- RegieCordula Kablitz-Post
- ProduktionsländerDeutschland
- Dauer112 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
„Zweieinhalb Jahre mit Scooter“, das klinge stark nach Purgatorium in der Manier von Dante, hieß es spontan im Bekanntenkreis. Ebenso spontane Antwort: Die Filmemacherin Cordula Kablitz-Post gehe eben gerne dorthin, wo der Schmerz sitzt; sie habe sich schließlich bereits Schlingensief und den Toten Hosen filmisch gewidmet. Überdies sei es etwas vorgestrig, sich nach all den Jahren dem Pop-Phänomen „Scooter“ und dessen Frontmann H.P. Baxxter noch immer despektierlich „von oben herab“ oder augenzwinkernd nähern zu wollen. Längst vorbei sind die Zeiten der Herablassung, als die Veröffentlichung der CD „H.P. Baxxter (Scooter) liest Erzählungen von Thomas Bernhard“ die Pop-Öffentlichkeit zu Schockstarre rührte, weil nicht ausgemacht schien, ob der 1964 im ostfriesischen Leer geborene Hans Peter Geerdes überhaupt lesen und schreiben könne. Und dann auch noch Thomas Bernhard!
Der Hype um H.P. Baxxter
Seither mystifizierte das gehobene Pop-Feuilleton intellektuell das sorgfältig blondierte und metall-behängte, aber körperlich trotz aller Exzesse topfitte nicht-intellektuelle Phänomen H.P. Baxxter. Die Schauspielerin Irm Hermann zelebrierte im Theater ins Deutsche zurückübersetzte Scooter-Texte („How much is the Fish?“; „Respect to the man in the ice cream van“). Die klassisch ausgebildete Pianistin Olga Scheps veröffentlichte das Album „100% Scooter. Piano only“, und Geerdes stromerte mit dem Schriftsteller Heinz Strunk bei arte „durch die Nacht“. Gar nicht zu reden von der 2019 nicht grundlos „Hyper!“ betitelten Ausstellung zu Kunst und Musik in den Hamburger Deichtorhallen, in deren Katalog sich ein Gedankenaustausch zwischen H.P. Baxxter und dem Maler Albert Oehlen findet, der deutlich macht, wie reflektiert Geerdes seine Kunst – das Anbrüllen des Publikums mit Parolen auf Pidgin-English im Stroboskoplicht und im Wechsel von Lärm und Stille – und seine Kunstfigur versteht.
Kablitz-Post nimmt das alles zunächst so hin und setzt wohltuend nicht auf spektakuläre Enthüllungen, sondern nutzt die Chance und begleitet die Band Scooter durch die Zeiten des Lockdowns, die besonders für den Frontmann Baxxter schmerzhaft ausfielen, da diesem Konzerte bestenfalls Anlass für exzessive Aftershow-Parties sind. Der Zweck heiligt die Mittel. Anders gesagt: Ohne die verordnete Auszeit gäbe es diesen Film nicht.
Die Pandemie und ihre Folgen
Die Pandemie liefert Scooter aber auch den titelgebenden Hit „Fck 2020“. Mit der Pointe, dass die postpandemische Tournee im Frühjahr 2022 ausgerechnet in Moskau beginnen sollte. Shit happens! So bleibt etwas Zeit, und die Kamera begleitet Band und Management beim mehr oder weniger kreativen Umgang mit dem eigentlich vollen Terminkalender, der aufgrund der Pandemie und des Ukrainekrieges nun zur Makulatur geworden ist. Also beschäftigt man sich anderweitig, geht zum Friseur, macht Sport, hängt zuhause ein paar Gemälde um, besucht im Jaguar Mutter und Schwester in Ostfriesland, geht mit Hunden spazieren, trennt sich von der Partnerin, feiert emotional, aber wieder solo Weihnachten.
