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Filmkritik
Der erste lange Spielfilm von Udo Flohr beruht auf einem Kriminalfall, der die Hansestadt Bremen im 19. Jahrhundert in Atem gehalten hat. Dort wurde 1831 Gesche Gottfried hingerichtet, weil sie zwischen 1813 und 1827 15 Menschen mit „Mäusebutter“, einem Gemisch aus Schmalz und Arsen, ermordet hatte. Die Opfer waren ihre Ehemänner, Kinder, weitere Familienmitglieder, Freunde und Verwandte. 20 Opfer überlebten die tückischen Giftanschläge des „Engels von Bremen“, die vielen hilfsbedürftigen Mitmenschen barmherzige Unterstützung zukommen ließ. Gottfrieds Hinrichtung war die letzte öffentliche Exekution, die in Bremen stattfand. Gottfried ging als erste Serienmörderin Deutschlands in die Kriminalgeschichte ein.
Der spektakuläre Fall regte viele Autoren und Künstler zu Bearbeitungen in Form von Theaterstücken, Hörspielen, Fernsehfilmen, Sachbüchern, einer Ausstellung, einer Oper und einer Graphic Novel an. Unter anderem inszenierte Rainer Werner Fassbinder 1971 in Bremen unter dem Titel „Bremer Freiheit“ ein „bürgerliches Trauerspiel“ nach der Mordserie und verfilmte es 1972 mit Margit Carstensen in der Hauptrolle fürs Fernsehen. Auch dem Schriftsteller Peer Meter dienten die Verbrechen als Vorlage für ein Theaterstück, das 1989 unter dem Titel „Die Verhöre der Gesche Gottfried“ erschien. Auf diesem Stück und den Gerichtsakten beruht das Drehbuch von Meter und Udo Flohr, einem Wissenschaftsjournalisten, der sich mit Seminaren und Workshops zum Regisseur fortgebildet hat.
Aus der Perspektive einer Protokollantin
„Effigie – Das Gift und die Stadt“ erzählt die Ereignisse weitgehend aus der Ich-Perspektive einer Person, die in die Aufklärung der Verbrechensserie involviert wird. 1828 trifft die junge Cato Böhmer in Bremen ein, um die Stelle einer Aushilfsprotokollantin beim Untersuchungsrichter Senator Droste anzutreten. Böhmer hat davor zwei Jahre lang am Kriminalgericht in Göttingen das Protokoll geführt und träumt davon, Juristin zu werden. Allerdings stehen die Chancen dafür schlecht, denn damals durften Frauen in Deutschland noch nicht studieren. Obwohl die männlichen Mitarbeiter des Senators Böhmer nicht ernst nehmen und ihr die kalte Schulter zeigen, avanciert die ehrgeizige Protokollantin erst zur effektiven Assistentin und dann zur wichtigsten Stütze des Senators, als dieser mit einer Reihe verdächtiger Todesfälle konfrontiert wird.
Dabei ist Droste gerade stark eingebunden in einen politischen Machtkampf, der die Weichen für die Zukunft der Stadt zu stellen scheint. An der Seite von Bürgermeister Johann Smidt setzt er sich dafür ein, dass Bremen einen Eisenbahnanschluss bekommt, während ein agiler Kapitän namens Ehlers mit allen Mitteln für den Ausbau der Binnenschifffahrt kämpft.
Als Giftspuren an Lebensmitteln das Kriminalgericht alarmieren und erste Untersuchungen den Verdacht bestätigen, dass Arsen als Gift eingesetzt wurde, bittet die attraktive Witwe Gesche Gottfried den Senator um Schutz. Obwohl sie in der Stadt als Wohltäterin bekannt ist, fürchtet sie um ihr Leben. Als der Senator ihr eine Arrestzelle als Unterschlupf anbietet, nutzt Gottfried die Gelegenheit, um quasi unter seinen Augen eine arme junge Frau und deren Kind tödlich zu vergiften.
Nach weiteren Ermittlungen gerät die Witwe schließlich selbst unter Verdacht. Böhmer kommt zu dem Schluss, dass Gottfried für die mysteriöse Todesfallserie verantwortlich ist, und versucht, die Täterin zu überführen. Doch die Witwe erweist sich als ebenso raffinierte wie hartnäckige Widersacherin.
Zwei Frauen in einer feindlichen Welt
Die Low-Budget-Produktion kann ihre Herkunft von der Bühne kaum verbergen und ist als kammerspielartige Chronik angelegt, die meist in Innenräumen spielt. Als dramaturgisches Schlüsselelement dient das Duell zweier höchst unterschiedlicher Frauen, die auf entgegengesetzten Seiten des Gesetzes stehen. Das Drehbuch bindet beide sorgsam in den gesellschaftspolitischen Kontext ein und arbeitet die sozialen Repressionen heraus, denen sie als Frauen ausgesetzt sind. Während Gottfried zum Opfer ehelicher Gewalt durch einen alkoholkranken Ehemann wurde, ringt Böhmer um professionelle Anerkennung in einem patriarchalisch geprägten Gesellschaftssystem.
Was die Motivation der Mörderin angeht, so legt die Inszenierung nahe, dass die Witwe teils aus Rache für erlittene Misshandlungen, teils aus Bosheit mordete. Der Regisseur tendiert zwar zur Annahme, dass Gottfried an einer Störung litt, die bei ihr das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom auslöste, legt sich aber nicht fest, weshalb für die Zuschauer interpretative Spielräume bleiben.
Diese Ambivalenz prägt auch das Spiel der Hauptdarstellerin Suzan Anbeh, die den attraktiven Todesengel mit faszinierenden Facetten ausstattet. Als pflichtbewusste Protokollantin hält Elisa Thiemann damit zunächst kaum Schritt; erst in der Schlussphase, wenn Böhmers Ermittlerleidenschaft erwacht, gewinnt ihre Figur mehr Gewicht. Christoph Gottschalch bleibt als Senator Droste, der sich eher treiben lässt, als die Ermittlungen voranzubringen, demgegenüber eher blass. Das gilt auch für seine Rolle in einer lokalpolitischen Nebenhandlung, die der Kriminalgeschichte wie ein Fremdkörper anhaftet.
Der biederen Inszenierung merkt man die Schwierigkeiten der Regiedebütanten an, den bekannten Fall mit dramatischen Wendungen aufzuladen. So sollen Parallelmontagen in durchsichtiger Manier Spannungsmomente schaffen. Kulissen und Kostüme, die durchweg blitzsauber aussehen, bedingen eine allzu sterile Atmosphäre; dafür entschädigt die angenehm zurückhaltende Musik von Nic Raine.