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Filmkritik
Noch immer laufen in Paris kleine Katzen davon. Das weiße Kätzchen hat nur kurz die Wohnung mit dem jungen Rémy geteilt, doch eines Nachts ist es durch einen Fensterspalt hinausgeschlüpft und hat sich in den Häuserschluchten verirrt. Ganz ähnlich also, wie es 1996 in Cédric Klapischs „...und jeder sucht sein Kätzchen“ schon der Maskenbildnerin Chloé mit ihrer tiefschwarzen Katze Gris-Gris widerfuhr.
In dem frühen Werk des französischen Regisseurs war die Suche nach dem tierischen Gefährten ein Anlass, um Chloés Viertel und dessen Bewohner zu entdecken; 23 Jahre später ist das Schicksal von Rémys Katze in Klapischs neuem Film „Einsam zweisam“ rasch geklärt: Die im Nachbarhaus lebende Mélanie entdeckt das verängstigte Tier zwischen Mülltonnen und nimmt es mit zu sich; nach dem wahren Besitzer forscht sie ebenso wenig, wie Rémy sich bei der Suche je so ins Zeug legen würde wie einst Chloé.
Im fortgeschrittenen Stadium urbaner Einsamkeit bringt keiner von beiden mehr viel mitmenschliche Energie auf; und nur dem Lebensmittelhändler, bei dem einige Wochen nach Rémy nun Mélanie nach Katzenfutter fragt, fällt auf, dass sich offenbar alle Welt Katzen anschafft.
Zum dritten Mal Paris
„Einsam zweisam“ ist eine Fort- und Zusammenführung von Klapischs bisherigen Paris-Filmen, die nach der Konzentration auf das fast noch dörfliche, dem städtebaulichen Wandel unterworfene Viertel rund um die Bastille in „...und jeder sucht sein Kätzchen“ und der Betrachtung der gesamten Stadt in „So ist Paris“ (2008) ein drittes Mal vom Leben in der französischen Metropole erzählt. Die Menschen im 18. und 19. Arrondissement, um die es in „Einsam zweisam“ geht, leben ähnlich nebeneinander her wie die Figuren in „So ist Paris“, wo die flüchtigen Begegnungen allerdings durch den breiter angelegten sozialen Kosmos vorgegeben waren.
Rémy und Mélanie laufen sich dagegen zwar ständig über den Weg, fahren gemeinsam in der Metro, kaufen im selben Geschäft ein und wohnen in benachbarten Häusern, nehmen einander aber nie wahr. Der Film hebt die Parallelen in ihrem Dasein hervor, indem er abwechselnd Episoden aus ihren Lebenswegen über den Zeitraum einiger Monate aufgreift, betont dabei aber vor allem eine Gemeinsamkeit: die Vereinsamung inmitten der brodelnden Stadt, an deren Hektik Klapisch mit Zeitraffer-Aufnahmen und Montagen immer wieder erinnert.
Die Probleme lassen sich nun benennen
Rémy und Mélanie stehen dabei unter einem Druck, der sich im Vergleich zu den 1990er-Jahren deutlich verändert hat. Ihre Probleme lassen sich nun zwar als „Panikattacke“, „Depression“ und drohendes „Burn-Out“ benennen, doch das verstärkt ihre soziale Unsicherheit nur noch. Für Rémy ist vor allem der Verlust seiner Arbeit im Lager eines Versandhandels, wo die Angestellten durch Roboter ersetzt werden sollen, ein Angriff auf seine psychische Stabilität. Als er einen Job bei einem Telefon-Kundendienst findet, läuft es auch nicht viel besser; hinzu kommt sein schlechter Stand bei Frauen.
Die ähnlich gehemmte Mélanie verschließt sich nach desaströsen Beziehungen gegenüber anderen immer mehr; beruflich steht sie als Krebsforscherin zwar gut da, doch um weiter Unterstützung für ihr Labor erhalten zu können, wird ein Vortrag vor den Geldgebern verlangt. Entsprechend angegriffen ist auch ihr Nervenkostüm.
