- ProduktionsländerChina
- Dauer112 Minuten
- GenreDrama
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Filmkritik
Wo das Kino von Demenzkranken erzählt, kommen oftmals Rückblenden zum Einsatz. Auf diese Weise können Filme Erinnerungen zum Leben erwecken und zeigen, welche Gefühle mit ihnen verloren gehen; wie sehr Menschen die Summe ihrer Erfahrungen sind. „Falling“, das Regiedebüt des Schauspielers Viggo Mortensen, fügt seine Rückblenden mit überraschender Plötzlichkeit in die Handlung ein. Nicht als sanftes Zurückdenken, sondern als Sturz in eine andere Zeit. Als eine Art Unfall. Vergangenheit und Gegenwart kollidieren und schlagen einander tiefe Wunden.
Dasselbe geschieht zwischen den Hauptfiguren des Dramas. Der Demenzkranke Willis Petersen (Lance Henriksen) kann seine zunehmend baufällige Farm nicht mehr allein betreuen. Sein Sohn John (Viggo Mortensen) will ihm ein Haus nahe seiner eigenen Wohnung in Kalifornien suchen. In der Zwischenzweit soll er bei ihm, seinem Ehemann Eric (Terry Chen) und ihrer gemeinsamen Tochter leben. Doch der konservative Willis stört sich an Johns Lebenswandel. Mit seiner brüsken Art weckt er bei seinem Sohn Erinnerung an die Kindheit. Auch wenn John in der Air Force gedient hat und mittlerweile ein eigenständiges Leben als Pilot führt, kann er seiner Herkunft nie ganz entkommen.
Lust an der konservativen Provokation
Willis ist ein Störfaktor in der Welt, die sich John mühsam erbaut hat. Auch unabhängig von seinen Blähungen vergiftet Willis die Luft und erfüllt jeden Raum mit dem Mief einer vergangenen Zeit. Seine Ausdrucksweise ist unflätig; mit großem Genuss betont er jede rassistische, homophobe und sexistische Beleidigung, die ihm in den Sinn kommt. Seine Stimme bebt fast, wenn er gegen die Sprachkonventionen der Gegenwart verstoßen kann. Wenn er einmal Hemmungen hatte, dann wurden sie von seiner Krankheit längst beseitigt.
Lance Henriksen spielt diese Rolle so raumgreifend und unsubtil, wie sie geschrieben wurde. Viggo Mortensen hingegen hält sich zurück. In der Rolle als Sohn ist er ein sanftmütiger, unauffälliger Mann. Neben seinem Vater wirkt er blass. Noch wo er ihn betreuen muss, bleibt er der ewige Sohn. John will helfen und stützen; Willis kämpft um die Autonomie, die ihm noch bleibt.
Vom Geist der Obama-Ära beseelt
Beide Männer verkörpern verschiedene Epochen. Der Bruch zwischen ihnen verweist auch auf die in den letzten Jahren so oft beschriebene Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft. Fast reflexartig arbeitet sich Willis an den Streitpunkten des Kulturkampfes zwischen Konservativen und Liberalen ab. Am Flughafen beäugt er misstrauisch verschleierte Frauen; mit moderner Kunst kann er nichts anfangen, und dass John und sein Ehemann verheiratet sind, will einfach nicht in seinen Kopf. Er schaut „Red River“ von Howard Hawks im Fernsehen an, sein Sohn nimmt ihn in eine Ausstellung berühmter Kubisten mit. An Johns Kühlschrank hängt das berühmte rot-blaue „Hope“-Plakat; Willis hat für John McCain gestimmt. Darauf, dass dieser ein Kriegsheld ist, können sich aber beide einigen – was zeigt, dass „Falling“ eher vom Geist der Obama-, als von dem der Trump-Ära beseelt ist. Der Film träumt vom Konsens und einer gemeinsamen Mitte.
Wie bei vielen Darstellern, die Regie-Ambitionen hegen, spürt man auch bei Viggo Mortensen die Einflüsse der Regisseure, für die er zuvor gespielt hat. David Cronenberg etwa tritt nicht nur in einer Szene als Proktologe auf, sondern hat ihm anscheinend auch einige seiner langjährigen Mitarbeiter vermittelt: den Schnittmeister Ronald Sanders, die Szenenbildnerin Carol Spier, selbst Cronenbergs langjährige Casterin Deirdre Bowen. Das idealisierte Amerika, in das sich Willis manchmal zurückdenkt, steht dem aus „A History of Violence“ nahe. Es ist ein nostalgisches Konstrukt, ein Traum von Vereinigten Staaten, die es so wohl niemals gab.
Wahrscheinlich ist es Cronenbergs analytische Kälte, die „Falling“ etwas sperriger und innerlicher als vergleichbare Prestige-Dramen macht. Die Montage ist eng mit Denkprozessen verknüpft. Ein Schlagabtausch zwischen Vater und Sohn wird so plötzlich von einer kurzen Einstellung mit John als Kind unterbrochen. Ein Erinnerungssplitter, der in den Fluss des Films sticht.
Kleine Momente des Respekts
Andererseits orientiert sich Mortensen auch an dem gefühligen Themenkino, mit dem er zuletzt oft große Erfolge feierte. Etwa an dem tragikomischen Familiendrama „Captain Fantastic“, vor allem aber an „Green Book“. Willis ist kaum weniger markant und überzeichnet als der Türsteher Tony Lip, seine Dialogzeilen sind stellenweise noch plakativer. Der einzige Unterschied: „Falling“ zwingt Willis nicht dazu, eine Lektion zu lernen. Es gibt keinen magischen Moment der Erkenntnis, kein plötzliches Umschlagen, keine großen Gesten der Versöhnung. Allerhöchstens kleine Momente des gegenseitigen Respekts. Einmal kann John seinem Vater bei einem Kreuzworträtsel helfen. Beide lächeln.
Mortensens Sympathie für die Figur von Willis ist nicht an Bedingungen geknüpft. Der autobiografisch geprägte Film wird von der komplizierten, aber nie ganz versiegenden Liebe eines Sohns getragen. Einige Episoden stammen direkt aus dem Leben des Regisseurs; gewidmet ist der Film Charles und Walter Mortensen. Bis der Vater sich selbst an die Krankheit verliert, soll er bleiben dürfen, wer er sein will. Weil er sich nicht mehr ändern kann, bleibt nur die Suche nach Berührungspunkten und den Glanzmomenten eines langen Lebens.
Die Last der filmischen Väter
Leider findet der Film keine passende Form für die Akzeptanz des Stillstands. Er orientiert sich an Filmen, die meist durch die Emotionen definiert werden, die sie im Zuschauer wecken. Doch diese Pfade führen ins Nichts. Alles an „Falling“ sehnt sich nach großen, mitreißenden Momenten, die dem Publikum Tränen in die Augen treiben und goldene Statuen gewinnen. Statt Melancholie erwächst aus der untergründigen Erwartung aber ein Gefühl von Leere, Kälte und Trägheit. Mortensen ist seiner Figur spürbar nah. Er hat zweifelsohne Talent als Regisseur. Doch um einen großen Film zu schaffen, wird auch er sich von seinen Vorvätern lösen müssen.