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Filmkritik
Kaum hat der Film von Arash T. Riahi begonnen, hat man ihn eigentlich schon wieder satt. Altkluge Kinder, die Kalendersprüche aufsagen wie: „Wenn man den Mund lange offenlässt, können die Sorgen vielleicht aus einem herausfliegen!“ Dazu kommt etwas Kamerapoesie, eine Prise magischer Realismus. Herrje! Dann aber klopft, irgendwo in Wien, die Polizei an die Tür. Es droht die Abschiebung zurück nach Tschetschenien; der Vater, als Freiheitskämpfer ein Held, wurde bereits abgeschoben.
Zwar sind die Kinder, die sich Oskar und Lilli umgetauft haben, um in der Fremde nicht aufzufallen, nach all den Jahren in Österreich den gutmütigen Polizisten und sonstigen wohlmeinenden Behörden in Sachen Gewitztheit überlegen, doch die Exekutive versteht diesmal keinen Spaß mehr. Verzweifelt unternimmt die Mutter einen Selbstmordversuch; damit ist die Abschiebung zunächst abgewendet. Anstelle ihrer werden nun aber die Geschwister getrennt und an höchst unterschiedliche Pflegefamilien vermittelt.
Nach dem dramatischen Auftakt – Riahi hat die Romanvorlage von Monika Helfer um eigene Migrationserfahrungen ergänzt – wechselt der Film unvermittelt seinen Tonfall und läuft zu teilweise satirischer Höchstform auf. Das hat viel mit Oskar zu tun, der an eine dogmatisch-liberal-vegetarische Lehrerfamilie gerät, deren Habitus der Achtjährige mit scharfem Blick und pointierten Kommentaren nach allen Regeln der Kunst hinterfragt, egal ob er nun das Fleisch auf seinem Gemüseteller mit der Lupe sucht oder nachfragt, ob die an Parkinson leidende Großmutter „ohne Musik tanzt“. Gleichzeitig verfügt Oskar offenbar intuitiv über empathische Qualitäten, die sich in seinem Verhältnis zur Großmutter oder auch zu seiner überforderten Pflegemutter offenbaren.
Humor und psychologisch unterfütterter Realismus
Während Oskar mit Neugier, Hellsicht, Optimismus und Schlagfertigkeit für eine ordentliche Portion Humor sorgt, wird Lillis Geschichte mit psychologisch unterfüttertem Realismus erzählt. Ihre Pflegemutter Ruth ist selbst Single, hat aber gerade jemanden kennengelernt, der nicht so recht weiß, ob er Lillis Anwesenheit schätzen soll. Ruth dagegen gibt sich wie eine ältere Schwester, die stets Verständnis und gute Ratschläge parat hat und so schnell eine vertrauensvolle Beziehung herzustellen vermag.
Da Oskar gehört hat, dass es seiner Mutter schneller besser gehe, wenn er ihr Briefe schreibt, berichtet er ihr davon, wie er sich bestens integriert und immer glücklicher wird, indem er zum Beispiel die Österreicher an seinem Schulsandwich teilhaben lässt. Zwei Fliegen mit einer Klappe, so sein Plan: Durch die Schilderungen gesundet die Mutter, und auf seine Mildtätigkeit könnte ein Fernsehteam auf die Familie aufmerksam werden, deren Bericht dann seine Abschiebung verhindere. Leider hat er momentan keine Möglichkeit, die Briefe auch abzusenden, weil er den Aufenthaltsort der Mutter nicht kennt.
Durchaus widersprüchliche Perspektiven
„Ein bisschen bleiben wir noch“ etabliert damit gleich mehrere, durchaus widersprüchliche Perspektiven auf die Krise der Trennung, die durch kunstvoll-poetische, mitunter leicht surreale Bilder an kindliche Erfahrungswelten zurückgekoppelt sind. Allerdings klappt das nicht durchgängig; mitunter hat sich Riahi zu viel vorgenommen und muss Erzählfäden nur angedeutet liegenlassen. Das gilt für die Geschichte von Lillis Bodyguard-Freundin Betty, deren drogensüchtige Mutter sich offenbar prostituiert, und auch für die Geschichte von Ruth und ihrem neuen Liebhaber.
Allmählich wird den Geschwistern klar, dass die Trennung von ihrer Mutter nicht vorübergehend ist. Ihre alte Wohnung wurde bereits neu vermietet. Die Situation eskaliert, als sie vom Aufenthaltsort der Mutter erfahren, ihr einen Besuch abstatten und erleben, dass sie verleugnet werden. Die Verzweiflung ist groß. Erstmals im Film werden jetzt auch die mit der Herkunft aus Tschetschenien verbundenen traumatischen Erfahrungen ins Bild gerückt, womit sich der Kreis zum Anfang des Films schließt, der längst in einem anderen Licht dasteht. Oskar fasst den Plan, ab sofort ein „schlechtes Kind“ zu werden, um zumindest die Pflegefamilie hinter sich zu lassen, aber für Lilli ist das kein Ausweg.
Dunkle Punkte aus kindlicher Perspektive
In der Folge muss „Ein bisschen bleiben wir noch“ allerlei Erzählfäden und gespiegelte Konstellationen miteinander verbinden, was vielleicht nicht immer gelingt, aber ein Schlaglicht auf die dunklen Optionen der Figuren und Konflikte wirft, ohne dabei die kindliche Perspektive aufzugeben. Jetzt geht es um Tod, Unsicherheit, Egozentrik, Verstörung, Misstrauen, Enttäuschung, Wut, Rache, Trauer und Selbstmord, aber auch um Empathie und Solidarität.
Immerhin entwirft der Film fast nebenbei auch eine vielschichtige Topografie beschädigter, unvollständiger oder überforderter Familien, die sich alle irgendwie durchs Leben schlagen. Die Furcht vor der Abschiebung ist hier nur ein Problem unter vielen. Doch bevor es zu desperat wird, entscheidet sich der Film durchaus stimmig für ein märchenhaftes Ende.