Wann macht es endlich „Klick“?
Nicht fehlen dürfen in Klapischs Neuansicht der Einsamkeit natürlich die sozialen Medien, auf die seine Hauptfiguren ohne viel Erfolg zurückgreifen. Rémys Einstieg bei Facebook bringt ihm nur die Kontaktanfrage eines Schulkameraden ein, mit dem er die Bekanntschaft nicht erneuern möchte; Mélanie hat über Tinder auch nicht mehr Glück mit Dates als bisher.
Der persönliche Akt des zufälligen Kennenlernens ist für Klapisch offenkundig noch immer konkurrenzlos gegenüber allen digitalen Hilfsmitteln; dementsprechend sorgen die verpassten Begegnungen für die größte Spannungsdramaturgie des Films. Bei aller Empathie für die Nöte der heutigen Zeit treibt „Einsam zweisam“ letztlich vor allem die alte romantische Frage an: Wann macht es endlich „Klick“ zwischen Rémy und Mélanie?
Die Inszenierung zielt allerdings nicht auf eine nüchterne Wiedergabe der Auswirkungen der harten Pariser Lebensrealität auf empfindsame Einzelgänger ab, wie sie in jüngerer Zeit Filme wie „Bonjour Paris“ oder „Synonymes“ verfolgt haben. „Einsam zweisam“ ist bei allen realistischen Ansätzen stets auch dem Unterhaltungskino verpflichtet, das Szenen in Pointen enden lässt, sein formales Können demonstriert und sich insbesondere die Chance auf einen glücklichen Ausgang nicht versagt. Die Tragik im Leben der Protagonisten resultiert jedenfalls nicht aus menschlicher Kälte, vielmehr ist reihum viel Bemühen zu bemerken, ihnen neuen Mut zum Leben einzupflanzen. Die Psychiater, die Rémy und Mélanie aufsuchen, wirken zunächst zwar skurril, verstehen sich aber gut auf ihr Fach und helfen den beiden weiter. Ähnliches gilt für den Lebensmittelhändler Mansour, dessen Geschäft ein fast schon utopisch anmutender Ort ist, wo gute Kunden dabei beraten werden, auch wirklich das für sie Beste zu kaufen.
Reminiszenzen ans eigene Oeuvre
Mansour ist eine feine Rolle für Simon Abkarian, der in Klapischs frühen Filmen oft zu sehen war, wie „Einsam zweisam“ überhaupt viele Reminiszenzen an Klapischs eigenes Oeuvre enthält, bis hin zum Kätzchen-Déjà-vu und dem letzten Kinoauftritt der hundertjährigen, im Sommer 2019 verstorbenen Laiendarstellerin Renée Le Calm, die der Regisseur Anfang der 1990er-Jahre entdeckt hatte.
Manches Mal wirken die Zitate allerdings auch etwas bemüht, so als wäre Klapisch und sein Co-Autor Santiago Amigorena keine originellere Variante eingefallen. Hiervon sind selbst die an sich nuancenreichen Hauptdarsteller betroffen, die zwangsweise ein wenig wie Zweitbesetzungen wirken, da die von Ana Girardot gespielte Figur der Mélanie nahe an Chloé und ihrer Darstellerin Garance Clavel aus „...und jeder sucht sein Kätzchen“ angelegt ist, und François Civil ohnehin dem langjährigem Klapisch-Favoriten Romain Duris verblüffend ähnelt.
Auch dem Plot hätte etwas mehr Verdichtung gutgetan, denn bei all den Episoden, Momentaufnahmen, Traumsequenzen und dem Drang zur Spiegelung der beiden Geschichten erscheinen nicht alle Handlungsfäden zwingend; auch bleiben manche Nebenfiguren blass und wirken die Anschlüsse mitunter etwas holprig. In der Spur halten den Film letztlich aber die unverkennbare Anteilnahme an den Protagonisten und sein zentrales Ratespiel. Denn welche ihrer Gemeinsamkeiten Rémy und Mélanie letztlich zusammenführt, hält Cedric Klapisch höchst geschickt in der Schwebe.