Vorstellungen
Filmkritik
Brainerd, Minnesota. Ein schmuckloses Provinznest, in dem die Welt noch in Ordnung ist. Die Dinge gehen ihren gemächlichen, aber geordneten Gang. Die Bewohner, viele von ihnen Nachfahren skandinavischer Einwanderer, gehören nicht zu den redseligsten, aber was sollten sie einander auch groß erzählen. Man kennt sich und weiß, daß der Nachbar auch nichts anderes treibt als man selbst. Fremde verirren sich so gut wie nie in den Ort. Und wenn es nicht unbedingt sein muß, treibt die Leute aus Brainerd auch nichts in die Landeshaupstadt Minneapolis. Wenn hier irgendwas Aufregendes passiert, dann allenfalls im Fernsehen. Kurzum, Brainerd ist nicht gerade die Bronx. Was nicht zuletzt die örtliche Polizeichefin Marge Gunderson zu schätzen weiß.
Doch dann wird sie in einer kalten Winternacht aus dem Bett geklingelt, weil am Rande der Landstraße drei Tote mit Schußwunden im Schnee liegen. Eingebrockt hat Marge die nächtliche Ruhestörung Jerry Lundegard, Autoverkäufer aus Minneapolis und notorisch knapp bei Kasse. Um seinen ebenso reichen wie knauserigen Schwiegervater um eine hübsche Summe zu erleichtern, hat sich der unauffällige Familienvater einen krummen Deal ausgedacht. Carl und Gaear, zwei Kleinkriminelle, sollen seine Frau Jean entführen, vom Schwiegervater das Lösegeld kassieren und mit Jerry Halbe-Halbe machen. Ein simpler Plan, bei dem eigentlich nichts schiefgehen kann. Doch dann geht alles schief. Denn die beiden Kidnapper sind wahrlich keine Profis. Es beginnt damit, daß sie mit der entführten Jean im Auto auf einer einsamen Landstraße in eine Polizeikontrolle geraten. Der hypernervöse Carl weckt den Argwohn des Polizisten, woraufhin Geaer den Mann kaltblütig umlegt. Just in dem Moment kommt dann auch noch ein junges Pärchen vorbei. Und Zeugen können die Entführer nunmal überhaupt nicht gebrauchen. So kommt Marge Gunderson um ihre Nachtruhe und zu drei Leichen im Schnee. Und es sollen durchaus nicht ihre letzten sein...
Mit "Fargo" - der Titel ist dem Namen jener Stadt entlehnt, in der Jerry den Deal mit den Kidnappern aushandelt - kehren die Brüder Coen nach "Hudsucker - Der große Sprung" (fd 30 810) zu jenem Genre zurück, in dem sie bislang ihre überzeugendsten Arbeiten geliefert haben. Dabei ist "Fargo" natürlich alles andere als ein schlicht gestrickter Krimi mit herkömmlicher Täter-Opfer-Fahnder-Logik. Weit mehr reiht der ausgeklügelte Plot mit seinen überraschenden Wendungen in erster Linie dumme Zufälle aneinander, die jedoch zugleich eine eigentümliche Zwanghaftigkeit zu haben scheinen. Dabei gerät den Coens vor allem die Figur des Autoverkäufers Jerry (von William H. Macy wunderbar gespielt) zur eindrucksvollen Charakterstudie. Wie der stets korrekt gescheitelte Biedermann hier unermüdlich zu retten versucht, was längst nicht mehr zu retten ist, und sich dabei immer tiefer in den Schlamassel verstrickt, ist bestes Psychokino. Nicht minder eindrucksvoll: Steve Buscemi als ständig unter Hochspannung stehender Kidnapper mit nervösem Flatterblick, dem der vermeintlich harmlose Coup mehr und mehr über den Kopf wächst.
Aber die Coens wären nicht die Coens, würde hier mit den Gesetzen des Genres nur kenntnisreich gespielt. Nein, Krimi und Psychothriller werden auch ordentlich bedient. Action wie eine nächtliche Verfolgungsjagd auf verschneiter Straße können sie auch, und scheinbar mühelos bauen sie da regelmäßig immer wieder Sequenzen von atemloser Spannung ein. Und daß sich Blutspritzer auf Schnee besonders gut machen, wissen sie natürlich. Das Faszinierendste an "Fargo" ist jedoch die Art und Weise, wie hier souverän inszeniert wurde, was eigentlich als unmöglich gilt: Ein spannenden Thriller, bei dem zwischendurch auch immer wieder herzhaft gelacht werden darf. Für Letzteres sind in erster Linie die Bewohner von Brainerd verantwortlich, die zwischen skrupellosen Killern und einer Reihe von übelst zugerichteten Opfern für einen eigentümlichen Kontrast sorgen. Allesamt bodenständige Provinzler, die das Geschehen mit einem Gleichmut hinnehmen, als sei das Ganze lediglich eine Fernsehserie. Nicht daß sie gänzlich abgebrüht wären, aber sie haben halt ihre feste Vorstellung von der Welt und den Menschen, die sie sich durch so einen paar durchgedrehte Killer nicht einfach durcheinanderbringen lassen. Brainerd ist nicht "Twin Peaks".
Mit diesen Figuren ist den aus Minnesota stammenden Coens ein geradezu rührendes Porträt von Land und Leuten gelungen. Und die knappen Dialoge zwischen Marge und ihrem ebenso phlegmatischen wie gutmütigen Ehemann - ein Landschaftsmaler, der davon träumt, daß eines seiner Bilder es einmal zum Briefmarkenmotiv schaffen könnte - sind in ihrer liebenswerten Absurdität einfach umwerfend. Kurzum, ein filmisches Juwel, das alles zu bieten hat, was man von einem Kinobesuch erwarten darf und doch so selten serviert bekommt.