael offenbaren. Seinem Enkel, der sich im Baumhaus langweilt, wenn die Mama auf Weltverbesserungstour geht, ist er ein liebevoller Opa, und auch Anja hat er bei allem Unverständnis für ihre Positionen nicht aus seinem Herzen verbannt. Tief betroffen reagiert Michael auch, als sich ein junger Kollege erhängt.
Die wachsende Verzweiflung der Figur wird in jedem Stadium nachempfunden, wobei Hauptdarsteller Markus Hering den tragischen Aspekt mit der Körpersprache und bebenden Stimme eines Mannes verdeutlicht, der in seiner Ehre zutiefst gekränkt ist. Hier begehrt jemand dagegen auf, dass seine Lebensleistung für wertlos erklärt wird. Durch seinen Starrsinn und seine Fehler aber isoliert sich Michael immer mehr. Man entdeckt durchaus Echos von literarischen Vorbildern wie Don Quixote und Willy Loman im Bild dieses Mannes, der sich gegen den unvermeidlichen Untergang seiner Welt stemmt.
Eine konzentrierte Charakterstudie
Der 1991 geborene Beckhoff stellt sich mit bemerkenswerter Bestimmtheit hinter den verzweifelten Kampf des Protagonisten aus einer älteren Generation. Seine Inszenierung ist geduldig und registriert sachlich, wie sich die Fronten verhärten; die Musik von Inma Galiot wirkt mitunter elegisch, kippt aber oft genug ins Atonale, um jede Sentimentalität zu verhindern. Zur konzentrierten Charakterstudie gehört auch, dass das politische Umfeld nicht sichtbar wird. Von der Räumung des Camps durch die Polizei ist ebenso wenig zu sehen wie von der Untersuchung des Selbstmords, und auch an die umweltpolitischen Argumente für den Kohleausstieg wird nur knapp erinnert.
„Fossil“ bleibt konsequent nahe bei der Hauptfigur und ihrem Gefühl, alleingelassen zu werden, ohne dass der Film polemisch gegen „die da oben“ austeilen würde. Als sorgfältiges Porträt setzt er auf eine Ambivalenz, um die andere Werke oft einen großen Bogen machen. Man muss Michael nicht mögen. Ihn in seinen widersprüchlichen Gefühlen und seinem oft auch vor den Kopf stoßenden Verhalten ernst nehmen, sollte man jedoch sehr wohl.