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Filmkritik
Als die Mutter am Strand verschwindet, beginnt eine schon länger entfremdete Familie vollends zu zerbrechen. In seinem Spielfilmdebüt erzählt Regisseur Elmar Imanov von einem lähmenden Zwischenraum, wo Aufbruch und Trägheit einander spiegeln. Ein Mensch verschwindet und löst damit das ein, was ohnehin schon angekündigt war. Das ist der Kern der Geschichte von „End of Season“. Im Grunde passiert nichts; alles zieht sich zusammen, bis es implodiert. Darin liegt das Grandiose an diesem Film, der von einer bewegten Unbeweglichkeit erzählt.
Die Enge der Kernfamilie
Da gibt es dieses Paar, dass sich voneinander entfremdet hat: Samir (Rasim Jafarov), ein arbeitsloser Schauspieler, der am liebsten schläft und seine Zeit in einem Dämmerzustand verbringt, und seine Frau Fidan (Zulfiyye Qurbanova), die schlicht und einfach nur raus will – raus aus ihrem Leben, raus aus Aserbaidschan. Sie ist Ärztin. Im Umland von Berlin besteht die Chance auf eine neue Stelle. Aber wäre dort auch ein Neuanfang jenseits von Entfremdung möglich?
Noch leben die beiden mit ihrem Sohn Mahmud (Mirmövsüm Mirzazade) in einer Hochhaussiedlung in Baku. Die Wohnung ist klein, das Zusammenleben beengt; man sitzt sich gegenseitig im Nacken. Mehr noch als seine Eltern fühlt sich Mahmud zwischen Aufbruch und fremdbestimmter Stagnation eingekeilt. Eine der wenigen Szenen ohne seine Eltern zeigt ihn, wie er im schwarzen Anzug durch die Stadt läuft, mit seiner Freundin streitet und eine heruntergekommene Wohnung besichtigt. Er behauptet, als Webdesigner gutes Geld zu verdienen und wirkt dabei wie ein Schauspieler jenes Lebens, das er gerne hätte.
Von Baku selbst gibt es so gut wie nichts zu sehen. Die Kamera ist immer nah an den Figuren, verengt das Bild und konzentriert sich auf den kaum vorhandenen Spielraum der Familie. Bis auf die Szenen am Strand spielt die gesamte Handlung in Innenräumen. Die immer wieder auftauchenden Bilder der Hochhaussiedlung sind lediglich eine Variation der Innenräume: Ein gestapelter Lebensraum, in dem man von anderen Leben, Hoffnungen und Träumen umgeben ist. Das ist kein Außenraum, sondern lediglich ein nach Außen gefaltetes Innen, das keinen Blick in die Weite erlaubt.
Verschwinden: Verschiebung und Wiederholung
Als Fidan am Strand verschwindet, ist dies nur eine kurze Öffnung dieser Druckkammer. Denn am Abend ist sie wieder zurück. Erneut ist nichts passiert. Eine Erklärung für ihr Verschwinden kann sie aber nicht geben. Stattdessen erzählt sie zwei Geschichten, die offenkundig Lügen sind, aber viel von ihrem Wunsch nach Ausbruch widerspiegeln. Zunächst behauptet sie, zu weit ins offene Meer hinausgeschwommen zu sein. Erst nach Einbruch der Dunkelheit, als sie schon das Ende kommen sah, hätten Fischer sie gerettet. Dann wiederum will sie bei ihrem Liebhaber gewesen sein und in dessen Haus mit drei Männern gleichzeitig geschlafen haben.
Regisseur Elmar Imanov hat „End of Season“ als intensiv-kreisenden Stillstand angelegt, in dem jede Handlung und jedes Bild ein Echo erzeugt, was von anderen Figuren aufgegriffen und leicht verändert in den filmischen Raum zurückgeworfen wird. Fidan wiederholt „lediglich“ Samirs Verschwinden zuvor. Noch am Morgen musste sich Samir rechtfertigen und erklären, wo er gewesen sei. Auch er antwortete mit einer aberwitzigen Geschichte, einem alkoholdurchtränkten Märchen, das in einer Spirituosenfabrik endete. Später am Strand holt Fidan ihren Sohn aus dem Wasser. Sie hat Angst, dass er ertrinken könnte. Als Fidan dann verschwunden ist, ertrinkt tatsächlich jemand, von der man lange glaubt, dass es Fidan sein könnte.
Diese Wiederholungsstruktur, durch die der Film sich selbst und das Innenleben seiner Figuren kommentiert, wird auf der Bildebene schon von Beginn an aufgegriffen. Man sieht die Fenster der gleichförmigen Hochhaussiedlung, die die Nacht über Baku erleuchten. Ähnlichkeiten entstehen aus Unterschieden, so als würde man die eigene Wirklichkeit in einem Wimmelbild suchen. Dazu hört man eine entschleunigt-melancholische Cover-Version des Nena-Gassenhauers „99 Luftballons“, also ebenso eine Wiederholung eines Originals, in dem die Motive gleichzeitig neu arrangiert sind.
Bewegung im Stillstand
Andeutungen, Ahnungen und Sehnsüchte werden in „End of Season“ zu Bildern. Sie wandern von Fidan zu Samir und umgreifen Mahmud. Dieser kann oftmals nicht anders, als in ein unheimliches Lachen auszubrechen, das unmöglich einzuordnen ist, weil es irgendwo zwischen Weinen und Erheiterung angesiedelt ist. Die Figuren sind derart eingeschnürt, dass sogar das Gelächter keine Befreiung mehr bietet. In diesem Konstrukt der Kernfamilie ist alles so nahe zusammengerückt, dass es in Uneindeutigkeiten stürzt.
„End of Season“ erzählt vom schmerzhaften Kreisen einer Familie in sich selbst. Weil das Leben stillsteht und die Bilder nur noch aus der inneren Trägheit der Familie genommen werden können, beginnt sich alles zu wiederholen und immer ähnlicher zu werden. Das kann sicher als große Allegorie auf die Gesellschaft Aserbaidschans gelesen werden. Doch auch ohne die politischen Dimensionen ist „End of Season“ ein tiefgründiges Debüt voller poetischer Strahlkraft und erschütternder Einsichten.