Es bleibt auch Zeit für einen Blick auf die musikalische Karriere von H.P. Baxxter und Scooter. In seiner Jugend war er ein erklärter Fan von Rainbow und besuchte Konzerte von Jethro Tull und Status Quo. Doch in den 1980er-Jahren schwenkte Geerdes zu Synthie-Pop à la Soft Cell oder Depeche Mode um und machte in der Provinz – Leer, Hannover – auch modisch etwas her. Mit dem Unterschied, dass das musikalische Talent der britischen Musiker bei dem Deutschen durch „andere Talente“ ersetzt werden musste.
Das Bandprojekt „Celebrate the Nun“ erwies sich als erfolglos, vielleicht auch, weil man dem Projekt „den Wunsch nach Berühmtheit“ (Geerdes) anmerkte. Die Rave-Band „Scooter“ sei dann frei von diesem Anspruch gegründet worden, und prompt habe sich auch der Erfolg eingestellt, der in der Szene allerdings als Kommerzialisierung durch „Kirmes Techno“ beargwöhnt oder von der größeren Öffentlichkeit ohnehin belächelt wurde.
Ordnung & Kontrollverlust
Bei einem Hausbesuch erklärt Geerdes, dass er seiner „Philosophie des Kontrollverlusts“ privat die Inszenierung von Ordnung entgegensetze, was seinen im englischen Landhausstil gehaltenen Räumlichkeiten etwas Kulissenhaftes verleiht, andererseits aber bestens zur gepflegt-freundlichen Entrücktheit von Geerdes passt. Wie überhaupt nie ganz ausgemacht scheint, wo genau die Grenze zwischen Bekenntnis und Ironie verläuft. Und zwar sowohl bei der Band wie auch beim Publikum.
„We keep the Spirit!“, heißt es am Schluss, wenn die Band ihre immergleichen Tracks live beim „Rock am Ring“ hingebungsvoll routiniert aufführt und dafür vom ausgehungerten Publikum gefeiert wird. Die Chuzpe, mit der Geerdes seine Texte in eine Dada-Tradition stellt, zaubert in einer sehr schönen Szene des Films selbst den Bandmitgliedern ein Lächeln ins Gesicht. Ein anderes Mal überrascht Geerdes seine Mitstreiter mit dem Vorschlag, die Schunkel-Ballade „Wandrin’ Star“ (Stichwort: Lee Marvin) zu covern.
Ungewöhnlich strikt ist allerdings das Ethos der Arbeitsteilung in der Band zwischen Idee und deren musikalischer Umsetzung, während bei der Freizeitgestaltung unterwegs auf Tour Geerdes’ Rock’n’Roll-Habitus dominiert. Wenn er „Barzwang“ verkündet, müssen sich Bandmitglieder und die Crew schon sehr gute Ausreden einfallen lassen, um sich dem zu entziehen. Was dann unter „unerlaubtes Entfernen von der Truppe“ firmiert, zumal hinter der Bühne die „Scooter-Gesetze“ gelten: das Versprechen auf einen rechtsfreien Raum. Kablitz-Post hält sich hier zurück, aber vielleicht muss man auch nicht alles sehen oder wissen. Die anderen Bandmitglieder wissen: Nach einer harten Nacht dauert es vielleicht etwas länger, bis Geerdes erscheint. Aber dafür ist er dann tiptop in Form und gestylt. Dieser unbedingte Feierwille passt allerdings nur bedingt, wenn ein Konzert in Bremen zu einem größeren Familientreffen gerät.
Ein entspanntes Porträt
Insgesamt ist der Filmemacherin aber ein entspanntes Porträt einer Pop-Institution gelungen, das kein Geheimnis lüftet, weil es kein Geheimnis gibt. Zwar existieren mitunter durchaus Spannungen innerhalb der Band, wenn es um die Produktion „neuer“ Songs geht oder wenn ein Mitglied merkt, dass es zu alt für diesen Job ist. Aber wenn „Scooter“ liefert (und sie liefern!), dann ist die Band mit größter Freude und heftigstem Körpereinsatz bei der Sache.
Das meint man deutlich sehen zu können, wenngleich dieser Eindruck mittlerweile von der Realität überholt wurde. Seit Ende 2022 ist H.P. Baxxter allein bei Scooter, ganz allein. Das könnte emotional werden.